richtigen Tahitianer kennenzulernen. Es sind natürlich keine Wilden, nicht alle. Die Frauen sind hübsch, auch die älteren. Die Männer sind mitunter die Wilden oder sehen wild aus, besonders wenn sie keine der typischen Umhänge, wie Pareos oder Tapas tragen und daher ihre Bemalungen zu sehen sind. Erst später erfuhr ich, dass es Tätowierungen sind. Ich kannte so etwas nur von einigen der Seeleute, auf der New South Wales und der Cormoran. Während die Seeleute nur wenig verziert waren, haben es die Tahitianer zur Perfektion gebracht. Bei den Älteren gibt es kaum eine Stelle des Körpers, die keine dieser Linien und Symbole trägt. Auch die Frauen haben Tätowierungen, die aber viel dezenter sind. Die Kirche auf Tahiti lehnt das Tätowieren gänzlich ab und will die Menschen dazu erziehen, es zu unterlassen. Bei den jüngeren Tahitianern soll die Kirche damit schon erfolgreich sein.
Papeete, 14. Juli 1895
Heute ist Nationalfeiertag. Ich bin in Frankreich, das habe ich in den letzten Tagen nie so deutlich gespürt, wie heute. Die ersten zwei Wochen in Papeete war ich mehr mit den Kindern, unserem Haus und mit Victor beschäftigt. Heute war der Feiertag Anlass, mich auch in die Gesellschaft einzuführen. Ich habe unzählige Namen gehört, wurde unzähligen wichtigen und unwichtigen Leuten vorgestellt, sodass ich noch eine Zeit lang benötige, um mir die Namen einzuprägen. Einen Namen habe ich aber sofort behalten, Gouverneur Papinaud, der wichtigste Mann auf Tahiti, ja vielleicht in ganz Ozeanien. Dies gilt zumindest für den französischen Teil und dieser Teil ist unendlich groß, zwar nicht an Land, aber doch an Fläche, wenn die Meeresoberfläche mit eingerechnet wird. Gouverneur Pierre Louis Clovis Papinaud ist durchaus ein freundlicher Mann, was vielleicht daran liegt, dass seine Ablösung bereits für das nächste Jahr geplant ist und er sich somit seinen anstrengenden Pflichten entledigen kann. Ich stelle fest, dass ich mir sogar seine ganzen Vornamen merken konnte.
Papeete, 7. August 1895
Ich besitze jetzt eine Landkarte von Tahiti und beschäftige mich damit. Mein Atlas hat hier versagt und so musste Victor mir die Karte besorgen. Tahiti besteht eigentlich aus zwei Inseln, Nui und Iti. Tahiti Nui wird durch den Mount Orohena beherrscht. Ich habe seinen Gipfel das erste Mal von See aus gesehen. Der Orohena ist zweitausendzweihundert Meter hoch. Auf Tahiti Iti gibt es einen weiteren Berg. Es ist ebenfalls ein erloschener Vulkan, wie ich gelernt habe, der Mount Rooniu. Er ist aber deutlich kleiner, nur gut tausenddreihundert Meter hoch. Dann interessieren mich auch die Städte auf Tahiti, aber außer Papeete sind es wohl eher nur Dörfer. An der Südküste sind es Mahina, Papenoo und Faaone und im Norden Punaauia und Mataiea. Auf Tahiti Iti gibt es dann noch Tautira, das zu erwähnen sei. Ich muss mich auch an diese Namen gewöhnen, denn es gibt keine französischen Bezeichnungen. Ich werde mir alles genau einprägen, so wie ich die Arrondissements von Paris kenne. In Zukunft möchte ich auch ohne Karte sofort wissen, wo Mahina liegt oder Tautira. Es gehört dazu, als Bewohner dieser Insel.
Papeete, 31. August 1895
Mehr als einen Monat habe ich Thérèse und Julie ganz alleine versorgt, da mir Schwester Jolanta ja abhandengekommen ist. Jetzt habe ich eine vielversprechende Nachfolgerin. Sie heißt Fanaa. Ja ich habe doch eine Insulanerin als Kindermädchen genommen. Fanaa ist siebzehn und sie wurde von Nonnen erzogen, seitdem sie fünf ist. Sie ist ein Waisenkind. Eigentlich ist sie doch mehr Französin. Sie spricht die Sprache nicht anders als Victor und ich. Sie kleidet sich streng, so wie sie es von den Nonnen gelernt hat. Sie betet viel, so wie ich es von Schwester Jolanta auch gewohnt bin. Ein großer Vorteil ist, dass Fanaa in der Säuglings- und Kinderpflege ausgebildet wurde, was sie sogar mit einem Zeugnis belegen kann.
Papeete, 17. September 1895
Es gibt tatsächlich eine Schiffsverbindung zwischen Samoa und Tahiti. Ich habe Post von Aliette erhalten. Wir haben die Gemeinsamkeit, dass wir uns beide in einer neuen Umgebung zurechtfinden müssen. Pago Pago liegt an einer schönen Bucht, es ist dort warm und derzeit noch recht trocken, doch die Regenzeit soll in einem Monat beginnen. Es gibt sehr viele Amerikaner auf Tutuila. Aber Amerika ist nicht die einzige Schutzmacht auf den Samoa-Inseln, denn auch die Engländer und die Deutschen haben dort Marineeinheiten stationiert.
Papeete, 25. September 1895
Bisher haben die Mädchen mehr gegurgelt oder gekreischt oder Juchzlaute von sich gegeben und haben sich dabei zu übertreffen versucht, wenn eine von ihnen damit angefangen hat. Es war manchmal ganz schön laut. Seit einigen Tagen ist etwas Neues dazugekommen, ein Plappern. Meine beiden saßen auf ihrer Bastmatte und haben mit den Bauklötzen gespielt. Thérèse war die Erste, bei der ich es gehört habe. Ich saß am Schreibtisch und habe mich gleich umgesehen. Julie hat ihre Schwester erst ganz erstaunt angeschaut und dann hat sie es nachgemacht. Es blieb nicht dabei. Wenn es ganz still ist im Haus, fangen die beiden plötzlich an. Es sind keine richtigen Worte, ich kann zumindest nichts davon verstehen. Victor allerdings auch nicht, was daran liegt, dass sie nicht plappern, wenn er sich im Raum befindet. Sie schauen ihn immer nur gebannt an, aber lassen nichts von sich hören. Dann habe ich noch festgestellt, dass ich in Zukunft besser auf meine Lieblinge aufpassen muss, denn die ersten Krabbelversuche haben schon begonnen und kaum merke ich es, ist die eine auch schon fast bis zur Tür gekommen, dicht gefolgt von der anderen. Es wird jetzt sicherlich anstrengender, aber irgendwie auch schöner.
Papeete, 3. Oktober 1895
Ich hatte in den letzten Wochen Gelegenheit mich auf der Insel umzusehen. Papeete ist wie eine Stadt, die charakteristischen Dörfer, wie ich sie mir in den Kolonien vorgestellt habe, finden sich eher auf dem Lande. Während der Weltausstellung in Paris wurden auf der Esplanade vor dem Invalidendom Hüttendörfer gezeigt. Solche Hütten finden sich auch auf Tahiti, sie werden Farés genannt. Das Leben in den Dörfern Tahitis sieht aber anders aus, als es auf der Weltausstellung gezeigt wurde. Die Menschen sind bei der Arbeit zu sehen, Kinder spielen, die Frauen kochen, doch nichts ist gestellt, weil es ja das wirkliche Leben ist und keine Vorführung. Natürlich sprechen die Leute hier ihre eigene Sprache, aber wenn ich mit ihnen rede, antworten sie fast immer höflich auf Französisch. Eigentlich müsste ich den Ehrgeiz haben, die Sprache der Einheimischen zu erlernen und vielleicht kommt das ja auch noch. Mein erstes Wort habe ich bereits gelernt und so weiß ich, dass »Fei« Banane heißt. Einen weiteren Ausdruck habe ich auf der Straße gelernt, er lautet »No atu«. Ich habe jemanden gefragt, was es bedeutet, weil dieses »No atu« recht häufig benutzt wird. Ich war etwas erstaunt, denn es heißt so viel wie: »Ich pfeife darauf«. Die Leute hier auf Tahiti nehmen vieles nicht so wichtig, wie mir ein Ladenbesitzer erklärt hat. Einem Franzosen, einem europäischen Franzosen würde allerdings niemand das »No atu« durchgehen lassen.
Papeete, 22. Oktober 1895
Bei den Briefen, die ich heute zur Post gebracht habe, war auch einer für Colonel Dubois dabei. Victor schreibt ihm regelmäßig und er hat auch schon Antwort bekommen. Auf diese Weise erfährt Victor, was in Frankreich vor sich geht, was in Militärkreisen berichtet wird.
Papeete, 1. November 1895
Mein erster Geburtstag auf Tahiti. Ich war an diesem Tag noch nie so weit von zu Hause fort. Ich muss auch nachdenken, ob ich meinen Geburtstag jemals an einem anderen Ort außer Paris begangen habe. Natürlich muss ich nicht lange überlegen, die ersten zehn Geburtstage fanden in Vannes statt, aber seither war es immer Paris. Vannes, Paris, Papeete, warum sollte ich diese Kette nicht weiterführen und ihr zahllose exotische Orte hinzufügen. Obwohl Tahiti so einsam im großen Ozean liegt, gibt es doch jede Menge anderer Inseln, die ich an künftigen Geburtstagen besuchen könnte. Ich werde es Victor als Geburtstagsgeschenk auftragen. Mein großes Geschenk für dieses Jahr ist aber Victor selbst und meine beiden Mädchen und dass wir alle wieder glücklich vereint sind.
Papeete, 10. November 1895
Es gibt eine Sache, die ich an Tahiti sehr zu schätzen weiß. Es ist ein Öl, das aus den Blüten der Gardenie gewonnen wird. Die Maori nennen es Monoi-Öl. Es duftet herrlich und macht die Haut weich