Reiner Kotulla

monique


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wurde zur modefarbe einer ganzen generation.

      das paar am nachbartisch schickt sich an, das straßencafé zu verlassen. kurz nur blickt der mann zu mir hin, als er vor seiner freundin oder frau das lokal verlässt. sie dagegen macht einen bogen, kommt an meinem tisch vorbei, sagt, kaum dass ich es verstehe: „meins auch - tschüss!“

      offensichtlich meint sie „la ape“, „die biene“, das italienische kultauto, auch als vespacar bezeichnet. das ist ein kleintransporter und ein dreirädriges rollermobil des italienischen herstellers piaggio. die ape wurde seit 1947 in italien und seit 2007 in indien hergestellt. das habe ich später im internet recherchiert.

      während ich hinüber zum hafen blicke, kommt mir in den sinn, dass man sich manchmal nur ein einziges mal im leben begegnet und sich dabei innerhalb von sekundenbruchteilen erkennt und sofort wieder verlässt.

      der hafen von cannigione. früher der liegeplatz für heimische fischer, heute jachthafen für reiche italiener und ihresgleichen aus anderen ländern, die nicht ganz so begütert sind wie die anleger in porto cervo. über den golfo di arzachene geht mein blick auf die mit bäumen und macchia bewachsenen granitberge der gallura, im norden sardiniens.

      ein roter fiat 500 passiert gerade vor meinen augen die straße. der fahrer, natürlich ein „jungtaliban“, seinen arm auf dem türrahmen liegend, blickt herüber. über dem außenspiegel hängt ein weißes höschen, wahrscheinlich seine eroberung der letzten nacht. ich trinke den rest des wassers, bezahle, steige auf meine bicicletta und radele zurück, zum campingplatz, wo mein zelt steht.

      zwei

      anderntags fahre ich erneut in die kleine stadt, um ein paar dinge einzukaufen, die es im campingladen nicht gibt. auf dem rückweg, schon an dem café vorbeigefahren, wende ich, schließe mein fahrrad am pfahl einer straßenlaterne an und setze mich aus gewohnheit an denselben tisch, an dem ich gestern gesessen habe.

      ich bin schriftsteller, wenn man jemanden der romane und kurzgeschichten schreibt, davon jedoch nicht existieren kann, so nennen will. deshalb habe ich mich auf das schreiben von reiseberichten verlegt. gereist wird trotz der krise. der massentourismus boomt, wiener schnitzel und rippchen mit kraut sind der renner auf malle und anderswo. das sogenannte bildungsbürgertum, die noch in lohn und brot stehende mittelschicht, diejenigen, die zum beispiel bei jeder gehobenen comedyshow lauthals lachen und begeistert klatschen, wenn über die pappkameraden des kapitalismus hergezogen wird, die aber dann bei der nächsten wahl doch wieder die grünen wählen, bevorzugen selbst organisierte reisen mit bildungscharakter. man informiert sich, bevor man reist, liest, hoffentlich auch meine reiseberichte. während ich so denke, ermahne ich mich: achtung mika, vorurteil. war da nicht vor ein paar tagen die nachbarfamilie? stattliches wohnmobil, er hausmeister an einer schweizer schule, sie hausfrau, der sohn im ersten lehrjahr, zimmermann.

      der sprach mich eines tages an: „sind sie schon lange hier auf dem platz?“

      „na ja“, sage ich, „vierzehn tage.“

      „und wie lange bleiben sie noch?“

      „vielleicht drei wochen.“

      „was, so lange? wie langweilig!“

      „und ihr?“

      „wir sind jetzt zwei wochen unterwegs, haben die insel einmal umrundet.“

      „und, was weißt du jetzt über sardinien?“, frage ich nach.

      „jede menge“ dabei strahlt er mich ein wenig überlegen an, „die ostküste, die westküste und morgen fahren wir weiter, nach palau, da ist dort ein großer markt. wir wollen doch etwas typisch sardisches für oma und opa mitnehmen.“

      „was denn zum beispiel?“

      „solche bronzefiguren“, erklärt er mir, „von den alten sarden.“

      „wer war denn das?“, komme ich mir inzwischen so richtig lehrerhaft vor.

      „keine ahnung, die sehen einfach super aus“, sagt er und trollt sich.

      er wird meinen reisebericht nicht lesen, wenn er denn erscheint. da steht dann auch etwas über die ureinwohner der insel, die nuragher, die man nach den von ihnen errichteten wehrburgen, den sogenannten nuraghen, so nennt. nichts schriftliches haben die hinterlassen, ein paar bronzefiguren, aus denen man heute rückschüsse auf ihr leben ziehen kann. in taiwan hergestellte nachbildungen kann man hier überall kaufen.

      der reisebericht kann warten. heute morgen, ich war aufgewacht, weil ich zur toilette musste, kam mir der gedanke, statt des reiseberichts eine kurzgeschichte zu schreiben. wieder hatte ich das bild der frau vor augen, die mich gestern im weggehen so freundlich lächelnd gegrüßt hat. was wäre, wenn ich sie heute wiedertreffen würde. dieses mal ohne begleitung versteht sich. also schwinge ich mich nach dem frühstück auf meine bicicletta, mache mich auf den weg.

      weil es für ein bier noch zu früh ist, bestelle ich mir eine flasche mineralwasser. um die idee nicht aus den augen zu verlieren, ziehe ich mein notizbuch aus dem rucksack, lege es vor mich auf den tisch. nach einem blick rundum, wenige touristen sind heute hier am hafen, schlage ich das heft auf und beginne eine erste stoffsammlung.

      plötzlich schiebt sich eine hand in mein gesichtsfeld. rote fingernägel sind das erste, was ich wahrnehme und dann das kleine modellauto, la macchina con tre ruote, l´ape, die biene, als kastenwagen mit dem logo einer italienischen ladenkette. ich hebe meinen blick: leicht schräg gestellte augen, eine gerade nase, schwungvolle rote lippen, hohe wangenknochen.

      „oben im supermarkt hab ich sie gefunden, noch nicht wissend …, da sah ich sie … „ zweimal hintereinander beendet sie einen satz nicht. in gedanken ergänze ich: sie wieder zu sehen, und dachte, schenkst sie ihm.

      „das ist nett, danke aber wollen sie sich nicht zu mir setzen?“

      sie zögert, schaut mich an, dann wieder hin zur straße, als erwarte sie jemanden.

      „nein, ich denke nicht, er kann jeden moment kommen.“

      wieder blickt sie in die richtung, wie zuvor. für einen moment glaube ich angst in ihren augen zu erkennen. plötzlich scheint sie es eilig zu haben. sie blickt auf ihre armbanduhr. „vielleicht morgen“, sagt sie und entfernt sich schnellen schrittes.

      seltsam, denke ich, registriere aber meinerseits die zeit: elfuhrdreißig. ich werde hier sein, morgen um diese zeit. ich rufe mir die szene unseres gestrigen zusammentreffens in erinnerung. der mann, sicher, er schien älter als sie zu sein. zwischen dreißig und fünfzig jahren schätze ich ihn ein. und sie, vielleicht fünfundzwanzig, eher jünger. meiner fantasie sind keine grenzen gesetzt. der eifersüchtige partner, der ihr jeglichen kontakt zu einem anderen mann untersagt. der schon ausrastet, wenn sie jemanden höflich grüßt, der ihre aufmerksamkeit erregt hat. ob der wohl gestern gesehen hat, dass ich ihr kurz in die augen und auf den mund geblickt habe? freundlich hat er jedenfalls nicht auf mich gewirkt, als sie mich gegrüßt hat. warum hat sie überhaupt auf meine bemerkung über die biene reagiert, wenn sie doch angst vor ihm hat? er hätte bemerken müssen, dass sie an meinen tisch gekommen war, um mir zu sagen, dass die knatterkiste mit den drei rädern auch ihr lieblingsauto sei. fragen über fragen. genaugenommen weiß ich überhaupt nicht, was ich von der ganzen sache halten soll. werde ich morgen mehr erfahren?

      drei

      um halbzwölf sitze ich am selben tisch wie tags zuvor.

      „wasser oder kaffee?“, fragt mich die bedienung. sie lächelt, als wüsste sie, auf wen ich warte. heute nehme ich einen kaffee. erwartungsvoll blicke ich immer wieder in die richtung, aus der ich sie vermute.

      um viertel vor zwölf beschließe ich, noch fünfzehn minuten zu warten. zu früh oder nicht, ich bestelle mir ein bier. um zwölf uhr denke ich, na ja, das war´s dann, bin mir aber nicht sicher, ob ich schon aufgeben soll. ich reiße ein blatt aus meinem notizbuch, schreibe meinen namen, mika windhausen und meine e-mail-adresse, [email protected] darauf und warte,