Peter Urban

Der Herr des Krieges Teil 4


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ihr vom Herzen. Sie hatte inzwischen von den Adjutanten, Sir James Dullmore und vielen verwundeten Offizieren eine genaue Schilderung der Kämpfe der letzten zehn Tage erhalten. Es war eine verwirrende, blutige Sache gewesen. Die Leoparden hatten jeden Quadratinch der Pyrenäen und Navarras fanatisch verteidigt, die Adler ohne Gnade in Stücke geschlagen und wieder nach Frankreich vertrieben.

      „Vielleicht kommen Sie aber trotzdem mit und sehen sich unseren General einmal an. Er ist mir einfach ohnmächtig in die Arme gesunken, voller Prellungen, blauer Flecke, Schürfwunden und Gott weiß was ... Und er ist heiß vom Fieber!“

      „Geh nur, Sarah! Ich kümmere mich um deine Patienten!“ Dr. Hume nahm Lady Lennox die Teetasse aus der Hand.

      Gemeinsam mit Sergeant Dunn stieg die junge Frau in den dritten Stock des Wehrturms hinauf. Der alte Mann schleppte eine große Schüssel mit warmem Wasser. Eine Stunde später hatten sie Wellington mit einiger Mühe überredet, sich von den Reitstiefeln und der zerfetzten Feldjacke zu trennen, den schlimmsten Schmutz der Berge abzuwaschen und sich dann wieder brav und fügsam in sein sauberes, weiches Bett zu begeben und auszuschlafen. Im großen Kessel über dem Kamin von Johns Küche köchelte eine Gemüsesuppe vor sich hin. Das Hauptquartier, das eigentlich immer einem Bienenschwarm glich, war totenstill. Fitz, Campbell und Antonio rührten sich schon seit zwei Tagen nicht aus ihren Zimmern. Jeder hielt sich genüsslich an seiner Bettdecke fest und wartete faul darauf, bis John oder der kleine Meadows mit einem gefüllten Tablett auftauchten. Nach der siegreichen Schlacht in den Pyrenäen war nun die größte Sorge der jungen Herren Offiziere darauf gerichtet, zu schlafen und sich von Sergeant Dunn stopfen zu lassen, wie die Weihnachtsgänse: Gemüsesüppchen, heiße Milch mit Honig, süßer Milchreis mit Äpfeln; alles was ihre völlig aufgebrauchten Kräfte wieder zurückbringen konnte ...

      Lady Lennox ließ sich am Küchentisch nieder. John schenkte ihr eine große Tasse heißen Kaffe ein und schöpfte eine Portion leckerer Gemüsesuppe in einen Teller. „Jetzt sind sie alle endlich wieder zuhause, Mylady! Ich hab mir noch nie solche Sorgen um unsere jungen Herren und Sir Arthur gemacht. Früher kamen sie immer gemeinsam zurück, wenn die Schlacht zu Ende war und die Dunkelheit eine Verfolgung des Feindes unmöglich machte. Aber dieses Mal“, nachdenklich sah er die Capitaine-Ferraris-Karte an der Wand an, „es ist eine verwirrende Ecke der Welt! Ein paar von meinen alten Freunden aus den Regimentern und Will Howard haben mir erzählt, was in den letzten zehn Tagen passiert ist. Ich kenne die Version von Lord Somerset, die von Sir Colin, die von Don Antonio und die von Robin ... Ich hab irgendwie gar nichts begriffen!“

      Sarah ließ es sich schmecken. Immer wenn die Leoparden nach Blut und Ehre schrien, war sie so vollauf beschäftigt, daß sie sich ihren Magen nicht füllen konnte. Während die Kanonen und der Lärm der Kämpfe in die Berge gedrungen waren, hatte sie das Hospital immer nur verlassen, um drei oder vier Stunden erschöpft auf ihr Bett zu sinken und ein bißchen zu schlafen. Die Gemüsesuppe war ihre erste warme Mahlzeit, seit die Kämpfe am Paß von Roncesvalles den Auftakt zur Schlacht gegen Soult gegeben hatten. Sie schmeckte phantastisch. John hatte dicke Karotten, Kartoffeln, Steckrüben und Lauch hineingeschnitten, am Hühnerfleisch nicht gespart und zu guter Letzt noch sämtliche Kräuter Navarras dazu geworfen. Und dann hatte der alte Mann Brot gebacken! Es war noch warm und ganz frisch. Sehr undamenhaft brach sie es in kleine Stücke und warf es in ihren Teller: „Ich hab inzwischen auch so ziemlich alles gehört und kann mir keinen Reim darauf machen, was die Leoparden und ihr Oberleopard mit unseren französischen Freunden angestellt haben. Warten wir doch einfach ab, welche Version Arthur uns auftischen wird, wenn er aus den Federn kommt. Er sieht aus, als ob die Heilige Inquisition ihn verhört hätte! Er ist völlig überanstrengt. Darum hat er auch Fieber und ich bin mir sicher, er wird in dieser Nacht einen Alptraum um den anderen haben und Schüttelfrost und weiß der Himmel was noch ... Aber in ein paar Tagen legt sich das alles wieder.“

      „Sie sollten sich einmal den Hengst ansehen! Der sieht noch schlimmer aus als sein Herr. Er lahmt zum Erbarmen, und vier dicke Beine hat er und keine Eisen mehr. Ich hab ihm kalte Wickel gemacht und ihn mit Salbe vollgeschmiert. Er stinkt, wie ein ganzes Arnikafeld! Aber er hat's friedlich über sich ergehen lassen! Hat nicht einmal nach mir gebissen und getreten wie sonst immer, dieser hellbraune Teufelsbraten! Und jetzt liegt er, brav wie ein Fohlen, mit hängenden Ohren im Stroh und läßt sich von Paddy mit Apfelstücken füttern, während der Kleine ihm die Nase krault ...“ John Dunn hatte die prächtigste Laune der Welt. Sie waren alle gesund und unversehrt zu ihm nach Hause zurückgekommen. Seine Jungs und Sir Arthur lagen wohlbehütet in ihren sauberen, weichen Betten, ließen sich von ihm umsorgen und bemuttern und aßen brav, was er ihnen auf die Teller häufte. Er würde heute nacht zum ersten Mal seit zehn Tagen wieder ruhig schlafen können. Der Himmel hatte seine endlosen Gebete erhört. Vielleicht hatte es ja genützt, daß er jeden Tag in die kleine Kirche von Lesaca gegangen war und vor der Statue der Mutter Gottes eine Kerze für sie angezündet hatte. John beschloß, ihr morgen einen Strauß Feldblumen zu bringen und ihr für diese vier Leben zu danken, die ihm so viel bedeuteten. Und natürlich würde er nicht vergessen, ihr dafür zu danken, daß sie Marys Mann beschützt hatte und den jungen Oberst Dullmore und seinen alten Freund Will Howard und all die anderen ... Früher, als er selbst noch Soldat gewesen war, da hatte er nie Angst gehabt, dem Feind entgegenzutreten. Die Aussicht, verwundet zu werden, oder sogar zu fallen hatte ihm keine schlaflosen Nächte bereitet. Er hatte immer nur vor der Schlacht seinen Rosenkranz gebetet und seine Seele dem Herrn anvertraut. Und als der Feldscher ihm in Indien, bei Argaum, das Bein abgeschnitten hatte, hatte er sich nicht beklagt oder geschrien. Er hatte es ruhig hingenommen: Soldatenschicksal! Gottgewolltes Schicksal! Erst seit seinem Abschied aus der Armee war er ängstlich geworden. Sir Arthur zog in den Krieg, ohne sich den Kopf darüber zu zerbrechen, ob er seinem Schöpfer begegnen würde oder nicht. Sir Arthur hatte mit Gott nicht viel im Sinn! Als sie das erste Mal nach Portugal gefahren waren, um sich mit den Adlern zu schlagen, da hatte sein General ihn zur Seite genommen und ihm gesagt: „Wenn das Schicksal es nicht gut mit mir meint, mein Freund ... Es gibt da ein Papier bei meinem Bruder Henry ... Seien Sie unbesorgt ... Sie haben Ihr kleines Haus in Kildare und auch ansonsten wird es Ihnen an nichts fehlen ... Die Unterlagen sind rechtskräftig. Lady Wellesley hat keine Handhabe gegen meine Entscheidung!“ Doch John zitterte trotzdem wie Espenlaub, wenn die Trompeten den Angriff bliesen, und immer, wenn der Ire auf dem Schlachtfeld stand, flüchtete der alte Mann sich zu seiner Bibel. Seine Rente, seine materielle Absicherung, all das wovon sein General mit seinem vernünftigen, rationellen Geist so ernsthaft gesprochen hatte, es kümmerte ihn wenig. Er war genügsam. Er war ehrlich gewesen und er hatte für seine alten Tage ein bißchen Geld zur Seite gelegt. Sein Alptraum war es, daß sie eines Abends zu ihm kommen würden, um ihm mitzuteilen, Sir Arthur sei für König und Vaterland gefallen ... Er hatte seine eigenen Söhne und seine Frau vor langen, langen Jahren begraben müssen. Das hatte ihm damals das Herz gebrochen. Doch er war noch jung genug gewesen, um seinen Weg im Leben weiterzugehen. Heute war er ein alter Mann und sein Herz hing genau so sehr an Lord Wellington, wie es einst in glücklicheren Tagen an seinen drei Jungen und seiner Kathleen gehangen hatte. Er spürte, daß er es nicht überleben würde, wenn er seinen General begraben mußte.

      Vier Tage nach Lord Wellingtons Rückkehr fing das Hauptquartier wieder an, sich ein wenig zu regen: Somerset machte Küche und Kochtopf unsicher. Der jüngste Sohn des Herzogs von Beaufort war inzwischen 24 Jahre alt. Und trotzdem mußte John Dunn die Marmeladentöpfe vor ihm retten, genau wie damals, vor langer, langer Zeit, als sie zum ersten Mal in Portugal gelandet waren und Fitz nicht vielmehr gewesen war, als ein verängstigtes Kind in einer roten Uniform. Campbell erledigte den seit zwei Wochen vernachlässigten Schriftverkehr mit Whitehall und dem Kriegsministerium. Und wenn er nicht nach London schrieb, dann schrieb er an seine Frau. Als sie Freneida verlassen hatten, um gegen die Adler zu ziehen, hatte er Lady Campbell nach Coimbra schicken müssen. Sie konnte ihm nicht folgen, wie sie es so viele Jahre getan hatte. Sie erwartete ihr erstes Kind. Er hatte sie der Obhut von Don Antonios Vater anvertraut. Jeden Tag rechnete er mit einer freudigen Nachricht aus der Quinta dos Lagrimas. Wenn er nicht arbeitete oder an Lady Campbell schrieb, saß er im Garten und grübelte darüber nach, welchen Namen man dem kleinen Neuankömmling geben könnte. Nur Lord Wellington wollte und wollte nicht auftauchen. Im Verlauf von sechs langen Jahren war er immer der erste gewesen, der sich von den unmenschlichen Anstrengungen des Krieges erholt hatte. Selbst nach Talavera und seiner