Arnulf Meyer-Piening

Das Doppelkonzert


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sie ihn. Er tat ihr unendlich leid.

      Auf dem Gang bat Ingrid die Besucherin, auf einen Sprung in ihr Büro zu kommen. Sie fuhren in das oberste Stockwerk und setzen sich in ihrem spartanisch eingerichteten Zimmer an einen kleinen Tisch.

      - Die Ärztin eröffnete das Gespräch ziemlich von oben herab: Also, Sie glauben, dass Sie einen Manager für uns finden können?

      - Ich werde sehen, was ich tun kann. Es kommt natürlich auf die Bedingungen an. Es wird nicht leicht ein, denn es ist überhaupt nicht klar, für welchen Zeitraum seine Tätigkeit bemessen werden soll. Es könnten ein paar Monate oder auch ein Jahr sein. Unabhängig von dem Zeitraum bleibt für ihn das Risiko das gleiche. Der Kandidat wird nur mit viel Geld zu überzeugen sein.

      - Genau das ist der wunde Punkt. Wir haben zurzeit einige Produktionsprobleme, und die neuen Medikamente warten noch auf ihre Zulassung. Aber das wird sich wahrscheinlich schnell regeln lassen.

      - Unter den Umständen wird es sehr schwierig werden, einen geeigneten Kandidaten für die Aufgabe zu gewinnen. Sie wissen, dass die Zulassung neuer Medikamente oft viele Jahre dauern kann.

      - Ingrid wurde ungeduldig. Aber wir brauchen jetzt einen fähigen Manager, dabei betonte sie das Wort:„Jetzt“. Wir wissen nicht, wie lange die Firma ohne die Führung meines Bruders auskommen muss. Wir haben keine Zeit zu verlieren. Wir müssen so schnell wie möglich aus der aktuellen Schwierigkeit herauskommen. Sonst geht die Firma den Bach hinunter. Das würde mein Bruder nicht überleben. Sie haben also eine große Verantwortung.

      - Ich weiß. Aber nun zu den Details. Wie viel können Sie als Jahresgehalt bieten?

      - Mehr als hunderttausend Euro können wir im Augenblick nicht zahlen. Später sehen wir weiter. Das kommt drauf an, wie er sich macht.

      - Das ist heute nicht viel für einen qualifizierten Manager. Unter diesen Umständen müssten Sie die Firma in eine Aktiengesellschaft umwandeln und ihm als Ausgleich bei seinem Ausscheiden oder nach etwa drei Jahren ein Aktienpaket anbieten. Das erhöht seine Motivation, für bessere Ergebnisse zu sorgen. Und Sie als Aktionärin würden am Ende daran mitverdienen.

      - Auf diesem Gebiet kenne ich mich nicht aus. Dazu bräuchten wir einen Spezialisten.

      - Da könnte ich Ihnen behilflich sein.

      - Inwiefern?

      - Ich kenne mehrere qualifizierte Berater, mit denen ich auf verschiedenen Gebieten zusammenarbeite. Ich müsste mal prüfen, wer für diese Aufgabe besonders geeignet ist und kurzfristig einen Termin frei hat.

      - Aber da ist noch etwas: Wir müssen die Kosten für die Beratung in Grenzen halten. Es ist nämlich so, dass wir für eine kurze Übergangszeit einen Kredit brauchen, den wir im Augenblick ohne meinen Bruder nicht bekommen können.

      - Auch dabei könnte ich Ihnen helfen, wenn Sie ausreichende Sicherheiten bieten können.

      - Das versteht sich von selbst, sagte Ingrid ziemlich von oben herab. Mein Bruder und ich besitzen aus dem Vermögen unseres Vaters eine Villa in Saint Tropez. Sie ist bestimmt dreißig Millionen wert, wie mir gesagt wurde. Wir könnten sie als Sicherheit bieten.

      - Das wäre immerhin schon mal etwas. Ich müsste sie sehen. Haben Sie Bilder von dem Objekt?

      - Ja, die Bilder habe ich zu Hause. Ich werde sie Ihnen bei Gelegenheit zeigen. Sie werden begeistert sein.

      - Frau Sämann, lassen Sie uns ein paar Schritte vor die Tür gehen, denn es brauchen nicht alle Leute unser Gespräch anzuhören.

      - Hier hört uns keiner. Ich habe schallschluckende Türen. Sie öffnete die Tür und blickte auf den Gang hinaus. Es war keiner da. Nur ein Bett mit einem Patienten wurde vorbeigeschoben.

      - Wir sollten einen neuen Termin vereinbaren, dann haben Sie die Bilder und vielleicht sogar ein Exposee dabei. In der Zwischenzeit kläre ich einen möglichen Termin mit einem geeigneten Berater ab. Ich gebe Ihnen Bescheid, sobald ich Konkretes erfahren habe.

      Hoffnungsträger

      Zwei Wochen später besuchte Frau von Stephano die Chefärztin Ingrid Sämann im Krankenhaus. Die ihr schon bekannte kalte und spartanische Atmosphäre in deren Büro ließ sie frösteln. Ein paar farbige Drucke von Kandinsky, Paul Klee und Franz Mark aus einem Werbekalender verzierten die Wände. Büromöbel aus Stahl und Stühle mit Stoff bespanntem Chrom. Alles schlicht und zweckmäßig. Insgeheim taxierten sich die beiden Frauen, ob sie sich trotz ihrer ausgeprägten Gegensätzlichkeit verständigen könnten. Sie trauten sich nicht über den Weg und wollten die Schwächen der jeweils anderen herausfinden. Sie rangen um die Führungsrolle. Eine fühlte sich der anderen überlegen, blickte auf die andere herab. Die Chefärztin auf die junge Frau ohne Familie, die wohlhabende Adelige auf die alte Frau ohne Geld, die dabei war, alles zu verlieren, die sie um Hilfe ersuchte.

      - Förmliche und kühle Begrüßung. Isabelle zwang sich zu einem Lächeln: Grüß Gott Frau Sämann. Wie geht es Ihrem Bruder?

      - Distanziert kam die Antwort: Danke, es geht. So langsam kommt er wieder auf die Beine. Mein Bruder will unbedingt nach Hause. Das verstehe ich nicht, denn hier bei uns wird er gut betreut. Ich denke, er sollte sich noch mehr erholen. Er ist noch immer ziemlich schwach und nicht so richtig beieinander. Er hat große Erinnerungslücken. Und bei ihm zu Hause ist niemand, der für ihn sorgen kann. Zwar haben wir ein paar Angestellte, aber die sind nicht für die Krankenpflege ausgebildet. Mein Bruder kann sich nicht allein versorgen und braucht professionelle Pflege. Aber heutzutage gibt es keine guten Pflegekräfte für die häusliche Betreuung. Man bekommt nur Polinnen, Rumäninnen und Frauen aus der Ukraine. Nichts gegen Osteuropäer. Sie sind zwar nett und willig, aber man muss ihnen alles beibringen. Zum Putzen mag es ja reichen, aber zur medizinischen Betreuung der Patienten und zur Krankenpflege sind sie nicht geeignet. Auch hier im Krankenhaus haben wir nicht genügend ausgebildete Pflegerinnen, die wir für diese Aufgabe zur Verfügung stellen können. Auch ich kann mich nicht um alles selber kümmern. Ich habe hier wirklich genug um die Ohren, um den laufenden Betrieb aufrecht zu erhalten.

      - Isabelle zeigte Verständnis: Das ist sicher keine leichte Aufgabe. So ein großes Krankenhaus verlangt den vollen Einsatz oft rund um die Uhr.

      - Da haben Sie recht. Dann wechselte sie abrupt das Thema: Möchten Sie etwas trinken? Einen Kaffee oder ein Glas Wasser?

      - Vielen Dank, bemühen Sie sich nicht.

      - Keine Ursache. Hier haben wir alles im Griff, aber wir müssen nun den Blick nach vorne richten. Es geht nicht nur um die Gesundheit meines Bruders, es geht auch um die Firma, die derzeit ohne Führung ist.

      - Darüber sprachen wir schon.

      - Ja. Haben Sie mal über einen für uns geeigneten Berater für die Firmengruppe nachgedacht?

      - Ohne Zögern kam die Antwort: Ja, das habe ich. Ich habe zufällig genau den richtigen Mann für Sie. Es handelt sich um Herrn Konselmann, den Sie bereits von der Einladung beim Graf kennen.

      - Der hat auf mich einen guten Eindruck gemacht. Es wäre nicht schlecht, wenn er uns unterstützen könnte.

      - Ein guter Mann, bestätigte Isabelle. Er ist sehr beschäftigt. Man müsste ihn fragen.

      - Hoffentlich können wir ihn uns leisten. Sie wissen, die Rentabilität unserer Firmengruppe ist zurzeit nicht die beste. Wir können uns keine Millionengehälter leisten.

      - Für alles gibt es eine Lösung: Ich denke, Sie könnten ihm für einen späteren Zeitpunkt Firmenanteile zusagen, wenn die Firma wieder erfolgreich ist. Dann wäre er für den Anfang mit einem geringen Fixum einverstanden.

      - Das hört sich gut an. Ich müsste mal mit meinem Bruder darüber sprechen und anschließend auch mit Hinrich und Julia. Die beiden Geschwister müssten einverstanden sein. Sie müssen mit dem Berater zusammenarbeiten. Schließlich geht es auch um ihre Firmenanteile, auf die sie eines Tages – wenigstens zu einem Teil – verzichten müssten.

      - Wie lange wird das dauern? Soweit ich weiß,