Simone Lilly

The Guards


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ein Leben aufs Spiel setzen? Nina hatte schon einige Male die sogenannten „Pläne“ ihres Vaters gesehen. Es waren Formeln, Kritzeleien und unzusammenhängende Wörter… waren sie so wertvoll?

       Mitten in ihren Gedanken hielt sie inne. Da standen sie. Direkt und gut sichtbar vor der Eingangstür, durch welche schon viele Schüler strömten. Sie vermutete jedenfalls, dass es sich bei den zwei, groß gewachsenen und in schwarze Anzüge gehüllten Männer um ihre Leibwächter handelte. Mit einem schlechten Gefühl im Magen ging sie auf sie zu. Insgeheim war sie sich sicher, sie würde wenn sie diese Männer wirklich auf Schritt und Tritt begleiteten, nur noch mehr das Gespött der ganzen Klasse sein. Wie stellten sie es sich vor? Würden sie während dem Unterricht neben ihr sitzen, oder stehen? Würden sie ihr Essen vorkosten? Wie sollten sie ihre Überwachung anstellen und glaubten sie wirklich, irgendein Attentäter würde sich vor die Klasse stellen und schreien: Hier bin ich und bringe sie um?

       Um Fassung bemüht kam sie auf sie zu. Von Nahem betrachtet sahen sie sogar ziemlich gut aus. Braun gebrannt, nicht älter als fünfundzwanzig, mit dunklen Sonnenbrillen versehen und kräftig gebaut. Eben typische Leibwächter. Als sie sich ihnen näherte, schnellten ihre wachsamen Köpfe sofort in ihre Richtung. Schnell kamen sie auf sie zu geeilt. „Hallo“, sagte der Erste und reichte ihr seine Hand, die sie unsicher schüttelte. „Ich bin Al.“ Sein Händedruck war feste und bestimmt. Al war etwas kleiner als der andere, hatte schwärzere Haare und ein breiteres Gesicht. Seine Augen konnte sie nicht sehen, ebenso wenig seine Ohren, denn sie waren nur so von Drähten und Geräten versehen. Was das genau war, wusste Nina nicht. Seine Stimme war dunkel, dunkel und ruhig. So ruhig und entspannend, dass sie sich sicher war, jeder Angreifer würde einschlafen, sobald Al ihm etwas vorlesen würde. Schüchtern wandte sie sich zu dem anderen um. Auch er gab ihr seine Hand. „Ich heiße Tom.“ Sie lächelte. Tom war hagerer und doch ebenso durchtrainiert wie Al. Sein gesamtes Erscheinungsbild schien nervöser zu sein, auch seine Stimme war deutlich heller als die seines Kollegen. Er hatte kurze dunkle Stoppeln auf dem Kopf und war genauso verkabelt. Niemand sagte etwas. Das erste Läuten ertönte über ihren Köpfen.

       „Also.“ Nina musterte sie ratlos. „Gehen wir rein?“

       Sie nickten, bewegten sich aber nicht. Ihr Verhalten verunsicherte Nina nur noch mehr. „Ähm, gehen wir?“

       Wieder nickten sie. Dann meldete sich Al knapp zu Wort. „Wir gehen.“

       „Gut.“ Über das zweite Läuten hinweg machte sie den ersten Schritt. Die Männer stellten sich hinter sie und folgten ihr artig.

       8.

      „Wer ist das?“, flüsterte Andrew in seiner umwerfenden Art. Die freundliche Aura, die ihn während er es sagte umgab, wurde von Patrice, die antwortete, jäh unterbrochen. Gekonnt schmierte sie sich neuen Lipgloss auf die Lippen, schmatzte zwei-drei mal mit ihnen aufeinander, damit er sich verteilte und schielte verhalten zu ihr und ihren neuen Begleitern hinüber. Mr. Simk war eingeweiht. Die beiden Männer hatten schon zuvor mit ihm gesprochen. Keiner ihrer Klassenkameraden wollte dem Unterricht folgen. Immer wieder huschten Blicke in ihre Richtung. Wobei die meisten der Blicke, vor allem der weiblichen Blicke vielmehr an den Männern hafteten, ihre Körper auf und ab glitten und sich dann schnell abwandten. Nina hielt sich ihr Buch näher vors Gesicht, eine Geste, die Al sofort bemerkte. „Alles in Ordnung?“, fragte er rasch und durchsuchte den Raum nach einem möglichen Angreifer.

       Nein nichts ist in Ordnung! Ihr seid da! Freundlich nickte sie. „Ja.“

       Ein Wurfgeschoss bestehend aus einer zusammengeknüllten Papierkugel eilte auf sie zu. Al hechtete vorwärts und schlug sie mit nur einer lässigen Handbewegung aus Ninas Gegend. Alles war so schnell passiert, dass sie es nicht einmal richtig bemerkt hatte. Ein Raunen ging durch die Reihen, als Al sich so als wäre nichts geschehen wieder neben ihr und neben Tom einordnete.

       „Nina, kommen Sie doch bitte an die Tafel.“

       Vor lauter Gedanken an ihre neuen Begleiter, hatte sie die Tafel und Simk voll und ganz vergessen. Auch war sie der Rechnung, die er an die Tafel geschrieben hatte nicht gefolgt. Innerlich musste sie lachen, als ob das etwas geändert hätte.

       Matt erhob sie sich und ging mit bangem Schritt auf Simk zu. Nicht noch einmal. Nicht schon wieder so kurz nacheinander hatte sie Lust, sich lächerlich zu machen. Es ist dieselbe Gleichung wie gestern! Sie schluckte. Wie ging die?! Schemenhaft erinnerte sie sich daran, dass Simk sie gelöst hatte. Doch wie konnte sie nicht sagen. Er wollte sie nur noch einmal mit derselben Frage vorführen, wollte testen, ob sie es sich gemerkt hatte. Dumm nur, dass sie das nicht hatte!

       Hilflos ergriff sie die Kreide, die schwer und zitternd in ihrer Hand lag, setzte sie an und begann den ersten Strich zu ziehen. Ganz gleich ob die Zahl stimmte oder nicht.

       „Mister Simk!“, der Ruf kam überraschend, so überraschend, dass ihre Kreide begann zu bröckeln.

       „Ja?“ Nina konnte hören, wie auch Simk über die Unterbrechung erstaunt, aufhorchte.

       Es war Tom. Zielstrebig kam er auf ihn zu, gab vor, die Tafel überprüfen zu müssen und beugte sich kurz über Nina. So als würde er hinter die Tafel spähen wollen, spürte sie, das ihr ein kalter, kleiner Gegenstand ins Ohr gedrückt wurde. Es piepste leise und Tom löste sich von ihr. „Alles klar.“, gab er von sich und eilte nach draußen. „Ich sehe nach dem Rechten.“

       Al nickte knapp. Dann war er verschwunden.

       Nach einem kurzen Moment, indem ihm ein jeder nachblickte und Simk brauchte, um sich zu fassen, legte Nina rasch ihre Haare über ihr Ohr. Was auch immer es sein mochte, keiner sollte es sehen. Glaubte sie.

       „Als ob ich hinter der Tafel einen Anschlag auf dich verüben wollte!“

       Die Klasse lachte und alle wandten sich wieder zu ihr. „Nun, weißt du es immer noch nicht?“, fragte Simk und runzelte seine ohnehin schon faltige Stirn.

       Sie wollte gerade verneinen, als ein erneutes, leises Piepsen, das anscheinend nur sie hören konnte ihre Gedanken unterbrach.

       „…schreib b Quadrat minus x hoch zwei.“

       Fast schon wollte sie fragen: „Was?“ doch das wäre zu auffällig gewesen. War das richtig? Sie hatte nichts zu verlieren. Entgegen Simks Erwartungen drehte sie sich um und schrieb.

       Keiner sagte etwas.

       „Die Wurzel aus minus fünfundzwanzig musst du mal zwei nehmen und in die obrige Gleichung einsetzen. Raus kommt vier.“

       Sie tat wie ihr geheißen. Noch immer sagte keiner ein Wort.

       „Gut.“, Simk schien überrascht zu sein. „Wo sind jetzt die Schnittpunkte?“

       Nina bekam weiche Knie. Musste sie sie auch noch berechnen? Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. „Es gibt keine Schnittpunkte.“

       „Es gibt keine Schnittpunkte, Mr. Simk.“, gab sie sicher zurück und legte die Kreide aus der Hand.

       Verwundert huschten Simks Augen über die Tafel. „Ahm, ja.“, er klatschte in die Hände, hob sich von dem Tisch, auf dem er gesessen hatte und kam zu ihr heran. „…Gut gemacht, Nina, das ist richtig. Sie haben gelernt.“

       Auch Nina musste sich räuspern. „Ja, danke.“ Gab sie kurz angebunden zurück und setzte sich auf ihren Platz. Das Simk bereits eine neue Aufgabe anschrieb bekam sie nicht mal mehr mit. Lautlos versuchte sie Al’s Blick einzufangen. Jetzt schau schon her! Stur blickte er geradeaus. Mach schon…Da! Kurz drehte er den Kopf, so lang, das Nina kurz Nicken konnte und er sich auch schon wieder abwandte.

       In der Pause war es ungewohnt von fremden Männern verfolgt zu werden. Sie standen mit ihr in der langen Schlange der Cafeteria ohne etwas zu essen. Sie saßen wortlos neben ihr, ohne etwas zu essen. Ging sie auf die Toilette, standen die Männer regungslos vor den Türen, spitzen die Ohren, so als rechneten sie zu jeder Zeit mit einem Überfall. Sie waren ihr lästig. Langsam wusch sie sich die Hände, trocknete sie am schon schmutzigen Handtuch ab und stieß wieder zu ihnen. Unverwandt senkte sie den Kopf. „Wegen eben, danke nochmal.“

       Tom rührte sich nicht. „Gern geschehen.“