Otto W. Bringer

Adieu


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      Jahre nach Ruth kam Marga in mein Leben. Eine Frau, die für die Liebe wie geschaffen war. Ein echtes Weib, von der es in der Bibel heißt, sie gebar ihm sieben Söhne. Bei mir waren es drei Töchter. Wessen Gene, wessen Herkunft, Temperament und Religion hierbei den Ausschlag gaben, ließ sich nicht ermitteln. Fest stand, Marga hatte nichts gegen Sex.

      Die erste Frau, mit der ich Sex hatte in meinem Leben. Es hat sich so ergeben. Wir gingen spazieren. Seitwärts des Weges Wiese. Leicht ansteigende grüne Wiese mit Gänseblümchen, Löwenzahn und Klee. Wir setzten uns. Legten uns auf den Rücken, hangaufwärts. Dann stach mich der Hafer. Obwohl das Feld erst hundert Meter weiter begann. Drehte mich herum, küsste sie auf den Mund. Nestelte an ihrer Bluse. Kleine Knöpfe schwer zu öffnen. Meine Hand rutschte längsseits des Rockes bis da, wo ich Saum fühlte.

      Saum in der Hand eines, der weiterkommen will in dieser Sache, wie eine Aufforderung. Schob ihn hoch, zerrte den Schlüpfer herunter bis zum halben Oberschenkel. Nur gefühlt, nichts gesehen, nichts gedacht. Immer nur das eine: Ankommen im Paradies. Die Gänseblümchen guckten blöde, wendeten sich ab. Oder waren es Schritte, die sie umbogen?

      Leute gingen vorbei. Schwätzten, lachten. Über uns? Egal. Alles egal. Nur Marga und ich. Getrieben von der willenlosen Absicht, das Normalste der Welt zu tun. Nannte es Liebe. Um mein katholisch geprägtes Gewissen zu beruhigen. Unser Pastor sagte im Eheunterricht: In der Ehe ist alles erlaubt. Nun, wir standen kurz davor, fühlten uns wie Mann und Frau, die zusammen gehörten. Und taten, zu was der Pastor seinen Segen gab. Das erste Kind ein Mädchen. Angéla Undine Maria.

      Den Namen der Wasserjungfrau wollte Margas Mama ihr geben. Weiß der Kuckuck warum. Ihrer Meinung nach sollte sie nur Undine heißen. Wir wohnten im Haus der Mama, mussten gewisse Konzessionen machen. Aber Undine, nein! Wir ließen das Kind auf Angéla taufen. Setzen Undine an die zweite Stelle. Maria an die dritte. Gottesmutter ist immer richtig. Dachte an Rainer Maria Rilke. Rufen das Mädchen Angéla. Mit Betonung auf dem é. Hört sich gut an. Klingt vornehm und unterscheidet sie von Angelas anderer Familien.

      Nach der landesüblichen Pause von zwei Jahren das zweite Kind, ein Mädchen. Hätte ich die Pause verkürzen sollen? Oder verlängern? Wollte ich überhaupt einen Sohn? Egal. Hauptsache Sex. Nannten das Ergebnis unserer Verlustigung Dorothee. Wieder war es ein Mädchen, wie man am Namen erkennt. Um Familienstreitereien zu vermeiden, hängten wir die Schwiegermütter hinten dran. Martha, Margas Mama und Auguste, meine Stiefmama. Dorothee Martha Auguste. Alle waren zufrieden. Für uns war der Fall erledigt. Auch wenn es sich, ausgesprochen, schrecklich anhörte.

      Ein drittes Mädchen betrat die Bühne des Welttheaters. Pünktlich nach zwei Jahren: Ulrike. Ohne davor und danach. Die Mädchennamen in der nahen Familie waren untergebracht. War uns die Lust ausgegangen, weitere Namen zu suchen? Wir ließen es, wie es war. Es spielte sich schnell ein, weil wir die Mädchen nicht mit ihren langen Registernamen riefen. Wir kürzten sie aus praktischen Gründen ab. Géla, Doro und Ule. Hatte vier Frauen in meinem Haus. Kleeblatt mit vier Blättern. Glücksklee?

      Es hat mir viel Freude gemacht. Frauen sind umgänglicher, nachsichtiger. Vor allem dann, wenn der Mann zeigt, wer der Mann ist. Einer, dem Frauen alles nachsehen. Geringes Einkommen. Ständiger Wohnungswechsel. Schlechte Laune. Egoistisches Verhalten. Gleich, ob sie erwachsen oder noch Kinder waren: Meine vier Frauen ließen mir alles durchgehen. Wenn es um meine Arbeit ging. Um meine Karriere, künstlerischen Talente. Malte ich ein Bild, kochte Marga mein Lieblingsessen. Spielte ich mehr oder weniger gut auf dem Klavier, klatschten die Töchterchen wie besessen. Als sei ich Johann Sebastian persönlich. In der Tat, vier Frauen machten es mir möglich, mein Leben zu leben.

      Alle wurden älter. Und schöner, wie ich zugeben muss. Subjektiv betrachtet. Nur Marga änderte sich zu meinem Leidwesen. Alice Schwarzers „Der kleine Unterschied“ verwirrte ihre Sinne. Entfernte sie von mir, der keine Ahnung hatte, warum. Sie nahm sich das Leben. Und ich war immer noch nicht sicher, warum. Vielleicht weil die Kinder unser Haus verlassen hatten. Weinte unaufhörlich und holte mir Trost beim Pater Omer Belderbos in Gent, Belgien. Das erste Blatt meines Glücksklees abgerissen. Ein Viertel des Glücks verloren? Für alle Zeiten?

      Die drei Töchter entwickelten sich zu drei völlig verschiedenen Persönlichkeiten. Gela, künstlerisch begabt in der Gestaltung von Materie. Erbteil von mir? Sie dekorierte Mode in Schaufenstern. Erfand originelle Puppentypen. Glänzte zum guten Ende als Costume – Designerin an der „Opera Modern“, New York. Beste des Jahres 2009. Das erste Kleeblatt sechstausend Kilometer entfernt von mir. Nur noch zwei zum Angucken nah?

      Doro war die musikalischste. Spielte mit sechs Jahren bereits den Bach rauf und runter. Verzeih, Johann Sebastian. Es waren deine wunderbaren Inventionen. Doro spielte sie besser als ich. Zuerst auf dem Spinett. Kaufte es, weil es wie Laute klingt. Dann auf dem Klavier. Geschenk eines Bauern, der die schwarze Kiste loswerden wollte. Der Platz auf dem Oberdeck seiner Scheune war für Strohballen wichtiger.

      Doro liebte Mozart und Chopin. Aber auch alte Omas und Opas. Brachte ihnen Gänseblümchen, wenn sie krank waren und das Haus nicht verlassen konnten. Wir fragten uns, was liegt ihr mehr: Musik oder Soziales? Ließen sie Krankenschwester werden. Dann kam Ingo. Ein Maler von Dalis Gnaden. Begabter Junge mit ausgesprochener Neigung, seinem Vorbild nachzueifern. Surreal seine Bilder, zum Verrücktwerden surreal. So, wie unser Leben manchmal ist. Real und ausgesprochen gut spielte er Gitarre.

      Doro verliebte sich in ihn. So rettungslos, dass wir sie heiraten ließen. Auch ohne Kind unterwegs. Sie musizierten zusammen. Eröffneten in einer herunter gekommenen Kneipe die „Liederkiste“, Treffpunkt für junges Volk. Dann gab´s für Ingo nur noch die Malerei. Malte, malte. Malte auf Teufelkommheraus. Nichts anderes im Kopf als Bilder, Keilrahmen, Farben und Terpentin. Vernachlässigte Doro, sodass sie sich, verzweifelt, scheiden ließ. Einem Nigerianer an den Hals warf. Einem, der Zärtlichkeit großzügig verschenkte. Mit zwiespältigen Gefühlen folgte sie ihm ins schwarze Afrika. Bekam die Malaria und starb. Jetzt nur noch zwei Kleeblätter am Stängel von den vieren: die kleinste, Ulrike. Kilometer weit in Münster.

      Schon als Lütte war sie ehrgeizig und zögernd, unentschlossen gleichzeitig. Im Ballett-Unterricht die beste sein. Abi machen, na klar. Studieren irgendwas mit Sozialpädagogik in Münster. Nur weg von zuhause und Vergangenheit. Wollte selbst entscheiden. Nach ihren Vorstellungen, Vorlieben, moralinfrei. Sie verschwand irgendwohin. Wir wussten es nicht. 16 Jahre später, als schon viel, viel Wasser den Rhein hinunter geflossen war, sahen wir uns wieder. Inzwischen hatte ich ein neues Kleeblatt gefunden. Ein fünftes, das alle Kleeblätter der Welt ersetzte.

      Die fünfte Frau war elf Jahre jünger. Schöner als alle anderen Frauen, die ich kannte. Ihr Name Rose wie Rose. Wir prallten - zufällig oder nicht – zusammen. Ich wollte raus, sie wollte rein. Beide in Eile. Die Tür zum Schlossrestaurant Anholt war unser Schicksal. Folge: Achtundzwanzig Jahre fünfblättriges Glück. Nein nicht gelogen.

      Ich, der Vierundfünfzigjährige verliebt wie ein Primaner in die Dreiundvierzigjährige. Schrieb ihr jeden Tag ein Gedicht. An die Frau, die mich nicht nur liebte, sondern verstand. Auch in meinen kreativen und charakterlichen Exzessen. Keine Frage, sie zog zu mir ins Haus. Wir verschönerten es gemeinsam, bis wir nichts mehr schöner machen konnten. Rose bearbeitete mich, meine Töchter Gela und Ule zurück an den gemeinsamen Tisch zu holen. Familie muss zusammen halten, ihr Mantra. Wir reisten nach Italien, Frankreich und Spanien. Brachten mehr als Sonne mit nachhause. Variierten es in immer neuen Bildern, Rezepten und Gedichten. In Haus und Garten. Die Ideen gingen uns nicht aus. Runde Geburtstage zu feiern, Gäste zu verwöhnen. Auch für meine Kommunikations-Aufgaben in der Agentur. Rose war die denkbar beste Partnerin. So und so und so. Ich war rundum glücklich ohne den leisesten Zweifel.

      Bis ein mir zuliebe verschwiegenes Lungen-Emphysem dem glücklichen Leben ein Ende machte. Ich möchte jetzt nicht über Roses langen Leidensweg sprechen. Müsste weinen. Vier Monate Klinik. Vier Operationen, dreimal Darmverschluss und ein Gehirn- Tumor. Vier lange Narkosen zerstörten den Rest ihrer kranken Lunge. Sie starb drei Stunden vor Weihnachten 2009. Ihre letzten Worte nur noch gehaucht: „Ich liebe Dich.“ Das Glück war ausgezogen. Begann ein Buch zu schreiben, um mich zu trösten. Über das Glück, Liebe zu gewinnen und das Unglück, sie wieder zu verlieren. Auch das Liebste geht. „Adieu“ fünfblättriges