Helmut H. Schulz

Dame in Weiß


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      Helmut H. Schulz

      Dame in Weiß

      Familienroman

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      Inhaltsverzeichnis

       Titel

       I. Teil

       Kapitel l

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       II. Teil

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       III. Teil

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       IV. Teil

       Kapitel 1

       Kapitel 2

       Kapitel 3

       Kapitel 4

       Kapitel 5

       Kapitel 6

       AUSKLANG

       Nachtrag

       Impressum

       I. Teil

       Kapitel l

      Die Welt damals war von Düften erfüllt und von Geräuschen. Hinter den Fenstern zur Straße standen Bäume mit dichten, im Sommer grüngoldenen Laubkronen. Vom Balkon aus war die Hochbahn zu sehen, und der Stadtverkehr, der durch die Schönhauser Allee toste. Von der Hallandstraße her wirkte der Ausschnitt wie das Riesentor zu einem lärmenden Universum. Sonst war die Welt, in die hinein ich geboren wurde, leise und friedlich.

      »Aber du warst alles andere als friedlich«, behauptete Verena, meine Mutter. Häufig nannte ich sie beim Vornamen, was ihr gefiel, weil es die Frau in ihr ansprach.

      »Ich verdanke dir einen Dammriss und monatelanges Nierenbluten.«

      Verena, eine kleine alte Frau, blauäugig, mit zarten Gelenken und weißem Haar, das sie manchmal unter einer Perücke versteckte, goss Tee in dünnwandige Tassen, den Rest eines Service Hutschenreuther. »Meine Niederkunft ist schrecklich gewesen. Schön war die Schwangerschaft; einen rücksichtsvolleren Mann als deinen Vater hätte ich mir nicht wünschen können.«

      Es war eine ihrer alten Geschichten, in denen sie immer die Hauptrolle spielte. Sie ließ sich leicht dazu bringen, von vergangenen Zeiten zu sprechen; ihre Erzählungen variierten je nach ihrer Verfassung. Mich verstimmte, dass sie es mit der Wahrheit nicht genau nahm: Ich hätte gern alles über uns gewusst.

      Auf der Messingplatte des Teetisches, an dem wir saßen, lag eine Zierdecke aus seidig glänzendem Garn. Verena liebte es, als Fachmann für diese kunstvolle Stricktechnik zu gelten. Tatsächlich hatte sie sich jahrelang mit der Anfertigung solcher Decken geplagt.

      »Mama, könntest du es heute noch?«, fragte ich.

      »Ach was, wir sind ja damals verrückt gewesen, uns damit zu plagen.« Sie wünschte es sehr, für besonders robust zu gelten, obwohl ihre Schwäche sie häufig sogar am Ausgehen hinderte.

      »Ich kann nur nicht laufen, das ist es«, sagte sie, als hätte sie meine Gedanken erraten. »Als junges Mädel wurde ich überfahren; ich weiß den Namen noch wie heute Erich Amende hieß der Mann. Ich war vierzehn. Mein Vater brachte mich jeden Tag ins Krankenhaus. Trotzdem heilte das Bein nicht richtig. Man musste mir anstelle des Knochens ein Silberrohr einsetzen. Solange ich jung war; machte mir das gar nichts aus. Ich trug eben lange Kleider.«

      In meinem Kopf löste ihre Erzählung eine Reihe von Bildern aus, wie von einem laufenden Film. Schon als Kind hatte ich diese Geschichte gehört. Der Name Erich Amende klang mir vertraut wie der eines nahen Verwandten. Dazu gehörte ein Bild, das Bild einer jungen, schlanken Frau, weiß gekleidet bis zu den Füßen. Ich hatte nie begreifen können, dass diese Dame meine Mutter gewesen ist, und ich konnte es heute noch nicht.

      »Du bringst alles durcheinander. Diese Aufnahme stammt aus einer viel späteren Zeit. - Es war sechsunddreißig«, sie trank Tee, tupfte mit Daumen und Zeigefinger an ihren Mundwinkeln herum und fuhr fort: »Als dein Vater zum Bau des Westwalles nach Pirmasens ging - ich glaube, der Ort hieß so -, gab es irgendeinen Ball. Ach, es war ein netter Abend.«

      Ich berechnete ihr Alter, damals hatte sie die Dreißig schon überschritten.

      »Ich war ein Erfolg, darf ich sagen.«

      »Und wie war ich?«

      »Du warst natürlich nicht mit«, erklärte sie. »Und natürlich ging es dir gut. Allen ging es gut.« Sie zwang mich, ihr ins Gesicht zu sehen.

      »Ich kann nur davon ausgehen, wie wir gelebt haben«, verteidigte sie sich. »Und wir sind nicht die. Ausnahme, sondern die Regel gewesen.«

      Ich nickte. Das Thema war heikel, weil Verblendung nicht mit Schuld gleichzusetzen ist.

      Die Wohnung, in der Verena lebte, war unverändert.