Arnulf Meyer-Piening

Das Doppelkonzert


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verstanden sich gut und träumten von einem gemeinsamen Leben. Sie befanden sich auf der gleichen Wellenlänge, wollten vorwärts stürmen und ihre schwierige Jugend vergessen. Sie wussten, dass sie es nur gemeinsam schaffen könnten. Isabelle träumte von einer glamourösen Zukunft fernab in der Karibik.

      - Wir könnten uns eine verlassene Finca kaufen mit einem alten Herrenhaus aus der Zeit der großen Zuckerbarone, folgte er ihren Träumen.

      - Klingt gut, sagte sie und blickte ihn voller Verlangen an. Wir könnten gemeinsam Bäume ausreißen und das Leben genießen. Dort könnten wir erleben, wie sich die Natur ungestört von dem Eingreifen des Menschen entwickelt. Wir könnten uns ohne Stress treiben lassen.

      - Lass es uns versuchen. Aber erst brauche ich den Job, sagte er, denn ich bin noch nicht auf dem Gipfel angekommen, wo ich hingehöre.

      Sie waren mit sich im Reinen, fühlten sich miteinander im inneren Gleichklang. Das Ziel war klar, aber der richtige Weg dorthin musste erst gefunden werden. Sie waren sich nicht sicher, ob sie nicht einige Umwege machen müssten: Die größte Unsicherheit bildete der Gesundheitszustand von Wolfgang Sämann. Er könnte vorzeitig sterben, im schlimmsten Fall für immer geistig behindert bleiben. Oder er könnte vollständig genesen und dann die Zügel selbst wieder in die Hand nehmen. Man wird es erst nach einigen Wochen wissen. Alle Möglichkeiten waren gleich wahrscheinlich.

      Außerdem war da noch seine Schwester Ingrid. Auch sie war eine unberechenbare Größe. Was hatte sie vor? Was trieb sie an? Es war nicht ausgeschlossen, dass sie nach der Firmenleitung greifen würde. Nicht zuletzt bildete Hinrich eine Unbekannte: Würde man ihn in das Konzept einbinden können? Würde er nach der Macht streben? Und schließlich Julia: Würde sie in die Karibik zurückkehren oder würde sie eine Führungsposition in der Firmengruppe anstreben? Das würde die gemeinsamen Pläne behindern. Sie müssten sich Klarheit über den richtigen Weg verschaffen und mit allen Beteiligten sprechen.

      Sie verbrachten eine wundervolle Nacht miteinander und liebten sich voller Hingabe. Weit nach Mitternacht versanken sie in einen tiefen Schlaf. Als die Sonne hoch am Himmel stand, genossen sie ein reichliches Frühstück mit Spiegelei, Müsli, Obst und Kaffee. Die Arbeit konnte beginnen.

      Später rief Guido von seinem Handy in der Elisabeth-Klinik an:

      - Guten Tag, Frau Sämann. Hoffentlich störe ich Sie nicht. Ich möchte mich nur nach dem Gesundheitszustand Ihres Bruders erkundigen. Ist die OP gut verlaufen? Hat er eine ruhige Nacht verbracht?

      - Zunächst war alles gut gegangen, erklärte die Ärztin. Aber er ist aus der Narkose nicht richtig aufgewacht. Er hat anschließend einen Reinfarkt bekommen. Über die Gründe tappen wir noch im Dunklen. Wir wissen nicht, was genau geschehen ist. Plötzlich hat er Fieber bekommen, vielleicht eine normale Reaktion auf dem Eingriff, doch es kann auch eine Hirnhaut-Entzündung sein. Das wäre gravierend. Deshalb haben wir ihn vorsorglich auf die Intensivstation verlegt.

      - Bei Ihnen befindet er sich in besten Händen, davon bin ich überzeugt, sagte er.

      - Er bekommt hier alles, was er braucht.

      - Das glaube ich gern. Noch etwas Anderes: Ich habe gestern mit Frau von Stephano telefoniert. Sie hat mir angedeutet, dass Sie einen Interims-Manager für die Sämann-Gruppe suchen. Ich hätte an dieser Position Interesse. Am besten wäre es wohl, wenn wir uns so bald wie möglich treffen würden. Dann könnten wir die Einzelheiten besprechen.

      - Das sehe ich auch so. Wir benötigen dringend einen Profi für die Leitung der Unternehmensgruppe, bis mein Bruder wieder fit ist..

      - Machen Sie einen Vorschlag, wo und wann wir uns treffen können.

      - Wie wäre es morgen hier bei uns in München im Bayerischen Hof?

      - Ausgezeichnet. Dort sitzt man gut, isst hervorragend und kann sich ungestört unterhalten. Wann passt es Ihnen? Ich richte mich nach Ihnen.

      - Ich könnte mich gegen sieben Uhr arrangieren.

      - Das würde mir passen. Also um sieben Uhr im Bayerischen Hof.

      - Einverstanden.

      - Ich freue mich auf den Abend mit Ihnen. Ich denke, wir werden uns einig werden.

      - Wir werden sehen, wie alles zusammen passt.

      Er legte auf und sah Isabelle erwartungsvoll an:

      - Nun, was sagst du? Klingt nicht schlecht, oder?

      - Warten wir es ab. Der erste Schritt wäre getan, die weiteren Schritte müssen noch folgen. Die Toten werden erst nach der Schlacht gezählt und wir stehen erst am Beginn der Schlacht. Die Sache wird nicht leicht sein: Die Firma ist ziemlich am Ende und braucht dringend Hilfe. Ich bin mir sicher, dass du den Job bekommst, wenn du Ingrid auf deine Seite bringst. Sie besitzt die größten Firmenanteile nach ihrem Bruder. Sprich sie als Frau an. Fordere für den Anfang kein zu hohes Honorar. Vielleicht hunderttausend, aber nicht mehr. Die haben nicht viel Geld, brauchen aber deine Hilfe.

      Er setzte sich ihr gegenüber und nahm einen Schluck von dem inzwischen kalt gewordenen Kaffee:

      - Für diesen lächerlichen Betrag sollten sie sich einen anderen Partner suchen. Vielleicht sollten sie lieber beim Arbeitsamt anfragen.

      - Sei nicht so hochnäsig!

      - Sprechen wir von einem Beratungsauftrag oder von der Nachfolge des Patriarchen?

      - Zunächst handelt es sich nur um einen Beratungsauftrag. Erst später, wenn du dich in der Firma etabliert hast, geht es um die Nachfolge.

      -Seien wir realistisch: Für diesen lächerlichen Betrag bekommen sie keinen Profi. Warum soll jemand auf sein normales Gehalt verzichten, und das für eine äußerst unsichere Sache?

      - Du könntest dir für den Gehaltsverzicht ein Aktienpaket von fünfundzwanzig Prozent zusichern lassen. Damit hättest du die Sperrminorität und würdest die Zügel in der Hand halten. Die Aktien würden spätestens nach drei Jahren bei deinem Ausscheiden – ganz gleich aus welchem Grund – an dich übertragen.

      Damit hatte sich ein gangbarer Weg durch das dichte Gestrüpp der Unwägbarkeiten aufgetan, aber es bestanden Zweifel, ob dies wirklich der richtige Weg sei. Man konnte das Ende des Tunnels noch nicht erkennen:

      - Werden die Gesellschafter dem Vorschlag zustimmen?, fragte er besorgt.

      - Isabelle war zuversichtlich. Sie haben keine andere Wahl: Sie brauchen den Millionen-Kredit, den nur ich besorgen kann. Das wissen sie genau. Keine Bank wird ihnen einen weiteren Kredit geben.

      - Du könntest die Immobilie selbst übernehmen. Eine Villa in Saint Tropez wäre doch eine gute Investition. Dann brauchen sie keinen Kredit, wenn du sie ihnen abkaufst.

      - Das wäre für mich ein ziemlich dicker Brocken. Ich schwimme nicht im Geld. Auch ich müsste dafür einen Kredit aufnehmen. Aber wenn wir es geschickt anstellen, dann fällt uns die Villa eines Tages viel billiger zu.

      - Erstaunt blickte er sie an: Ich bin gespannt, wie du das anstellen willst.

      - Sie ergriff seine Hand und blinzelte ihm vertraulich zu: Also hör zu. Wenn du die Verantwortung für die Firma übernimmst, dann bist du auch für die Rückzahlung des Kredits zuständig. Da könnte es doch in der Folge zu Schwierigkeiten kommen, meinst du nicht auch?

      - Klar, das könnte passieren. Aber was willst du damit erreichen?

      - Die Villa würde an den Kreditgeber verfallen, wenn die Firma mit den Ratenzahlungen in Rückstand gerät.

      - Das wäre möglich. Aber was haben wir davon, wenn das Objekt an die Banken geht?

      - Ich denke, der Graf wird der Kreditgeber sein. Dann überlässt er sie mir zur Nutzung.

      - Da sei mal nicht so sicher. Der Graf hat seinen eigenen Kopf. Und wenn er sie dir gibt, dann will er etwas von dir haben. Außerdem, was willst du mit dem Haus anfangen?

      - Mal sehen, antwortete sie unbestimmt. Vielleicht verbringe ich dort meinen Lebensabend.

      - Allein?