Dominik Michalke

Arym Var


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mit ihr anstellen würde oder was er ihr sagen würde. Es war ihr egal, was sein Mutantenscheusal für Gedanken aus ihr heraussaugen würde.

      Seit der Begegnung mit der fremden Spezies war Morgaine ein anderer Mensch.

      Sie ignorierte die Umgebung, die durch die gelben Funken hinter der Transportkapsel an ihr vorbeiraste und stand schließlich vor der rothaarigen Mutantenfrau, die vor Ravenbergs Zimmer hinter einem Tisch saß und ihr ein seltsames und zugleich widerliches Lächeln zuwarf. Morgaine hatte gute Lust, ihr ohne tiefere Gründe die Faust zwischen die Zähne oder auf eins ihrer leuchtenden blauen Augen zu jagen. Sie kontrollierte dann jedoch ihre Aggressionen und trat durch die geöffnete Tür in Ravenbergs Zimmer.

      Morgaine ließ ihr Script-Pad fallen und ging fast zu Boden, als die abscheuliche Telepathiemutantin alles und tatsächlich alles was passiert war –alle Gedanken, alle Worte, alle Handlungen – aus ihrem Kopf heraussaugte wie eine Spinne, die ihr Opfer aussaugt.

      Ravenberg saß ruhig hinter seinem erhöhten Pult und betrachtete die Situation gelassen. Er faltete die Hände zusammen und verzog seine markanten Züge zu einem unlesbaren Gesichtsausdruck. »Captain Morgaine Hera.« Er klang wie bei ihrem ersten Treffen.

      Als Morgaine sich wie von einem betäubenden Schlag auf den Kopf erholt hatte, zögerte sie nicht länger, ihre sämtlichen Sinne mit Hass und Verachtung gegenüber der Mutantin, Ravenberg und sogar dem gesamten AKZ zu füllen und sie gedanklich in den Raum zu schleudern.

      Ravenberg machte ein Geräusch wie ‚ts, ts, ts‘ und schüttelte sachte und amüsiert den Kopf.

      »Captain Morgaine Hera«, wiederholte er, nun leicht lächelnd. »Wer wird denn gleich ...«

      Morgaine war sich sicher, dass er alles wusste. Er konnte ihre Wut an seinem Bildschirm ablesen. Er wusste, dass der Großteil der Streitmacht der Stronghold zerstört war. Er wusste einfach alles.

      Ein blubberndes Geräusch drang von dem Behälter der Mutantin zu Morgaine. Sie verzichtete darauf, ihren Blick von Ravenberg abzuwenden.

      »Also sind die Wahrsagungen tatsächlich eingetroffen«, sagte er schließlich nachdenklich, aber ohne seinen kalten Ton zu verlieren. »Die Neuigkeiten sind in der Tat beunruhigend. Die Talloniden beeinträchtigen den Fortschritt der Andragon-Kantone.«

      Wahrsagungen? Morgaine verstand kein Wort.

      »Lassen sie es mich erklären, Captain Morgaine Hera.« Wenn Ravenberg ihren Namen aussprach, hatte Morgaine das Gefühl, Messerstiche versetzt zu bekommen. »Über viele Jahre habe ich gelernt, auf die Hinweise meiner teuren Freundin zu hören.« Er wies verhalten mit der rechten Hand auf die Mutantin. »Doch vor wenigen Wochen zeigte sie mir einige beunruhigende ... Bilder. Sie zeigte mir, dass die Andragon-Kantone in absehbarer Zeit auf eine harte Probe gestellt werden würden. Meine Aufgabe wird sein, sie in dieser schweren Zeit zu leiten.« Er senkte den Blick wie ein Priester, der die Absolution erteilt, lächelte und fuhr fort. »Die Talloniden. Eine dunkle Präsenz im All. Sie werden schon in wenigen Erdwochen kommen.«

      Er ist verrückt, dachte Morgaine. Hätte sie gesprochen, so hätte sie sich nun auf ihre Zunge gebissen. Doch bei Gedanken war dies nicht möglich.

      »Sie halten mich für verrückt«, stellte Ravenberg monoton in den Raum, fuhr dann jedoch unbeeindruckt fort.

      Morgaine konnte ihn nicht einschätzen.

      »Nun, sie sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Zukunft der Andragon-Kantone davon abhängt, wie die Obersten des Zusammenschlusses agieren, Morgaine Hera.«

      Morgaine ergriff zum ersten Mal das Wort. Sie ignorierte die Anspannung, die Ravenberg konstant durch seine bloße Präsenz verursachte und fasste sich ein Herz. »Maurizius Ravenberg. Was hat das alles zu bedeuten? Wer sind die Talloniden und was wollen sie? Was passiert mit den Andragon-Kantonen? Ich bitte sie, mich aufzuklären.«

      Sie konnte nicht feststellen, ob Ravenberg amüsiert oder kochend vor Wut über das unaufgeforderte Erheben ihrer Stimme war.

      Er legte sein Kinn auf seine zusammengefalteten Handflächen und sah sie an.

      »Sie zeigte mir die Dunkelheit, Morgaine. Die Talloniden sind die Dämonen, die aus der Hölle aufgefahren sind um die Menschheit auf die Probe zu stellen.«

      Er ist abergläubisch, stellte Morgaine fasziniert fest.

      Zum ersten Mal konnte sie etwas wie ärger auf Ravenbergs Zügen entdecken.

      »Sie wissen nichts, Hera«, sagte er abfällig. »Überhaupt nichts. Sie kommen in ihren abscheulichen Kokons in unser System, weil sie hinter dem Artefakt von Arym Var her sind, mit dem sie sich die Welt zu Eigen machen wollen. Unsere Aufgabe ist, dies zu verhindern. Wir werden das Artefakt gegen sie selbst benutzen.«

      »Welches Artefakt?«, fragte Morgaine.

      »Das Artefakt der Hüter«, antwortete Ravenberg bestimmt, als würde das alles erklären.

      Morgaine wartete.

      Ravenberg stand auf und ging langsam von seiner Erhöhung hinter dem Pult herunter. Er machte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck und stellte sich vor die Glasröhre, in der die entstellte Mutantin schwebte. Die Frau schien ihr pupillenloses Auge zu bewegen. Ihr offener, verzogener Mund zuckte, als würde sie auf einem großen unsichtbaren Gegenstand kauen. Wieder kam ein leises, zischendes Geräusch aus dem oberen abgedeckten Teil der Glassäule.

      Einer der Schläuche, die aus dem Kopf der Mutantin ragten, vibrierte leicht.

      Ravenberg strich langsam mit seiner rechten Hand über die Glasoberfläche und starrte auf das abscheuliche Wesen. »Das hat auch sie mir gezeigt«, sagte er fast sanft. »Es ist ein heiliges Artefakt. Wir vermögen noch nicht zu beurteilen, was genau das Artefakt in sich birgt. Aber wir müssen es finden, bevor die Talloniden es tun. In diesem Moment suchen wir bereits danach.

      Wir vermuten es aufgrund von entdeckten ungewöhnlichen Energiesignaturen auf Infidelis. Es wird nicht einfach sein, das Artefakt zu bedienen. Doch meine Gehilfin leitet mich bereits auch zu einem geheimen Code, der das Artefakt entschlüsselt.

      Die Talloniden kommen von jenseits des Weltraums. Sie kommen von dem Ort, der sich hinter den Grenzen des Universums verbirgt. Wenn wir das Artefakt besitzen und seine Macht ergründen, werden wir sie dort zurücktreiben wo sie hingehören.«

      »Warum kommen sie von diesem Ort ausgerechnet in unsere Systeme?«

      Ravenberg machte ein Gesicht, als würde ihn Morgaines Frage überfordern.

      »Das Artefakt jedoch«, fuhr er dann fort, als hätte sie nie gesprochen, »ist nicht unser einziger Trumpf. Es gibt noch etwas ...« Er machte einen seltsamen Gesichtsausdruck, als er sich ihr wieder zuwandte. »Sie haben sich bewährt, Captain Hera.«

      Morgaine war nicht wenig erstaunt.

      Ravenberg wurde ernst. »Sie haben uns mit ihren Handlungen nahe dem Bogenscheinportal nach ‚Grüner Schlund‘ demonstriert, mit welcher Art von Feind wir es zu tun haben. Sie haben diese Informationen ohne Zwischenfälle überbracht.«

      »Aber, die ... die Streitmacht der Stronghold ... ich habe sie ...«, hauchte Morgaine.

      Doch Ravenberg unterbrach sie. »Dies ist irrelevant, Captain. Einzelne Menschenleben sind ersetzbar, Maschinen und Waffen kann man neu bauen. Doch um was es geht ist das Gesamtbild. Die gesamten Kantone. Der einzige große Andragon, verstehen sie? Den gilt es zu bewahren und zu vervollkommnen!«

      Seine Augen schienen zu leuchten.

      »Ich glaube nicht, dass ihr Vater derartige Werteansichten mit seiner Vision des einzigen großen Andragons vereinbaren konnte, Maurizius.« Morgaine war schockiert über sich selbst, dass sie diesen Satz so eiskalt und hasserfüllt in den Raum gestellt hatte.

      Ravenberg schien grau zu werden. Sein Mund wurde ein dünner Strich, seine Züge waren wie eingefroren.

      Jetzt ist es vorbei, dachte Morgaine. Sie hatte damit gerechnet, dass sie die Epos betreten und nicht mehr verlassen würde. Doch nun,