Kristin Pluskota

Sternenmädchen funkeln ewig


Скачать книгу

Bestrahlung und nie, wieder in Gesichter blicken die schlechte Nachrichten verkünden müssen.

      Dieser Entschluss steht für mich fest, schon bei den ersten Anzeichen, war ich mir dabei sicher. Diese Entscheidung befreit meinen Lebenswillen. Ich bin nicht unsterblich, die Zeit läuft gegen mich. Die Tage die mir noch bleiben, möchte ich genießen. Eigentlich eine schöne Erkenntnis, jetzt muss ich nur noch meine Eltern von meiner gefühlten Freiheit überzeugen.

      Mein Vater würde es verstehen und akzeptieren, meine Mutter nicht.

      Während der Schwangerschaft traten Komplikationen auf, ich kam sechs Wochen zu früh auf die Welt. Meiner Mutter ging es Tage nach der Geburt sehr schlecht. Sie bekam hohes Fieber, die Ärzte waren ratlos. Eine letzte Ultraschalluntersuchung brachte Klarheit. Ihre Gebärmutter hatte sich entzündet, die Ärzte konnten ihr Leben retten, doch Kinder könnte sie keine mehr bekommen.

      Jedes Mal wenn uns eine schlechte Nachricht mitgeteilt wird, wünsche ich mir eine Schwester oder einen Bruder, vielleicht würde meine Mutter dann nicht so leiden.

      Als die Ärzte das erste Mal bei mir Leukämie feststellten, verstand meine Mutter die Welt nicht mehr.

      Dieses Wort Leukämie mochte ich noch nie, wenn mich jemand fragt, sage ich immer: „Ich habe weißes Blut, bin etwas besonderes, wie die Adligen mit ihrem blauen Blut.“ Das hört sich irgendwie schöner an.

      Meine Mutter stimmte damals jeder Untersuchung, jeder Behandlung zu. Sie wollte, dass ich wieder gesund werde.

      Natürlich, sie meinte es nur gut und wollte mich nicht verlieren. Manchmal wäre weniger vielleicht besser gewesen.

      Es war ein langer Weg, aber durch eine Knochmarkspende konnte ich geheilt werden.

      Eines Tages klingelte das Telefon. Carla liefen die Tränen über die Wange als sie den Hörer auflegte. Die Knochenmarkspendenkartei hatte deinen möglichen Spender für mich gefunden. Es folgten noch viele Untersuchungen, aber dann war es endlich soweit. Ich fühlte, dass mein Körper nur auf diesen Zeitpunkt gewartet hatte. Er strotzte voller Energie. Ich habe mich unglaublich schnell von dieser Krankheit erholt.

      Zwei Jahre mussten vergehen bis ich meinem Spender danken konnte. Durch seine Hilfe wurde mir Zeit geschenkt. Das schönste Geschenk auf Erden. Ich lernte Tom in einem Hotel kennen. Das erste Treffen findet immer auf neutralem Boden statt. Wir fühlten uns gleich verbunden wie Geschwister. Dieses Gefühl besteht bis heute, wir telefonieren regelmäßig. Was wird Tom nur sagen wenn er hört, dass die Krankheit erneut ausgebrochen ist? Es geht wieder von vorne los.

      Meine Eltern haben sich oft gestritten, ich konnte meine Mutter durch die geschlossenen Türen hören.

      Eines Tages habe ich meinen Vater gefragt, warum sie so sauer sei. Er hatte mich ganz überrascht angeguckt. Ben setzte sich zu mir aufs Bett und erklärte, dass Carla schreckliche Angst hätte mich zu verlieren und mich deshalb am liebsten in Watte einpacken möchte. Er hält das aber für einen Fehler, ich sollte trotz der Krankheit wie ein normales Kind aufwachsen. Manchmal haben sie unterschiedliche Meinungen. Trotzdem lieben die Beiden mich über alles und wollen nur das Beste für mich.

      Ich habe nur mit dem Kopf geschüttelt und gesagt, dass ich viel zu groß sei, um verloren zu gehen.

      Er fing laut an zu lachen. Meine Mutter kam ins Zimmer. Er erzählte ihr, was ich gesagt habe und auch meine Mutter fing laut an zu lachen.

      Seitdem habe ich sie nie wieder schreien hören. Bis zu dem heutigen Tag, an dem der Krebs wieder in mein Leben getreten ist, nur dieses Mal bewusster.

      Als neunjähriges Mädchen hatte ich eine rosarote Brille auf und auch eine andere Vorstellung von dieser Krankheit.

      Ein Krebs ist eigentlich ein schönes Tier, der wird mir schon nichts antun. Ich nannte ihn übrigens Ralph, wie die Küchenschabe aus dem Film „Joes Apartment“. Er zeigt sich nicht, aber man weiß er ist da und benutzt für eine gewisse Zeit meinen Körper oder wie in dem Film die Schaben das Apartment. Bis alles verwüstet ist und sie wieder verschwinden.

      Es gab aber auch Tage, an denen ich mit Ralph geschimpft habe. Jedes Mal wenn mir Blut abgenommen wurde oder ich Weihnachten im Krankenhaus verbringen musste.

      Jetzt mit sechzehn Jahren und den Erfahrungen mit dieser Krankheit sehe ich vieles klarer.

      Die Berührung einer Hand auf der Schulter reißt mich aus meinen Gedanken. Ich drehe mich um, mein Vater steht hinter mir, meine Mutter ist nicht zu sehen.

      „Komm Lia, wir werden vom Arzt und deiner Mutter erwartet.“

      Ich gucke ihn nur stumm an. Er strahlt Ruhe und Sicherheit aus, wie ein Baum der fest im Boden verwurzelt ist. So leicht wirft den keiner um.

      „Papa, ich kann nicht. Ich habe genug davon, keine Untersuchungen mehr, keine Nadeln oder Tabletten. Bitte, lass mich meine restliche Zeit selber gestalten!“

      Ben steht nur da, sagt kein Wort. Ich weiß nicht, ob ich mir es nur einbilde oder ob seine Augen feucht werden. Dann umarmt er mich und flüstert mir ins Ohr.

      „Ich bin stolz auf dich.“

      Er löst sich aus der Umarmung und drückt mir einen Geldschein in die Hand.

      „Geh die Straße entlang, du kommst auf ein Eiscafe zu, bestell dir einen großen Becher. Ich hole deine Mutter.“

      Bevor ich noch etwas sagen kann, ist mein Vater im Krankenhaus verschwunden. Ich blicke ihm noch einige Zeit nach, kann nicht begreifen, was gerade passiert ist. Hofft er, dass meine Mutter mich zur Vernunft bringt? Aber Ben sagte, er sei stolz auf mich. Vielleicht respektiert mein Vater diese Entscheidung und unterstützt mich.

      2

      2

      Das Eiscafe befindet sich an einer viel befahrenen Kreuzung. Ich setze mich ans Fenster und bestelle einen Erdbeerbecher mit einen extra Portion Sahne, das habe ich mir jetzt verdient.

      Ich hoffe, meine Mutter ist nicht all zu wütend auf mich. Vielleicht kann Carla meine Entscheidung einfach akzeptieren. Die Hoffnung stirbt ja zuletzt. Während ich auf das Eis und meine Eltern warte, beobachte ich die Leute, die am Cafe vorbei gehen.

      Eine Mutter mit ihrem Kind. Sie ist genervt und zieht ihre Tochter an der Hand hinter sich her.

      „Du hattest schon ein Eis, irgendwann ist mal gut. Wir fahren jetzt nach Hause, ich werde deinem Vater erzählen, wie böse du heute warst.“

      Das Mädchen fängt an zu schreien, aber die Mutter setzt ihre Tochter unbeeindruckt ins Auto und fährt davon.

      Ich war als Kind auch sehr anstrengend beim Einkaufen, Carla war immer froh, wenn Ben zu Hause war und sie mich nicht mitnehmen musste. Ist vielleicht auch ein bisschen verständlich, ich habe mich mal im Einkaufladen auf den Boden geworfen, weil ich nicht das bekommen hatte, was ich wollte. Meine Mutter hat mich gepackt, sie ließ den Einkaufswagen voller Lebensmittel stehen und ist mit mir nach Hause gefahren. Carla war so wütend auf mich, wie die Frau auf der Straße mit ihrem Kind.

      Ich beobachte ein Pärchen, ich schätze mein Alter, sie schlendert Händchen haltend über die Straße. Das Paar betritt das Eiscafe, er bestellt vier Kugeln im Becher und sie nimmt zwei Plastiklöffel mit.

      Verliebt teilen sie sich die vier Kugeln, das Pärchen füttert sich gegenseitig. Es ist schon ein bisschen komisch, dass zu beobachten. Meine Mutter würde sagen, jetzt ist dieses Pärchen noch frisch verliebt, warte ein paar Monate und sie freuen sich über getrennte Becher. Ich muss lachen.

      Als die Ärzte das erste Mal bei mir Leukämie feststellten, wurde ich im Krankenhaus unterrichtet, zur Schule konnte ich wegen meinem geschwächten Immunsystem nicht gehen. Wir waren zwischen drei bis vier Kindern unterschiedlichen Alters. Es war schon eine Umstellung zurück in die Schule mit fünfundzwanzig Kindern in einer Klasse zu gehen. Ich war geheilt, meine Mutter wollte so schnell es geht einen normalen Alltag für mich erschaffen. Die erste Zeit war sehr schwierig. Deine Mitschüler gucken dich mit traurigen Augen an,