Simone Lilly

The Guards


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Kaugummi, den er schon seit Stunden vor sich hin kaute, sorgfältig in ein kleines Papier. „Ganz einfach, wir lassen sie weg. Denkst du wirklich wir brauchen sie? Du hast doch die Anweisungen gehört? Wen willst du töten? Ich würde sagen wir nehmen vielleicht ein, oder zwei Pistolen, ein Abhörgerät oder Ähnliches mit. Mehr braucht es nicht.“

       Kurz angebunden steckte er das zusammengerollte Papier in seine Hosentasche und eilte dem Makler hinterher ins nächste Zimmer.

       Für wenige Minuten blieb er grübelnd zurück. So sehr er sich auch anstrengte, den Raum gedanklich einzurichten, so sehr wollte es ihm nicht gelingen. Immer wieder sah er sein altes Zimmer. Sein Zimmer, mit all den Postern, grün gestrichen und mit einem zweiten Bett darin, den beiden Schreibtischen, gegen die er immer gerannt war, besonders wenn es dunkel war. Der kaputten Lampe oberhalb seines Bettes und dem kleinen Fenster, welches nur wenig Licht spendete. Ihm war sein kleiner Bruder immer zur Last gefallen. Umso schlimmer schien es ihm, seit seiner Ausbildung nicht mehr bei seiner Familie gewesen zu sein.

       „Siehst du, war doch gar nicht so schwer.“

       Auch wenn sie jetzt eine Bleibe gefunden hatten und Lynn alles für ihn erledigt hatte, konnte er sich nicht freuen.

       Ungeniert schob Lynn sich noch einen Kaugummi in den Mund. Seit er vor vier Monaten seine späte Zahnspange entfernt bekommen hatte, genoss er es immer und zu jeder Zeit einen Kaugummi zu kauen. „Am Besten ist es, wir gehen einmal zu ihrer Schule, oder? Zu ihrem Haus. Es ist besser wenn wir alles kennen.“

       Er nickte und folgte ihm.

       „Komm schon, freu dich doch, es ist mal etwas anderes als immer nur um dich zu schlagen und Leute zu töten. Das hier erfordert mehr Fingerspitzengefühl, mehr Hingabe, mehr können. Etwas, was uns bestimmt fehlt.“

       6.

      Peinlich berührt spürte Nina schon, wie tausend Blicke ihren Rücken durchbohrten. Die weiße Kreide zitterte in ihrer Hand und kratzte nur langsam über die Tafel. Ihr Mathematiklehrer war einer dieser Menschen, die glaubten, Mathe müsste einfach jedem Spaß machen und jeder müsste es verstehen, denn auch er verstand es. Nina zählte nicht zu den Begabten in diesem Gebiet. Wenn sie einmal etwas richtig hatte, so war es reiner Zufall, oder einfach nur Glück. Das hier konnte sie nicht. Trotzdem war sie an die Tafel zitiert worden. Aus reiner Boshaftigkeit. Wie immer. Simk wartete, ja lauerte darauf, dass sie etwas falsch machte, dass sie sich blamierte. Beinahe als würde er lachen, wartete er und ließ sie schmoren. Wie einen Schauspieler, der auf einer großen Bühne, vor hunderten von Zuschauern seinen Text vergessen hatte. Ihr Kopf wurde heiß, ihre Knie zitterten, sie konnte nichts denken, erst recht nicht, als sie hinter sich nur noch lauter werdendes Gelächter hörte. Ein Geistesblitz holte sie ein und sie begann einen einfachen Rechenweg aufzuzeigen.

       „Nina, damit sind Sie auf dem Holzweg.“, war das einfach trockene Kommentar von Herrn Simk.

       „Mr. Simk, ich kann das einfach nicht, das sehen Sie doch.“ Wütend ließ sie die Kreide auf den Boden fallen und ging zu ihrem Platz zurück. Sie blickte nur geradeaus, denn würde sie jetzt die Blicke der anderen treffen, wäre die Blamage wohl zu groß.

       Ungeniert hob Simk die Kreide auf und löste für sie die Aufgabe.

       Für Nina wieder ein geeigneter Zeitpunkt, um desinteressiert aus dem Fenster zu spähen. Bald würde es läuten, bald wäre dieser Schultag geschafft, bald…. Nur noch wenige Minuten.

       Simk ließ sich von ihrem Verhalten jedoch wenig beeindrucken. Ungeniert nahm er eine DINA 4 große Liste zur Hand. „Wie Sie alle wissen beginnt in einer Woche unser Ferienlager. Das bedeutet, Sie alle haben mir bitte morgen in der ersten Stunde den Betrag von 400 $ zu überreichen, verstanden?“, streng blickte er mit seiner runden Brille durch die Reihen. Keiner sagte ein Wort. Nina sah immer noch aus dem Fenster.

       „Wenn Sie es morgen vergessen, können sie übermorgen noch bezahlen, danach werden Sie von der Veranstaltung ausgeschlossen.“

       Ein Raunen ging durch die Klasse. Von den vergangenen Schuljahren wusste sie was ein Ferienlager bedeutete. Früher, mit sieben oder zehn Jahren war es noch lustig gewesen, sie spielten verstecken, kochten zusammen und fürchteten sich wenn es dunkel wurde. Aber jetzt, mit zunehmenden Alter hatte sie eins gelernt: ein Ferien- oder Schullager war nicht mehr dasselbe. Alle buhlten um den besten Ruf der Klasse, ein jeder genoss die ungewohnte Freiheit vor dem Lehrer, anstatt der Schule und ohne seine Eltern. Alle spielten sich auf und versuchten für ihre Schikanen ein geeignetes Opfer zu finden. Instinktiv und obwohl Nina bisher noch nicht über einen Schultag hinaus mit ihrer Klasse zusammen war, wusste sie, dass sie dieses Opfer verkörpern würde.

       Tropfen fielen auf den teuren, rosa angehauchten Teppich im Vorraum. Nina huschte ins Haus, zog ihre nassen Schuhe aus, schüttete die sich darin angesammelte Pfütze rasch hinaus auf den Gehsteig und stellte sie vor die Tür. Ihre Jacke wrang sie mit aller Kraft aus, unterdrückte einen Schüttelfrost und warf sie achtlos über die Geranien.

       „Mist.“, auch ihre Tasche war vollkommen durchnässt. Wie lustig mussten es Alina und Patrice, zwei Mädchen der Clique aus ihrer Klasse, gefunden haben sie auf dem Nachhauseweg zu verfolgen, sie zu packen und ihr ihre Wasserflaschen über den Kopf zu schütten. Trotz der Hitze wurde ihr immer kälter. Der dünne Stoff ihres Shirts begann zu trocknen und lag ihr unangenehm um den Körper. Als sie an der Küche vorbei ging, fiel ihr Blick auf die Uhr. Es war halb vier. Wenn sie nicht wollte, dass ihre Eltern etwas merkten oder dumme Fragen stellten, so musste sie sich beeilen sich umzuziehen. Ihr Vater würde in einer viertel Stunde zurücksein.

       Gerade hatte sie sich abgetrocknet, die nassen Sachen in die Wäsche geworfen und sich frische angezogen, ging auch schon die Tür. Nina wartete. Eigentlich rief ihr Vater immer zu ihr hinauf um ihr zu sagen, dass er von der Arbeit zurückgekehrt sei. Nicht heute. Diese Stille verunsicherte sie. Vorsichtig ging sie ihm entgegen. Ein kleiner, von aus Zeitungspapier ausgeschnittenen Buchstaben beklebter Zettel lag auf dem kleinen Tischchen im Flur auf dem ihre Mutter sonst immer Blumen gestellt hatte. Nina wollte ihn erst gar nicht lesen. Sie wusste was darin stand.

       Ein Schatten fiel auf sie und sie drehte sich unsicher um. „Nina…“, ihr Vater runzelte die Stirn und wog ein Smartphone in seinen Händen. „…ich muss mit dir sprechen.“

       Gewohnt lässig nickte sie. „Wir ziehen wieder um, richtig?“ Die Frage klang mehr als ein freudiger Ausruf.

       „…Nein, ich habe diesmal anders reagiert.“

       Sie schwieg.

       „Du hast dein letztes Schuljahr und ich möchte dich nicht immer aus deiner Umgebung reißen.“

       Ein lautes Auto fuhr an ihrem Haus vorüber und trieb stickige Luft zum Fenster hinein.

       „Ich habe dafür gesorgt, dass du ausreichend geschützt wirst.“

       Sie verstand nicht. Was meinte er damit? Sollte sie sich zuhause einsperren, privat Unterricht nehmen und das Haus nie wieder verlassen?

       Auf ihr fragendes Gesicht hin, antwortete er matt. „Ich habe eben mit einer befreundeten Agentur gesprochen, ab morgen werden dir für unbestimmte Zeit Leibwächter zur Seite stehen. Immer und überall, wohin du auch gehst.“

       „Dad, wie meinst du das?“

       Vom ständigen Straßenlärm genervt schloss er eilig das Fenster. „So wie ich es gesagt habe.“ Seine Stimme hallte laut durch den geräumigen Hausflur, bis zu den obersten Zimmern.

       „ich möchte, dass du dich ihnen gegenüber fair verhältst, ich weiß die Situation ist ungewohnt und ich muss auch noch die Männer einweisen. Aber es ist nur zu deinem Besten.“

       7.

      Sie warten auf dich, vor der Schule, dann kannst du dich mit ihnen bekannt machen. Hab keine Angst. Es ist zu deinem Besten. Nina musste lächeln, obwohl es eher ein verzweifeltes Lächeln war. Zu meinem Besten! Ihr Bestes war es, sich wirklich in ihrem Zimmer zu verkriechen und das Haus nicht mehr zu verlassen. Leibwächter! Auf sie konnte sie verzichten. Wer würde schon einem hilflosen, siebzehnjährigen Mädchen etwas antun? Jedenfalls etwas so schlimmes, dass sie gleich Bodyguards dazu brauchte?