Jörgen Dingler

Oskar trifft die Todesgöttin


Скачать книгу

ab. Wie Greg bei solch einer Vorgehensweise zu seinen luftigen Amouren kam, blieb rätselhaft, da Oskar den Freund nicht durch gezieltes Nachfragen in Verlegenheit bringen wollte. Wie auch immer: Oskars und Christines ‚Luftnummer‘ war auf jeden Fall echt und nicht erfunden. Der Rest des Fluges sollte daher buchstäblich wie im Schlaf vergehen. Christine schloss die Augen und schlief wie üblich innerhalb von Sekunden ein. Ja, Fräulein Vaarenkroog besaß ein beneidenswertes Schlaftalent. Sie musste mit sich und der Welt absolut im Einklang sein. Wie ging das? Als erfolgreiche Unternehmerin sowie Vermittlerin der weltbesten Killerin höchst beschäftigt zu sein und doch einen gesegneten Schlaf zu haben. Vor allem Letzteres gab Oskar zu denken. Und doch: Christine Vaarenkroog schlief wie ein Baby, hatte niemals wirklich schlechte Laune (abgesehen von dem einen Mal), wirkte ausgeglichen und rund wie ein Kieselstein in einem Bachbett. Zweifellos war sie einer der Menschen, die den Begriff ‚schlechtes Gewissen‘ erst einmal googeln mussten. Oskar schlief nicht so schnell ein, hatte daher noch mitbekommen, wie Jean-Pierre und die heiße Sofia ebenfalls nach hinten strebten. Sie eiferten also ihrem Beispiel nach. Nett.

      Es war wie am Boden: Christine schlief nicht nur früher ein, sie war auch als Erste wach und weckte Oskar kurz vor der Landung. Der Jet rollte zu seiner Parkposition und bremste sich ein. Ein nachdenklich dreinschauender Oskar schielte zur auf dem Fensterplatz sitzenden Christine, die aus dem Fenster sah, sich geradezu diebisch freute und wieder einmal aufmunternd seine Hand drückte. Er wollte seinen Kopf zum Fenster lehnen, um sich Lanzarote kurz vor Landung von oben anzusehen – also jetzt normal von oben, nicht von ganz oben via Satellitenaufnahmen. Sie hatte irgendwas von »Vorbeidrängeln kostet Maut« und »Du wirst die Insel noch genug von oben sehen« gebrabbelt, ihn dann flink an ihre Lippen gezogen und geküsst. Die Maut wurde also quasi automatisch eingezogen.

      ‚Noch genug von oben sehen‘… was hat sie denn damit schon wieder gemeint?

      Sofia entriegelte die Tür des Jets und ließ Jean-Pierre, Christine und Oskar aussteigen. Zum Abschied gab sie jedem eine Umarmung und Küsschen. Den Letzten, der seinen Fuß auf die kleine Treppe setzen wollte, tippte sie auf die Schulter und räusperte sich. Oskar drehte sich zu ihr um. Christine und Jean-Pierre standen bereits in der kanarischen Sonne. Sofia hob eine Hand, hielt etwas mit spitzen Fingern: ein winziges schwarzes Höschen – unzweifelhaft das von Christine. Sie musste es als Hinterlassenschaft gefunden haben, als sie nach dem Liebespaar den ‚Clubraum‘ mit Jean-Pierre genutzt hatte. Vielleicht hielt sie es für pikanter, das Höschen per Umweg über Oskar wieder an Christine gelangen zu lassen.

      »Huch!«, stieß er aus und nahm es grinsend in Empfang.

      »Ich wünsche euch eine wunderschöne Zeit, Oskar. Ich hoffe, wir sehen uns wieder«, gurrte sie mit ihrer sinnlichen italienischen Frauenstimme, die ihm sicher direkt in den Unterleib gefahren wäre, wenn… ja, wenn es Christine nicht gegeben hätte.

      »Mille grazie, Sofia. Ich hoffe es auch. Ciao, ragazza.«

      »Ciao, ragazzo.« Sofia zwinkerte konspirativ und drückte ihm noch einen Wangenkuss auf. »Ein guter Mann«, raunzte sie kaum hörbar, als er seine Sonnenbrille aufsetzte und die kleine Treppe hinunterstieg. Es klang fast bedauernd. Er hatte es gehört, obwohl es nur für ihre eigenen Ohren bestimmt war. Hmm. Sie mochte ihn, soviel war klar. Und: Er musste aufpassen, verdammt aufpassen!

      Bewacher und Chefin standen vor einer weißen Limousine, die punktgenau neben dem Jet vorgefahren war. Christine hatte die Arme verschränkt, hob süffisant lächelnd ihr Kinn und sah ihn erwartend an. Was hatte er noch mit Sofia zu besprechen? Der Frau mit den vielen Talenten…

      »Alles klar, Süßer?«, neckte sie, als er sich zu ihr gesellte.

      »Aber klar, Süße. Sofia hat nur noch etwas gefunden.« Oskar drückte ihr das in seiner Hand verborgene Wicked Weasel-Höschen in die Hand. »Pass bitte beim Ein- und Aussteigen aus diversen Verkehrsmitteln auf, dass du keine Freilichtbühne abgibst«, raunzte er leise, hob seine Sonnenbrille und zwinkerte. Obwohl er es nicht sah, merkte er, wie sie unter ihrer Sonnenbrille die Augen aufriss. Sofia lehnte noch in der Tür des Jets und beobachtete grinsend die Höschenübergabe. Christine sah zu Oskar, anschließend zu Sofia und drückte dann ihre Lippen zu einem ertappten Lächeln zusammen.

      »Huch«, entkam es ihr.

      »Genau das waren auch meine Worte.« Er gab ihr einen Kuss auf die Stirn, woraufhin sie ihn gespielt verlegen ansah, zwar wieder mal zuckersüß, aber so langsam immunisierte ihn dann doch ein Gewöhnungseffekt – oder zumindest eine mittlerweile einsetzende Routine. Das war auch ganz gut so.

      Sofia winkte und lachte. Die drei winkten zurück und stiegen in die Limousine. Der Fahrer setzte die große Limousine wortlos in Bewegung und fuhr ein paar Kilometer zu einem anderen Bereich des Airports, der den senkrecht startenden Luftfahrzeugen vorbehalten war. Unter den drei geparkten Helikoptern fiel es Oskar nicht schwer, den einzigen schwarzen, offensichtlich modernsten und edelsten als den Helikopter seiner Herzdame auszumachen. Bingo. Beim Näherkommen war die Aufschrift ‚Varicopter 2‘ zu lesen, in derselben Schriftart wie bei den Labels der Vaarenkroog-Klamotten oder dem Schriftzug an der Einfahrt ihrer Firmenzentrale. Er folgerte, dass es wahrscheinlich cooler und internationaler kam, auf die zwei A in ‚Vaarenkroog‘ zu verzichten und sich nur eines A‘s zu bedienen. Außerdem: ‚Vari‘ könnte auch für variabel stehen. Variabel zu verwenden! Wie wahr. Ein möglicher Einsatz wäre der als Fluchtvehikel für soeben erledigte Mordaufträge. Zum Beispiel in Rom.

      »Tolles Gerät«, bewunderte Oskar den schnittigen Helikopter mit roten, sich nach hinten verjüngenden Zierstreifen und dunkel getönter Verglasung. Christine lächelte. »Und wo ist Varicopter 1?«, erlaubte er sich eine gewagte Nachfrage – eigentlich eine normale Frage, falls er so arglos gewesen wäre, wie sie ihn hoffentlich einschätzte. Er hatte eine Ahnung, wer Varicopter 1 zur Zeit nutzen könnte.

      »Anderweitig in Gebrauch«, kam es knapp von Christine.

      Dann hatte er mit seiner Vermutung wohl richtig gelegen.

      »Weil verkauft«, mischte sich der vorn sitzende Jean-Pierre mit Bestimmtheit ein. »Den gibt‘s nicht mehr. Das ist hier wie bei Schiffen: Zwei ist der Nachfolger, nicht die Anzahl.«

      Oskar bekam aus den Augenwinkeln mit, wie die Chefin anerkennend die Unterlippe vorstülpte und nickte – als sei sie von der Fantasie und Spontanität ihres Vertrauten beeindruckt. Wieder mal mit Weltklasse-Mimik in Szene gesetzt.

      »Aha«, quittierte Oskar und tat es ihr mimisch gleich, stülpte ebenfalls die Unterlippe vor. Er beobachtete die Chefin und ihren Vertrauten durch die dunklen Gläser seiner Ray-Ban. Und wieder schien es zwischen den beiden zu blitzen, obwohl er deren ebenfalls mit dunklen Gläsern bedeckte Augen nicht sehen konnte.

      Der Chauffeur sprang aus dem Wagen und hielt die dem Helikopter zugewandte Tür der Limousine auf. Sie stiegen aus. Zuerst Jean-Pierre, der auch sonst alle Kennzeichen eines Bodyguards erkennen ließ: Chauffeur kühl annicken, Jackett schließen, Kopf nach beiden Seiten drehen, Lage peilen. Er nickte erneut jemanden kühl an. Oskar bemerkte den vor dem Helikopter mit verschränkten Armen wartenden und erwartungsfrohen Piloten des Luftgefährts. Dessen Erwartungsfreude sollte nicht übererfüllt werden. Er hielt Christine zurück und erinnerte sie an ihre nicht nur herzerfrischende Offenheit. Sie war im Begriff, durchzurutschen und auszusteigen, hielt inne und drehte ihren Kopf zu Oskar. Er flüsterte ihr ins Ohr.

      »Darling, denk an die Freilichtbühne.«

      »Ups!«, kiekste sie. »Hätte ich beinahe vergessen.«

      »Dachte ich mir. Ich weiß ja, wie schwungvoll du bist.«

      Sie kicherte und stieg betont vorsichtig aus, mit – so weit es ging – geschlossenen Beinen. Dabei sah sie Oskar albern an, sodass er seinen Kopf schütteln und grinsen musste. Abgesehen von aller Gefahr und mehr als trüben Aussichten, war es für ihn wirklich die Traumbeziehung schlechthin – Liebe, Leidenschaft, Verbundenheit, jede Menge Lachen und Spaß. Die in allem beste Frau, die er sich nur wünschen konnte. Eine schwerreiche obendrein. Eine, die alles hatte, was einem das Leben noch zusätzlich versüßen konnte. Auch wenn man‘s nicht darauf anlegt, ist sowas kein wirklicher