Eike Ruckenbrod

Pauls Antiweichei-Plan


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ist?“, fragte Frau Wieler erstaunt.

      „Ich … ich kann‘s noch nicht kaufen … Ich muss erst die Kohle verdienen“, erklärte er stockend und errötete.

      „Für was brauchst du denn das Notenheft?“

      Paul errötete noch tiefer. „Ich wollte … ähm, ich wollte eigentlich, na ja vielleicht irgendwann mal … in einem ähm Altersheim Gitarre vorspielen“, brachte er endlich heraus.

      „Wirklich?“, fragte die Dame erstaunt und hoch erfreut.

      Paul nickte mit feuerrotem Gesicht.

      „Du bist ein wunderbarer Junge, das habe ich gleich gemerkt. Du nimmst das Heft und ich bezahle es!“

      Paul schüttelte energisch den Kopf. „Nein, ich verdiene das Geld selbst. Ich muss das tun!“

      „Papperlapapp, du übst bei mir, dann habe ich auch was davon.“

      Nachdem er einen Augenblick über den Vorschlag nachgedacht hatte, fand er ihn gar nicht so übel. Gitarre üben war schließlich viel gechillter, als Kisten zu schleppen. „Also gut“, gab er nach.

      „Wirklich? Du weißt gar nicht, was für eine große Freude du mir damit machst.“ Begeistert strahlte sie den Jungen an. Sie konnte ihr Glück kaum fassen. Paul lächelte geschmeichelt. Und wenn er ehrlich war, freute auch er sich auf die sicher gemütlichen Stunden bei der netten Frau. Er nahm sich vor, sie gleich am nächsten Tag zu besuchen - bevor ihn der Mut wieder verließ.

      Nachdem sie sich verabschiedet hatten, rannte Paul beschwingt zum Bäcker, um endlich das Brot für seine Nachbarin zu kaufen.

      An diesem Tag fühlte er sich schon ein kleines bisschen glücklicher und ahnte nicht, welche Probleme noch auf ihn zukommen würden.

      Die Probleme fangen an

      Im Schulhof stand Paul bei seinen Freunden Jannik und Moritz. Jannik, schwarzhaarig und kleiner als Moritz, dafür aber viel kräftiger, bekam von seinem Stiefvater fast alles, was er sich wünschte. Paul vermutete, dass dieser so Janniks Liebe erkaufen wollte. Das Gegenteil war bei Moritz der Fall, seine Adoptiveltern kümmerten sich nicht sonderlich um ihn, er konnte tun und lassen, was er wollte. Er war der Älteste, der drei Freunde, rauchte, verhielt sich überheblich und ärgerte leidenschaftlich Schwächere. Er pflegte innig sein größtes Bedürfnis: cool zu sein. Leider ließ Jannik sich immer öfters von ihm anstecken und Paul getraute sich nicht, gegen ihn anzugehen.

      „Kommst du heute Mittag mit, wir wollen auf dem Spieli chillen und eine quarzen?“, fragte Jannik Paul und vergrub seine Hände in den Jeanstaschen.

      „Ne, ich … ich kann nicht“, antwortete dieser ohne seinen Freund anzusehen. Der Junge sah ihn zweifelnd an. „Warum nicht?“

      Paul dachte nach, was glaubwürdig klingen würde, und setzte eine unschuldige Miene auf. „Ich muss zum Arzt.“

      „Zum Arzt? Wieso? Bist du krank?“, bohrte Jannik weiter und spuckte vor Pauls Füße. Er trat einen Schritt zurück.

      „Ich muss ein Rezept für meinen Dad holen“, log er weiter.

      „Ach so, das dauert ja nicht lang. Danach kommst du dann!“, sagte Jannik in einem Ton, der keine Widerrede duldete.

      „Danach? … Danach muss ich noch mein Zimmer aufräumen“, fügte Paul rasch hinzu.

      „Hey Alter, seit wann räumst du dein Zimmer auf? Da ist doch was mega faul“, mischte sich nun Moritz ein, dessen stoppelhaariges, dunkelblondes Haupt Paul um einen Kopf überragte. Er starrte den Jüngeren mit engen Augen an. Über seiner rechten Augenbraue verlief eine schmale Narbe.

      „Ich … ich hab keinen Bock auf Spieli, okay?“

      „Der Noob hat keinen Bock. Wenn du mich mal wieder fragst, hab ich auch keinen Bock“, erwiderte Jannik aufgebracht. In diesem Moment schlenderte Elisa an den Jungs vorbei. Das Mädchen warf Paul einen Seitenblick zu. Zu seinem Ärger schoss ihm das Blut in den Kopf.

      Moritz beobachtete ihn aufmerksam. „Stehst du etwa auf die?“, fragte er laut. Paul fühlte sich ertappt. „Was? Nein, überhaupt nicht! Spinnst du?“, wehrte er mit feuerrotem Gesicht ab.

      „Komm, erzähl mir nichts, Alter. Du findest die bombe. Ich seh‘s dir doch an.“ Jannik und Moritz lachten lauthals.

      Paul winkte ab. „Kommt, lasst mich doch alle in Ruh!“

      Und eilte mit klopfendem Herzen davon.

      Gute Taten zu tun, war mit Lügen verbunden, das merkte er schon jetzt, obwohl es noch nicht mal angefangen hatte.

       Niemals kann ich Jannik und Moritz erzählen, was ich vorhabe. Die werden sich sicher voll über mich lustig machen. Mit einer alten Oma zusammen in der Stube zu sitzen und Gitarre zu üben, um schließlich in einem Altersheim vorzuspielen, wie mega uncool …

      Nachmittags trieb er sich trotzdem in der Nähe von Frau Wielers Grundstück herum.

      Bis er endlich mit weichen Knien vor deren Anwesen stand, dauerte es eine ganze Weile. Er warf einen Blick nach rechts und links und starrte über den Zaun.

      Hier, in diesem krassen, zweistöckigen Haus wohnt sie ganz allein, voll unnötig … und der Garten … wie unfassbar groß. Paul merkte, wie Wut in ihm aufstieg.

       Warum hat sie so viel und wir so wenig? Voll assig.

      Gerade, als er wieder gehen wollte, riss ihn das Summen des Gartentors aus seinen bitteren Gedanken. Offensichtlich hatte sie ihn gesehen. Aus der Sprechanlage hörte er ihre vertraute Stimme:

      „Komm nur rein, mein Junge, ich freue mich!“

      Paul schluckte die Bitterkeit hinunter und lief den Schotterweg entlang auf das Wohnhaus zu. Sein Blick streifte durch den riesigen Garten und über den Teich, der jetzt fast im Winterschlaf lag.

      Im Sommer ist es hier sicher richtig chillig, stellte er nicht ohne Neid fest.

      Strahlend stand die Hausherrin im Türrahmen und begrüßte den Jungen voll Wärme und Freude. Sofort verschwanden seine unguten Gefühle und er ließ sich gern in die Wohnstube führen. Frau Wieler deutete auf das Sofa.

      „Setz dich hierher! Was möchtest du trinken? Einen Tee, Kaba oder Kaffee?“, fragte sie aufmerksam.

      „'ne Cola?!“

      „Eine Cola. Ich habe leider keine Cola im Haus, aber das nächste Mal werde ich dir eine besorgen“, versprach sie.

      „Nein, nein, das ist echt nicht nötig. Ich trinke auch Wasser.“

      Veronika Wieler humpelte in die Küche.

      Der Junge ließ seinen Blick durch das Wohnzimmer schweifen. Im Kaminofen prasselte ein Feuer, das den Raum in eine angenehme Wärme hüllte. Die alten Möbel sahen schön und gemütlich aus. Einige Fotos standen auf dem Kaminsims und hingen an den Wänden. Dicke Teppiche strahlten Behaglichkeit aus. Ein zarter Duft nach Veilchen, Kamillentee und Gebäck schwebte im Raum.

      Ein Kanarienvogel zwitscherte ununterbrochen und flatterte aufgeregt im Käfig hin und her.

      Frau Wieler betrat mit einem Tablett die Stube. Sie trug eine karierte Schürze. Klammern hielten ihr graues Haar zurück. „Tja, Hansi, da staunst du, was? Heute haben wir Besuch“, sagte sie liebevoll zu dem Vogel und wandte sich dann an Paul. „Jetzt stärkst du dich erst einmal, bevor wir loslegen.“

      Sie stellte das Tablett auf dem Tisch ab und vor Paul eine Flasche Apfelsaftschorle und einen Teller mit einem dicken Stück Kuchen drauf.

      „Ich habe leider beim Kuchenbacken den Zucker vergessen und ihn drübergestreut.“ Sie lächelte entschuldigend. „Ich hoffe, er schmeckt dir trotzdem.“

      Paul nickte zuversichtlich. „Wow, der duftet echt hammer. Vielen Dank.“ Ihm lief das