Andreas A.F. Tröbs

Mysterien des Alltags Teil 1


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saß Siggi und verschwunden war der Alte mit seinem süßen Duft. Ihr wurde abwechselnd heiß und kalt.

      Mit hochrotem Kopf sinnierte sie: „ Hier so ein Zirkus aufzuführen, hier neben meinem neuen Freund. Ich glaube ich muss mich jetzt bei ihm entschuldigen“ Sie nahm allen ihren Mut zusammen und begann: „Du Siggi, entsch...“ Doch die Stimme erstarb ihr im Satz, denn er zeigte keine Regung, die irgendeine Anteilnahme an den Geschehnissen in sich barg. Nichts, kein Wimpernschlag, kein Wort, keine Körperbewegung oder -Haltung ging von ihm aus. Hatte sie alles nur geträumt? Ein wilder orgastischer Traum? Sie schloss irritiert die Augen und hörte nur von ihm: „Manchmal lernt man sich in 24 Stunden besser kennen, als in einem ganzen Leben“! Bingo - voll daneben! So schien es ihr, sie verstand diese Worte nicht und quittierte, diese für sie vollkommen deplatzierten Laute mit einem gequälten Lächeln.

      „Was meint er wohl damit“, dachte sie, „hat er etwa nicht bemerkt, hat er nicht gesehen, wenigstens gespürt oder gehört, wie ich mich aufgeführt habe? Es ist schon klar, dass er mein Gefühl in diesem Augenblick nicht teilen konnte. Wie auch?“ Sie zuckte verständnislos mit den Schultern! „Aber er muss doch bemerkt haben, wie ich fast vergangen bin vor Wohlgefühl?“ Sie nagte an ihrer Unterlippe und sann über das Geschehene nach. „War Siggi dafür verantwortlich? Wie hätte das denn funktionieren sollen - bei voller Fahrt? Was ist nun mit dem Greis? Habe ich das alles nur geträumt oder bin ich jetzt schon verrückt!“ Sie verwarf aber sofort wieder ihre Gedanken und setzte sich betont lässig die Sonnenbrille vor die Augen, schwieg und der Wagen rollte weiter. „Wollen wir den nächsten Feldweg abbiegen, um uns ein schattiges Fleckchen auf einer Wiese zu suchen?“, fragte sie und war im selben Augenblick verwundert über ihre Frage, eine Frage, die sie eigentlich gar nicht stellen wollte. „Eine gute Idee“, erwiderte er „ich glaube da vorn biegt schon einer ab. Es ist weit und breit keine Menschenseele zu sehen ist das nicht herrlich, los das machen wir!“.

      Gesagt getan. Der Wagen bog von der, vor Hitze fast schmelzenden, Asphaltdecke ab und lenkte auf einen sehr holprigen und staubigen Feldweg ein. „Dort hinten ist eine saftige Wiese und gleich dahinter beginnt ein schattiges Wäldchen“, erklärte Siegfried, der diese Gegend zu kennen schien, und er schnalzte so seltsam mit der Zunge. Sybille durchfuhr dieses Schnalzen total eigentümlich und sie spürte, wie irgendetwas Unsichtbares von hinten über ihren Hals zu kriechen begann. Im ersten Augenblick dachte sie: „was ist denn jetzt schon wieder los?“ Doch sie achtete nicht weiter darauf, sondern erklärte nur: “Du hast Recht, das wird ein gutes Fleckchen für uns sein“, und erschauerte im selben Augenblick über ein neues völlig unbekanntes Gefühl in ihrer Brust. Sie begann nun ernsthaft über diese seltsamen und ihr fremd anmutenden Angewohnheiten dieses Menschen, der sich Siegfried oder wie auch immer nannte, nachzudenken. Sein seltsames Verhalten, das eben Geschehene oder seine Art, wie er plötzlich sprach oder sich gab, wurde ihr immer geheimnisvoller. Und dennoch: „Ein cooler Typ“, dachte sie und verdrängte das eben Erlebte, „mit so tollen Liebestricks, wie einer, der zaubern kann! Und nach einer Weile (völlig unvermittelt) ganz leise: „Ja, ich will Deine Stute sein!“Was sollte das denn schon wieder sein? Sie kicherte wie verwirrt vor sich hin und schaute hoch zu den Wolken, die sich bereits zu handfesten Gewitterwolken dunkelblau aufgetürmt hatten. Ihre Skrupel waren wie ausgelöscht.

      Nach einer kurzen Zeit schaute sie erneut zu ihm und es trafen sich ihre Blicke. Nun erschrak sie vollends. Was waren das da für Augen, die sie da anblickten. Geheimnisvoll, unerklärlich, wie zwei tiefe Abgründe. Sybille musste wegschauen, weg von diesen Augen, die nicht mehr grün sondern eher schwarz schienen. Sie spürte, dass von diesen Augen etwas Unheimliches aber auch etwas Wunderbares ausging. Sybille riss sich eine Sekunde davon los! Doch ihr Blick wanderte wieder hinüber zu ihm, sie konnte von diesem Mann nicht mehr lassen! Wie eine Unbeteiligte, die im Kino nur als Zuschauer die Handlung verfolgt, spürte sie den Beginn einer unbekannten Wandlung in sich. Sybille saß plötzlich wie neben sich selbst. Sie bemerkte zwar wie der Wagen seine Fahrt verlangsamte und schließlich in einer mächtigen Staubwolke anhielt. Sie registrierte zwar noch alles, was um sie herum geschah, befand sich jedoch urplötzlich nicht mehr in der Lage irgendein Ton, geschweige denn ein Wort sagen zu können.

      „Sybille wir sind da“, rief Siegfried euphorisch, der ihren veränderten Zustand überhaupt nicht zu bemerken schien, und sprang aus dem Wagen, um ihr die Tür zu öffnen. Sybille stieg, wie eine hölzerne Marionette aus und stand völlig unbeteiligt vor ihrem Freund. Sie war von einer Sekunde auf die nächste wie in einen tiefen Strudel der Gefühle und Geschehnisse gestürzt. Ein Strudel, der sich ihrer bemächtigt hatte, und der sich nun um sie herum gegenläufig zu bewegen begann. Immer schneller und schneller. Schneller als ein Karussell auf einem Volksfest und rasanter, als eine Loopingbahn in einem Freizeitpark. „Wie ist mir nur“, dachte sie bestürzt, “was ist mir nur so fremd an dieser Situation. Siegfried, Greis, das Cabrio, die ganze Gegend und ich, alles ist so traumatisch verzerrt, ist so anders. „Hilfe“, rief sie in ihrer großen Not, „kann mir den niemand helfen?“ Sie wusste aus Ihrer Konfirmanden-Zeit, dass es einen Gott geben soll aber auch seinen Gegenspieler den Teufel! “ Nein lieber Gott, Du kannst mir so etwas nicht antun. Bitte, bitte stehe mir bei und hilf mir! Nimm den Teufel weg von mir! Ich glaube, ich habe mich mit dem eingelassen! Ist dieses Wesen da der Teufel? Aber ich wusste das doch nicht, bitte bitte hilf mir“! schrie ihre innere Stimme, die nichts Gutes ahnte, laut und eindringlich.

      Sie schluchzte laut und voller Verzweiflung: “ wenn Siegfried nur noch einmal mit der Zunge so komisch schnalzt, dann geschieht irgend etwas mit mir, was ich nicht mehr kontrollieren kann“. Und weiter wie ein trotziges und bockiges kleines Kind: „Ich weiß es genau, denn ich fühle das. Ich fühle mich so seltsam, wie noch nie in meinem ganzen Leben und ich kann überhaupt nichts gegen diesen Zustand unternehmen. Irgendwie ist alles so seltsam beklommen, aber dennoch ungemein schön, so schön wie eben oder so schön wie in der letzten Nacht...!“ Auf einmal interessierte Sybille die Wiese, auf der sie standen, am vordringlichsten. Das saftige Gras, die bunten Blumen, der frische Duft von Gras und Erde: nur das schien wichtig; alles andere hatte sie einfach vergessen. Siggi, Greis, Gott, Teufel, Liebe, Cabrio, Sommer, Hitze, Grillen - ja ihre eigene Existenz war in ihr wie erloschen. Einzig und allein die Wiese und das widernatürliche Verlangen von diesem Gras zu essen, ja zu essen, sich einfach auf allen Vieren niederzulassen, um genüsslich Gras zu kauen, standen im Mittelpunkt ihres Denkens. Nur einmal noch, wie von ferne, hörte sie ihre eigenen Worte:

      “Was geschieht nur mit mir“,

      Siegfried, der Sybille die ganze Zeit über beobachtet hatte, fragte mit einer unheimlich aber dennoch gleichgültigen Stimme: “Wollen wir einen kleinen Ausritt machen?“ Plötzlich begannen sich, so als hätte sie nur auf dieses Wort von ihm gewartet, Sybilles Nasenflügel heftig zu dehnen und zu schließen. Sie sog die Luft ein, wie eine Erstickende, die ihr nahes Ende spürt... Sie fühlte sich plötzlich wie beengt in ihrer Haut, in ihren Kleidern. Wie im Traum fuhr sie sich unter die Kleidung und fuchtelte wild umher. Sie schien die Kontrolle über ihre Hände gänzlich verloren zu haben. Dennoch, Sybille wollte antworten, weil sie nichts von diesen Geschehnissen begriff:

      „Womit wollen wir denn reiten, wir haben doch überhaupt keine Pferde?“.Aber aus ihrem Mund kam nichts weiter als ein klägliches Wiehern und Schnauben“. Sie schüttelte heftig mit dem Kopf. Sollte heißen:“Was machst Du mit mir! Nein, ich will das nicht“, jedoch ein heftiger Speichelfluss trat aus ihrem Mund und Ihre braunen Locken flogen wie wild um ihren Kopf. Sie wollte davonlaufen! Doch Ihre Füße schlugen und scharrten immerfort auf dem Gras. Sie wollte schreien! Doch sie wieherte. Sie wollte kämpfen! Doch ihre Bewegungen erstarben langsam. So lange, wie Ihre Augen auf Siggi gerichtet waren, dann erstarrten sie. Sklavisch auf ihn gerichtet!

      Dieser schnalzte erneut so seltsam mit der Zunge und wiederholte im selben monotonen Tonfall wie zuvor: „Wollen wir einen Ausritt machen“, und schaute Sybille unverwandt an. Und Sybille erwachte plötzlich aus ihrer Starre: Alles ging sehr schnell: So begannen sich ihre Hände, die eben noch wild an ihrem schulterfreiem Sommerkleid unschlüssig herum genestelt hatten, selbstständig zu werden. Sie fetzten jede Faser Stoff von ihrem Körper. Sybille ächzte und stöhnte, schrie und stampfte. Sie kämpfte gegen die Macht, die sie zwang nicht mehr aufrecht auf