Peter Urban

Der Herr des Krieges Teil 4


Скачать книгу

ihn zu bemuttern wie ein kleines Kind, ohne sich darüber zu beschweren, wie im letzten Winter in Freneida. John hatte sogar das Gefühl, daß sein General es genoß. Dankbar akzeptierte er Kaffee und Kuchen und ließ sich auf stundenlanges Plaudern ein, ohne je Whitehall, den Krieg, die Adler oder gar seine Pflichten zu erwähnen. Immer wenn Dr. Lennox auftauchte, beklagte er sich ausgiebig über irgendwelche kleine Ziepen und Stechen und bemühte sich redlich darum, den klugen Doktor so lange wie möglich zu beschäftigen und in seinem Zimmer zu behalten. Und jedesmal, wenn Sarah sich wieder auf den Weg machen wollte, um sich um ihre anderen Patienten zu kümmern, fühlte er sich plötzlich so schlecht, daß sie ihm ein Kissen in den Rücken stopfen mußte und ihm stundenlang die Hand hielt. John lächelte leise in sich hinein. Sechs Jahre Krieg, ohne Unterbrechung und eine Schlacht, die zehn Tage gedauert hatte, die Angst davor, einen dummen oder unverzeihlichen Fehler zu machen, die Ungewißheit über das Blutopfer, das ein Sieg gegen die Adler ihm abverlangen würde, die Schrecken des Schlachtfeldes, das Grauen, das Blut, die unmenschliche körperliche Anstrengung, die schlaflosen Nächte und die Einsamkeit des Feldherrn ... Er stellte das Tablett mit Kaffee auf den Arbeitstisch in Sir Arthurs Turmzimmer. Zuerst füllte er die Tassen auf einer kleinen Holzkiste, dann zog er sich einen Stuhl neben das Bett seines Herrn und den von Lady Lennox. In 20 langen Jahren hatte er es nicht oft erlebt, daß der Ire freiwillig und freimütig über ein Treffen auf dem Schlachtfeld gesprochen hatte. Entweder hatte er alles einfach in sich hineingefressen, verdrängt und gute Miene zum bösen Spiel gemacht, oder er hatte emotionslos eine Art Litanei des Schreckens heruntergebetet. Manchmal hatte er John dabei den Eindruck eines Geldverleihers vermittelt, der eine Bitte um Kredit ablehnt, oft aber war es so ähnlich verlaufen, wie bei einem Buchhalter, der einem Handelsherren die Bilanz des Geschäftsjahres verließt: Kalte, nackte, kommentarlose Fakten! Und im Anschluß daran meist tagelanges, verbohrtes Schweigen, verschlossene Türen, tiefste Melancholie und – Menschenfeindlichkeit. Möglicherweise hatte nur Kopenhagen, dieser hellbraune Teufel, je erfahren, was Lord Wellington wirklich dachte und empfand. Obwohl er nach außen hin so unzerstörbar wirkte, war da doch diese Verletzlichkeit!

      Lady Sarah hatte ihr Hand auf die Seine gelegt und nickte ihm aufmunternd zu: „Und ... erzähl weiter, mein Lieber!“ Die beiden mußten schon lange so zusammensitzen, denn Wellington war bereits in der Ebene vor Pamplona angekommen. Es hatte nichts von seinem üblichen Stil eines geschäftsmäßigen Buchhalters. Es war eine Geschichte voller Emotionen.“... und, ich weiß nicht, Cole hat irgendwann Angst vor der eigenen Courage bekommen und er hat mir meinen alten Tom angesteckt. Stell dir das vor, Kleines! Mein Picton läuft vor den Franzosen weg! Die Adler waren davon genausoüberrascht, wie diese beiden Helden selbst. Zuerst einmal haben die Frösche dann ihre Flanke nach rechts ausgedehnt und versucht, uns zu umgehen. Wäre auch kein schwieriges Unterfangen gewesen ... Cole rennt, Picton rennt und zwischen Pamplona und dem Rest der Armee haben wir ein Riesenloch. Als einer von Sir Galbraiths feinen, jungen Herren – ausnahmsweise völlig verdreckt und durchgeschwitzt, wie ein Bergarbeiter aus Wales – bei mir aufkreuzt, ums mir zu gestehen, da hatte ich natürlich Lust, sowohl Picton als auch Cole die Köpfe abzureißen. Wenn ich neben ihnen auf dem Schlachtfeld stehe, sind sie mutig wie die Löwen. Aber – gütiger Himmel – wenn sie alleine gelassen werden und ein bißchen nachdenken sollen, dann benehmen sie sich wie die kleinen Kinder. Coles Adjutant wußte nicht so richtig, wo sein Chef im Nebel zu finden war, also hatte ich noch die Sorge, meine eigenen Leoparden zu suchen!“ Er grinste Sarah und John ein wenig verlegen an. „Genau in diesem Augenblick nämlich, war ein Rückzug eine Katastrophe für uns, weil er den Adlern die Straße nach Pamplona aufmachte, wie ein Scheunentor. Soult mußte nur noch hindurchlaufen. Dem alten Fuchs standen – mit Müh und Not und in einem Verhältnis eins zu drei – ein paar verlorene Leoparden gegenüber. Und die Kommunikationslinien mit Olague und dem Rest des Feldheeres hätte er uns abgeschnitten, wenn ... Kurz und gut, meine beiden Helden sind gerannt wie die Kaninchen und wenn die Adler es gemerkt hätten, hätten sie mich festgenagelt und Stück für Stück genüsslich auseinandergenommen. Eine sehr bescheidene Situation! Ich konnte eigentlich nur noch mit Fitz zusammen nach Süden hetzen und versuchen, das große Loch mit irgend etwas anderem zu stopfen und wieder Hand an meine beiden verängstigten Helden zu legen. Als wir das Nordende dieses Dorfes – Sorauren – erreicht hatten, konnte ich schon ganz deutlich sehen, wie immer mehr blaue Röcke sich auf den Hügeln sammelten. Gütiger Himmel, es waren wirklich verteufelt viele und wir beide trotten einsam und verlassen durch die Gegend und wissen nicht, wo wir den nächsten alliierten Soldaten auftreiben. Es waren nur ein paar verlassene rote Tupfen in einem grünen Meer zu sehen. Natürlich hat mein französischer Freund schnell spitz bekommen, wer da so einsam durch die Gegend trödelt. Eine Kavalleriepatrouille wurde in Bewegung gesetzt und kam einen der Hügel hinunter, direkt auf uns zu. Trotzdem blieb mir nicht viel übrig, außer einen vernünftigen, neuen Befehl auszustellen. Also hab ich mich auf die Brücke gesetzt und geschrieben und Fitz hat durchs Teleskop die Adler beobachtet. Die Sechste und die Siebte Division mußten schnell nach Lizaso verlegt werden, um dort auf weitere Befehle zu warten – wie es sich entwickelte. Damit waren Dalhousie und Pakenham erst einmal außer Gefahr. Und sie konnten Sorauren trotzdem mittels eines kleinen Umwegs erreichen. Und wenn alles gutgehen sollte, dann waren sie an der Hand, um den Adlern wüst in die Flanke zu fallen. Und wenn alles schiefging, konnten sie immer noch Coles und Pictons Rückzug sichern ...“

      „Du bist mit Fitz einfach auf der Brücke herumgestanden, obwohl Soult dir eine Kavalleriepatrouille auf den Hals hetzt? War das nicht etwas gewagt?“ Sarah konnte sich einfach nicht vorstellen, wie ein vernünftiger Mensch ganz bewußt solche Risiken einging. Es kam ihr vor, wie das berühmte Kind, das seine Hand auf die heiße Herdplatte legt, obwohl seine Mutter ihm schon hundert Mal erklärt hat, es würde weh tun.

      „Es ging nicht anders. Ich wußte nur in Ungefähr, wo Teile von Coles Division sich herumtrieben. Und mit diesem Häufchen Leoparden mußte ich mir Schliche ausdenken, um Soult so zu verschüchtern, daß er vorerst von einem Angriff abstand nimmt. Während der Marschall zögert, haben Dalhousie und Pakenham Zeit, zu marschieren und Picton natürlich auch. Na ja, am Coa hat es unseren Herzog von Dalmatien so beeindruckt, eine feine rote Linie auf einem Hügel stehen zu sehen, daß er abgerückt ist. Ich dachte eben, es würde wieder klappen! Aber Cole ganz alleine wäre noch einmal davongelaufen. Genau als ich den letzten Buchstaben aufs Papier gebracht hatte, rief Fitz mir zu, daß es an der Zeit war, sich aus dem Staub zu machen. Er hat sich den Befehl für die Sechste und die Siebte geschnappt und ist wieder nach Norden davongeritten wie der Teufel, und ich konnte gerade noch in einer der kleinen Gassen verschwinden, als die französische Patrouille auch schon auf der Brücke bei Lairasoana auftauchte. Gerade, als ich das Dorf hinter mir lasse, erscheint vor mir, auf dem Hügel entgegen dem der Franzosen eine rot- und grauberockte Flanke. In diesem Augenblick hätte ich fast wieder zum christlichen Glauben zurückgefunden ... Die Jungs hatten sich verlaufen, aber sie waren ein Geschenk des Himmels ... und entlang eines verschlungenen Maultierpfades tauchen plötzlich Portugiesen auf! Natürlich konnte Soult sie genausogut sehen wie ich. Die Leoparden waren in Schußweite seiner Kanonen, aber außerhalb der Reichweite seiner Musketen – zumindest so lange, wie diese blauen Nervensägen hinter mir ihren Abstand beibehielten.“ Der General grinste wieder verlegen. „Ich sag Euch, es ist ein ganz bescheidenes Gefühl, mitten über eine Ebene zu reiten und zu wissen, daß sich keine 800 Yards hinter dir 25 französische Dragoner mit gezogenen Schwertern befinden. Zum Glück haben meine Jungs, oben auf dem Hügel es gemerkt und angefangen, wilde Drohgebärde zu zeigen und mit dem Säbel zu rasseln. Im ersten Moment haben sie nicht so ganz gewußt, was da auf sie zukommt ... Ein blauer Waffenrock vorne, 25 blaue Waffenröcke etwas weiter hinten ... Hätte ja sein können, daß ein lebensmüder französischer Offizier auf der Suche nach Ruhm und dem Heldentod alleine versucht, eine alliierte Stellung anzugreifen ...“ Ein paar hundert Yards näher an den Stellungen hatten seine Jungs natürlich erkannt, wer auf sie zuritt. ‚Douro! Douro!’ hatten die Portugiesen angefangen zu jubeln. Die Spanier hatten sich angeschlossen ‚Viva el Velinton! Viva la Nacíon!’, und dann hatte er einen seiner eigenen verdammten Leoparden schreien gehört ‚By Jasus, it’s Atty, der langnasige Hundesohn, der die Frösche in den Hintern tritt!’, und obwohl er es immer noch nicht so ganz mochte, wenn sie ihm zujubelten und meist eine versteinerte Miene dabei machte, hatte er dieses Mal nicht anders gekonnt: Er hatte lachen müssen. Die Komödie war schon recht weit fortgeschritten gewesen und er hatte