ich erst verarbeiten.« Ich atmete tief durch und versuchte das merkwürdige Verhältnis der beiden zu begreifen. Das war zu arg. Ein Kulturschock. So etwas Bizarres hatte ich noch nie erlebt.
»Ich hatte auch einige Zeit gebraucht, bis ich mich daran gewöhnt hatte. Erst nach und nach waren meine Bedenken, dass seine Persönlichkeit Schaden nehmen könnte, verflogen. Sowie die Befürchtung, dass ich ihn ausnutzen und seiner Freiheit berauben würde, dass ich zu viel von ihm fordern könnte. Jetzt bin ich zufrieden, wie es läuft. Er ist vollkommen glücklich in seiner Situation, das kann ich dir versichern.«
Die meisten Fragen, die ich zu dem seltsamen Verhältnis der Beiden hatte, waren mittlerweile beantwortet. Begriffen hatte ich es dennoch nicht. Aus ihren Äußerungen schloss ich, dass sie genauso wenig wie ich verstehen konnte, was ihren seltsamen Mitbewohner zu diesem absurden Dasein trieb. Sie hatte sich offensichtlich daran gewöhnt. Und schien es zu genießen.
»Warum ist er nackt?«, wollte ich zum Schluss noch wissen.
»Darüber haben wir nie richtig gesprochen. Er hat niemals mehr ein Kleidungsstück angerührt, seit er sich mir unterworfen und in einer Art Zeremonie seine Klamotten abgelegt hat. Ich bin mir nicht sicher und schwanke zwischen zwei Theorien. Die erste wäre: ein Sklave darf niemals Eigentum besitzen, dazu gehören auch Anziehsachen. Meine zweite Idee ist, dass es seiner wahren Natur entgegensteht, Kleidung zu tragen. Er hat etwas von der Seele eines zahmen Tieres. Ein Schoßhündchen trägt ja auch nicht mehr am Leib als seine Körperbehaarung.«
Im Unterschied zu ihm besitzt ein Hund aber ein Fell, dachte ich, musste mir jedoch eingestehen, dass es bei einem Rüden genauso wenig die Blöße bedeckte.
Als wir das Eiscafé verlassen hatten und durch die Stadt streiften, musterte ich die Menschen um uns und fragte mich, wie viele von ihnen vielleicht ein ähnliches, aber noch nicht entdecktes Bedürfnis hatten. Männer, die einen verborgenen Sklaven in sich trugen, von dem sie bisher noch nichts wussten. Wie viele der Frauen, die in der Einkaufsmeile unterwegs waren, hatten solch einen Diener zuhause? Man sah es ihnen ja nicht an. Möglicherweise waren es viele. Vielleicht war ich sogar eine der letzten Frauen, die noch keinen eigenen Sklaven besaß.
Am Marktplatz verabschiedeten wir uns. Sie bestieg ihre Bahn in Richtung Weststadt, während ich mich auf den Weg zu meiner Wohnung im Süden machte.
Es war auch nicht so, dass mir das Thema völlig fremd gewesen wäre. In Talkshows wurde es regelmäßig angesprochen, dieses bizarre Spiel zwischen Domina und devoten Männern, die viel Geld dafür bezahlten, um sich am Feierabend den Hintern von einer Frau versohlen zu lassen. Solche Behandlungen finden vor allem in der gutsituierten Gesellschaft statt. Dieses Verlangen, sich demütigen zu lassen, scheint besonders häufig bei Topmanagern verbreitet zu sein. Bei erfolgreichen Menschen, die mächtige Unternehmen führen und die Vorstandschefs von Autokonzernen, Großbanken, Versicherungen und Bauunternehmen sind. Sado-Masochismus ist zu einem wichtigen Wirtschaftszweig geworden. Es ist auch nicht wirklich ein schmutziges Geschäft, wenn man als Domina arbeitet, es unterscheidet sich nur gering von der Profession eines Psychologen, dessen Aufgabe es ist, gewisse Unstimmigkeiten im Kopf der Klienten wieder auf die rechte Bahn zu bringen. Manager, die ihre Mitarbeiter wie Schweine behandeln und sich zum Ausgleich demütigen lassen, um das psychische Gleichgewicht wiederherzustellen. Das Spiel von Dominanz und Demütigung wurde in der Literatur häufig aufgegriffen, auch in der umgekehrten Rolle: eine biedere Hausfrau, die sich von einem dominanten Mann verführen lässt und ihre verborgene Leidenschaft für Fesselspielchen entdeckt.
Aber was schweife ich ab – das ist alles nur Kindergarten. Das Verhältnis von Jana und ihrem Hausdiener war kein Spiel. Es war die Realität. Ihr Mitbewohner war vollends in seiner Rolle aufgegangen und zu einem Sklaven mit Leib und Seele geworden, der kein anderes Leben mehr führte.
Heute fand die große Party anlässlich des 20-jährigen Bestehens unseres Gothic-Clubs statt. Wie erwartet, erschien auch Jana in ihrem schwarzen Engelskostüm. Wir beide waren treue Stammgäste des Szeneschuppens und trafen uns jeden Freitag in diesem Gewölbekeller. Alle hatten sich heute besonders in Schale geworfen: Goth-Queens in hohen Lederstiefeln und eng sitzender Korsage, manche trugen sogar besonders gewagte Negligees und Strapse. Männliche Gäste kamen in Lack- und Lederkluft, mehr als sonst waren sie mit schwarzen Kilts bekleidet. In den Gesichtern der Besucher war nicht an Schminke gespart worden: viele waren totenblass mit roten Blutrinnsalen, die über ihre Stirn liefen, oder sie waren Vampire mit spitzen Zähnen, denen Blut aus den Mundwinkeln triefte. Manche trugen Kontaktlinsen, die aussahen wie Katzen- oder Reptilienaugen, oder hatten so weiße Linsen, dass man ihnen kaum in die Augen sehen konnte, ohne ein mulmiges Gefühl zu bekommen.
Ich stand gerade mit meiner Freundin an der Theke und wir hielten Sektgläser in der Hand, als zwei Frauen in einem typischen Gothic-Dress hereinkamen. Nichts Ungewöhnliches, außer dass die erste, die eintrat, ihre Begleiterin an einer Hundeleine hinterherzog.
»Du hättest deinen Sklaven auch mitbringen können«, flüsterte ich zu Jana und musste grinsen.
»Nein!« Sie schüttelte resolut den Kopf. »Das ist mir zu privat. Es gibt außerdem das Problem, dass ich ihn in Kleidung hineinzwängen müsste. Was er nicht ertragen würde. Selbst hier hätten einige Leute sicher etwas dagegen, wenn er nackt herumliefe.«
Ich nickte. Schade. Wirklich auffallen würde es in diesem Schuppen nicht. Bis auf das Fehlen des Outfits.
Schwarze Gummibärchen und schwarze Kartoffelchips waren als Knabberei bereitgestellt, zum Trinken gab es Schwarzbier oder schwarzen Sekt – Schaumwein gemischt mit Johannisbeersaft. Fledermäuse und Spinnen tanzten im Rhythmus der Bässe an der Decke, eine schwarze Hexe schwebte mit rot blinkenden Augen über uns und dunkle Spinnweben waren zwischen allem gespannt, passend zum Stil der ›Schwarzen Nacht‹.
Zwischendurch wurde die Tanzfläche eine halbe Stunde geräumt und es fanden Fesselspiele statt. Besucher ketteten sich gegenseitig an oder ließen sich an Armen und Beinen fesseln. Abseits in den dunklen Kammern der großen Halle wurde für Besucher, die auf Schmerzen standen, PainBall veranstaltet. Man konnte zuschauen oder selbst daran teil nehmen.
Mit Jana spazierte ich durch die Nebenräume und wir schauten uns alles an. Im ersten Raum ließ eine Schwarze Domina ihre Peitsche auf einen Mann sausen, der nur mit einem schwarzem String-Tanga bekleidet war. Im nächsten sahen wir Graf Dracula und seine drei Gespielinnen einen bizarren erotischen Tanz aufführen. Im dritten Raum verbissen sich zwei Grazien in einen langhaarigen Highlander und träufelten Kerzenwachs auf seine Brust. Danach kam die Folterkammer, in der ein Käfig von der Größe eines Quadratmeter-Würfels an der Decke hing: ein halbnackter Mann verrenkte sich darin und gab gequälte Laute von sich. Auf der Streckbank lag ein weiteres Opfer, während eine Goth-Queen einen Mechanismus betätigte, der ihn scheinbar in die Länge zog. Mitten im Raum befand sich ein großes Holzrad, an dem ein Schwarzromantiker angekettet war und sich vertikal drehte. Im Hintergrund wurden Peitschenhiebe auf Hände und Köpfe verteilt, die aus einem Pranger herauslugten. Gellende Schreie hallten durch die düstere und nur von einer einzelnen Kerze beleuchteten Kammer.
Nachdem wir aus dem letzten Raum herausgetreten waren, musste ich laut gähnen. Alles war irgendwie unecht, nur Show. Vielleicht war ich auch zu müde. Ich gähnte nochmals.
»Mich reißt das auch nicht mehr so richtig«, kommentierte Jana. »Wie wär's, du kommst in den nächsten Tagen nochmal zu mir? Ich habe etwas Besonderes vor. Ich melde mich gleich morgen bei dir.«
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