Andreas Loos Hermann

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fuhr herum und sah einen Mann in einem eleganten dunkelgrauen Anzug, wie sie auf der UNI normalerweise nicht getragen wurden, vor ihm stehen. „Gestatten Sie, Franz Huber von der EIO“, stellte er sich vor.

      „Seit wann übernimmt die EIO solche Bagatellen?“, fragte Reisinger verwundert. Die EIO, das war die offizielle Behörde der EU für Europäische Identifizierungsaktivitäten. Die EIO stellte in der Regel keine Ausweise bereit, dort ging es um viel wichtiger Dinge.

      „Alles kein Problem, es gab hier gestern eine kleine technische Panne mit einem unserer Lesegeräte und da kann es passiert sein, dass ihr Chip beschädigt wurde. Kommen Sie bitte mit, wir erledigen die Neuidentifikation umgehend und spesenfrei. Auch die Operation kostet Sie nichts. Wenn es einmal ein Problem gibt, das wir verursacht haben, dann darf sie das auch nichts kosten. Denn im Normalfall löst die EIO Probleme und verursacht keine. Darf ich Sie bitten, zu mir in den Wagen zu steigen, ich bringe Sie zur Ident Stelle und dann in den OP. So verlieren sie nicht einmal einen halben Arbeitstag.“

      Reisinger war beruhigt. Wenn sich die Behörde sogar für ihre Fehler entschuldigte, dann war ja alles Bestens und in Ordnung. Und um zehn Uhr würde er schon wieder in seinem Büro sitzen, denn diese Art von Operation ist ja in wenigen Minuten erledigt, nur der organisatorische Kram hält immer so lange auf. Das wusste Reisinger noch vom letzten Update von vor fünf Jahren, als er den Chip implantiert bekommen hatte, der nun versagt hatte.

      Kapitel 6

      Während es in Köln langsam auf Mittag zuging, wälzte sich Adam Swietowsky noch genüsslich in seinem Bett, da er heute keinen Dienst hatte und es an der Ostküste noch früher Morgen war. Das schrille Summen seines HYCOS riss ihn aus dem Halbschlaf. In Sekundenbruchteilen war er hellwach. Das war ein Reflex aus seiner Zeit bei der Army. Er meldete sich korrekt, wie es sich gehörte, auch wenn es erst Vier Uhr dreißig war. Das wurde von ihm als Sicherheitschef schließlich erwartet.

      Etzel Goldmann, der erste Privatsekretär von Tom Swallows war in der Leitung. Das hieß zumindest, dass es keinen Alarm gab, denn Goldmann war nicht auslöseberechtigt, wie Swietowsky wusste.

      Vielmehr gab es eine erfreuliche Abwechslung. Swietowsky war ausgewählt worden, Tom Swallows als Security Leiter bei einem inoffiziellen Geschäftstermin nach Moskau zu begleiten. Moskau sei ein heißes Pflaster, da müsse man mit allem rechnen, hatte ihm Goldmann zu verstehen gegeben. Um wenig aufzufallen, würden sie nur den kleinen Privatjet nehmen und Adam hätte daher wenig Platz für besondere Sicherheitsausrüstungen. Noch dazu, wo sie bereits heute Abend starten und in der Nacht über den Atlantik nach Europa fliegen würden.

      Swietowsky kippte einen starken Espresso aus seiner kleinen mobilen Powersoftdrink Maschine hinunter, als er sich Minuten nach dem Gespräch in die Vorbereitungen vertiefte und drei seiner Leute ebenfalls aus dem Bett scheuchte.

      Die Ausrüstung musste zusammengestellt und kontrolliert werden. Er hatte sich die drei Besten seiner Leute aus seiner geheimen Leistungsliste gewählt, in der alle Stärken und Schwächen aller Wachleute penible aufgelistet waren. Drei war das absolute Minimum, das er brauchte, um die Sicherheit des Präsidenten gewährleisten zu können.

      Dann ging er in die Cafeteria und gönnte sich ein kräftiges Frühstück mit Spiegelei und Speck, denn die nächsten Tage und Nächte würden sehr arbeitsreich werden. Für heute Vormittag stand auch noch der Security Check für das gesamte Anwesen an, den er entsprechend den Richtlinien gemeinsam mit seinem Stellvertreter machen musste, bevor er das Kommando an diesen übergeben durfte. Diese Checks hasste er, denn sie waren nur lästige Routine, völlig ohne Sinn und Mehrwert. Aber sie waren für alle US Landsitze ab einer bestimmten Größe vom nationalen Security Council vorgeschrieben. Bei Landsitzen im Ausland würde der Check sogar dreimal so lange dauern, tröstete er sich, als er sich über seine Portion Eier mit Speck hermachte und den heißen Kaffee aus dem Pappbecher schlürfte. Zu dieser frühen Stunde saß er noch fast alleine in der Cafeteria. Nur zwei junge hübsche Mexikanerinnen vom Reinigungsdienst saßen an einem der hinteren Tische und unterhielten sich leise. Verstohlen sahen sie manchmal herüber und flüsterten. Sie wussten nicht, wer er war, aber vor seiner Uniform vom Security Dienst hatten sie einen gehörigen Respekt.

      Kapitel 7

      Auf der anderen Seite des Atlantiks hatte sich Klara dazu entschlossen, den U-Bahnhof zu verlassen. Einige Züge waren in beiden Richtungen durchgebraust, ohne auch nur langsamer zu werden. Ihr HYCO hatte keinen Pieps von sich gegeben. Anscheinend war sie hier außer der Reichweite aller Sender.

      Vorsichtig war sie über den Unrat gestiegen und bemühte sich, ihre Schuhe nicht zu beschmutzen. Die Wände des Stiegenaufganges waren dick mit Graffiti und Schmutz überzogen. Leere Bierdosen und zerbrochene Einwegspritzen lagen überall herum. In einer Ecke sah sie einen Junkie liegen, der leise vor sich hin wimmerte. Clara wusste nicht, ob sie sich eher fürchten, oder nur ekeln sollte. Sie war nicht auf die Wirklichkeit in East London vorbereitet.

      Als sie endlich das Straßenniveau erreicht hatte und wieder Tageslicht sah, verschlug es ihr den Atem. Von der gegenüberliegenden Häuserzeile hatte keines der Häuser mehr ein Dach. Ruinen, soweit sie sehen konnte. Schutt und Abfälle türmten sich quer über die Fahrbahn, die einst eine breite Straße gewesen sein musste. Verrostete Wracks von Autos aus den letzten hundert Jahren standen kreuz und quer in der Gegend. Manche waren zu Barrikaden aufgeschichtet, andere völlig waren völlig ausgebrannt und nur mehr leere Metallskelette. Ein normaler Straßenverkehr war hier nicht mehr möglich.

      Und doch gab es in dieser Ruinenlandschaft Leben. Ein bärtiger alter zerlumpter Mann zog einen Handwagen hinter sich her, den er geschickt zwischen den Wracks hindurch manövrierte. Die Häuserzeile, an der Clara stand, war nicht ganz so zerfallen und Clara sah, dass es hier sogar noch so etwas, wie Läden und Geschäfte gab. In einem noch recht gut erhaltenen Haus, das auch ein Dach hatte, gab es einen Laden, der Gemüse anbot. Einige Frauen standen davor und unterhielten sich. Gleichzeitig lagen einige Jugendliche nur wenige Meter weiter am Boden und gaben sich irgendwelchen Substanzen hin. Die Frauen kümmerten sich nicht um die Jugendlichen.

      Erst jetzt bemerkte Clara den Gestank, der über allem lag. Hier gab es schon lange keine funktionierende Kanalisation und kein sauberes Wasser mehr. Die Menschen mussten sich anders behelfen. Wie sie das zuwege brachten, lag außerhalb Claras Vorstellungskraft. Der Gestank schnürte ihr den Atem zu.

      Sie sah zerlumpte Gestalten, die Abfallhaufen nach etwas Brauchbarem durchstöberten. In Hauseingängen, oder besser in den Eingängen der Ruinen, lehnten Typen, die entfernt an Rocker früherer Jahrhunderte erinnerten. Sie waren jung, trugen lange Haare und zerzauste Bärte. Gekleidet waren sie in einer Mischung aus Lumpen und Metallteilen, die sie sich aus Abfällen anscheinend selbst gefertigt hatten. Manche hatten lässig Eisenstangen als Waffen neben sich gelehnt und blickten gelangweilt über die Straße, ob irgendwo ein Opfer zu sehen sei.

      Clara war erst wenige Meter weit gegangen, als ihr siedendheiß einfiel, wie sehr sie in ihrer Kleidung hier auffallen musste. Zum Glück schienen alle Leute hier so mit sich selbst beschäftigt, dass sie noch keiner bewusst wahrgenommen hatte. Doch das konnte sich jede Sekunde ändern. Sie drückte sich zwischen dem Wrack eines Fords und einer verrosteten Mülltonne an die Wand einer Ruine eines ehemaligen Supermarktes und machte sich so klein, wie möglich.

      „Hey Kleines, was tust du um diese Zeit auf der Straße?“, wurde Clara plötzlich angesprochen. Sie erstarrte, denn jetzt hatte sie jemand bemerkt. In Panik fuhr sie herum.

      Da stand ein Mädchen, das so gar nicht in diese trostlose Welt zu passen schien. Das Mädchen trug einen schrecklich kurzen Minirock und ein hautenges Top, das ihren Busen in geradezu provozierender Weise betonte. Der Ausschnitt zeigte mehr her, als er verbergen konnte. Dazu trug sie Lackstiefletten und in der Hand schwang sie lässig einen Schlagstock, der mit einer Kette mit einem zweiten Schlagstock verbunden war und eine recht wirkungsvolle Waffe abgab.

      Sehr gefährlich sah das Mädchen nicht aus, fand Clara. Sie schätzte sie auf vielleicht achtzehn Jahre und sie war einen Kopf kleiner als Klara.

      „Bist