Jörgen Dingler

Oskar trifft die Todesgöttin


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– genauso, wie man es aus Filmen kannte. Erst ein paar Schalter über Kopf an der Decke des Cockpits umlegen, dann einige Knöpfe und Schalter am Armaturenbrett betätigen, Steuerknüppel in die Hand nehmen. Sie spreizte ihre nackten Beine aufreizend, als sie den Steuerknüppel an sich heranzog und sah Oskar – der sie natürlich beobachtete – verwegen lächelnd an, schob ihre Sonnenbrille auf die Nasenspitze und zwinkerte. Der schmunzelte schief, schob ebenfalls seine Sonnenbrille auf die Nase und kniff ein Auge zu. Sie lachte leise und signalisierte ihm, das zweite Headset aufzusetzen – wozu auch immer. Zur Führung dieses Luftfahrzeuges konnte er kaum etwas beitragen. Wahrscheinlich wollte sie nur seinen Erlebnisfaktor erhöhen.

      »Anschnallen, Ladies!«, blaffte sie im Stile eines Ausbilders der US-Marines.

      Oskar sah fragend zu Jean-Pierre nach hinten. Der nickte nur cool wie gewohnt und fläzte in seinem Sitz wie nach dem Einsteigen in Sofias Schlangenjet. Er war bereits angeschnallt, Blick in Richtung Christine: sie auch. Insofern war Oskar die einzige noch nicht angeschnallte ‚Lady‘ in diesem Vehikel. Klick!

      »Good afternoon, Arrecife Tower, this is Varicopter two. Ready for take off to Maryfuego, coming«, sprach sie in ihr Headset. Zur Bestätigung ihrer Worte lief der Rotor an und wirbelte gleichsam mit dem ansteigenden, düsenähnlichen Geräusch immer schneller. Ein sanfter Ruck ging durch den Helikopter.

      »Arrecife Tower, roger, Varicopter two. You have permission for take off. Leave on one-fifty for coast three, I repeat one-fifty for Maryfuego. Go on eighthundred for the first three, coast three for flight level, coming«, hörte Oskar aus seinem Headset. »Buenos dias, Christine! Hola, chica!«, schob der Fluglotse eine persönliche Begrüßung nach. Christine lachte.

      »Roger, Arrecife tower. Varicopter two leaving in onehundredandfifty degrees, climbing on eighthundred feet for the first three miles, heading coastsector three for flight level. Costa tres, comprende, amigo«, quittierte sie in perfektem Englisch die Vorgaben des Towers und schickte einen spanischen Rückgruß hinterher. »Hola, chico! Que pasa, Manuelito?«

      »Alles klar, Mädchen! Lass knacken!«, antwortete der Fluglotse in einem witzig gestelztem Deutsch, das er sich allem Anschein nach von Touristen aus dem Ruhrgebiet angeeignet hatte.

      Christine lachte abermals auf, drückte wieder ein paar Knöpfe und zog den Steuerknüppel an sich heran. Der Helikopter hob ebenso schwungvoll ab, wie es seine heiße Pilotin anscheinend in allem war. Oskar umfasste reflexartig den Handgriff oberhalb der Tür. Auch wenn er – wie von Christine beabsichtigt – durch den ruckartigen Start überrascht wurde, war es ein

       Geiles Gef ü hl!

      Christine grinste stolz, was Oskar nicht verwunderlich fand. Wenn man mit so tollen Spielzeugen und obendrein noch mit dem Beherrschen dieser Spielzeuge glänzen kann, dann lässt das auch abgebrühte Zeitgenossen wie eine Christine Vaarenkroog nicht unberührt. Dass sich zwei ebenfalls recht abgebrühte Mitflieger an Bord befanden, nutzte die Pilotin für Flugmanöver mit herzhaft zu nennenden Beschleunigungskräften. Der Helikopter flog eine weite Kehre und gewann gleichzeitig schnell an Höhe. Christine hielt auf das Inselinnere zu. Vor ihnen tauchten rostrote Vulkanlandschaften auf – Dünen, Krater, schroffes Gestein. So müsste es wohl sein, wenn man mit einer Landefähre über den Mars fliegt. Christine drehte sich zu Oskar, während er die Vulkanlandschaft vor und unter sich bewunderte. Sie dürften in der Tat nur ein paar hundert Meter (eighthundred feet) hoch sein, so wie sich alles vor seinen Augen ausbreitete.

      »Wir müssen über die ganze Inselbreite zur Westküste fliegen, damit wir den an der Ostküste startenden und landenden Tourijets nicht ins Gehege kommen«, sprach über Bordfunk in das Headset. »Die meisten fliegen über den Osten an, und es ist viel los.« Sie sah zu Oskar, der suchte etwas, nestelte an seinem Mundstück. »Sprich einfach rein. Nur für die Kommunikation nach draußen muss man ein Knöpfchen drücken.«

      »Verstehe.«

      »So kommst du in den Genuss des vulkanischen Nationalparks von Lanzarote. Den würdest du kaum sehen, wenn wir an der Ostküste langfliegen würden«, erläuterte sie mit einem Lächeln und zeigte mit dem Finger auf schwarze Hügel mit kreisförmigen Mustern. »Das sind übrigens Weinberge.«

      »Was? Weinberge???«

      »Ja, mein Schatz. So sehen hier Weinberge aus. Natürlich auch vulkanisch.«

      Mitten in den nicht nach Weinbergen aussehenden Weinbergen waren Häuser zu erkennen. Manche davon wirkten wie großzügige Anwesen, wie Haciendas.

      »Hier im Weingebiet gibt es eine ebenso schicke wie urige Bodega, die wir mal besuchen müssen«, säuselte ihre Stimme aus den Kopfhörern in seine Ohren. »Die Weine der Insel sind okay, aber in der Mehrzahl nicht sooo toll. Manche Weine sind wiederum verdammt gut. Man muss nur wissen, welche.«

      »Und du weißt natürlich, welche gut sind«, schlussfolgerte er.

      »Klar doch.«

      »Dann gehe ich liebend gern mit dir in diese Bodega, mein Schatz.«

      Mittlerweile hatten sie die Westküste erreicht. Sie flogen über dem Meer nach Norden. Christine zog den Helikopter nach oben und legte ihn dann in eine leichte Schräglage, um ihrem Premierengast einen weiten Blick über die Insel zu ermöglichen. Oskar kam sich wie in einem Aufzug vor, einem äußerst schnellen Panoramaaufzug. Er brauchte nur aus seiner Seite rauszuschauen und hatte die halbe Insel vor sich ausgebreitet. Christines Flugkünste waren ebenso beeindruckend wie die Landschaft. Ersteres war nicht wirklich eine Überraschung. Alles, was sie konnte, konnte sie anscheinend geradezu unnatürlich gut.

      »Wow«, entkam es ihm. »Wirklich ein sehr interessantes Terrain.« Er drehte seinen Kopf, um soviel wie möglich auf einmal zu erfassen. Sie flogen mittlerweile deutlich höher, sodass er viel von der Insel sehen konnte. Die Landschaft unter ihnen bot die volle Palette an Farbtönen auf: rotbraune Lavagebirge seitlich hinter ihnen, unter ihnen schwarze Vulkanwüsten, vor ihnen in Richtung Ostküste üppiges Grün, das terrassenförmig angelegt war, dazwischen kleine Orte mit bunten Häusern… und natürlich das blaue Meer.

      Christine grinste noch breiter als zuvor. So, als dachte sie sich:

      ‚Wart‘s ab, mein Lieber, das Beste kommt noch!‘

      Jean-Pierre war die ganze Zeit über gar nicht zu merken. Oskar drehte sich nach hinten. Kein Wunder: Er hing in seinem Sitz und schlief mit aufgesetzten Ray-Bans und iPod fest wie ein Baby. Oskar schmunzelte. Er mochte diesen Burschen, der ihm anfangs alles andere als geheuer war. Seine damalige Abneigung war nichts anderes als männliches Konkurrenzdenken. Er war eifersüchtig auf ihn gewesen, bereits beim ersten Aufeinandertreffen eifersüchtig auf einen anderen Mann an Christines Seite. Weil es ihn vom Start weg erwischt hatte, er sich vom Fleck weg in die nunmehrige Helikopterpilotin verliebt hatte. Als er den schlafenden Jean-Pierre schmunzelnd und fast brüderlich mitfühlend ansah, wurde ihm das zum ersten Mal wirklich bewusst.

      Er liebte Christine vom ersten Aufeinandertreffen an. Verrückt. Wie im Kino oder Kitschroman.

      Die Schräglage brachte den Helikopter ins Landesinnere zurück, was bald von einer Stimme im Headset quittiert wurde. Oskar erschrak unmerklich, er sah zu Christine, die wieder einmal absolut cool blieb.

      »Varicopter two, you‘ve left coastsector three for about three minutes and are heading to the East.«

      »Weiß ich selbst!«, blaffte sie, um erst dann den Knopf für den Sprechfunk nach außen zu betätigen. »I know, sorry, Manuel«, piepste sie reumütig.

       Was f ü r ein Biest! Kommst du mit sowas eigentlich immer durch, mein Schatz?

      »Que pasa, Christine? Problemas?«, fragte der Fluglotse.

      »No, sightseeing.« Sie grinste schelmisch. Es folgte eine süßliche Konversation auf Spanisch. Wer konnte einer Christine Vaarenkroog schon böse sein? ‚Manuelito‘ auf jeden Fall nicht. Okay, Pedro konnte. Christines Gesicht verfinsterte sich.

      »Tagsüber scheißen sie sich mit ihren Flugkorridoren