Edgar Sigmanek

Sally - Magierin wider Willen


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von Geiern umringt und es wurden immer mehr. Sie konnte den Himmel nicht mehr erkennen und es breitete sich Schwärze rund um sie aus. Dann erschien ihr das Gesicht Salderas zu einer grässlichen Grimasse verzogen. Sie rief ihr irgendetwas zu, was Sally nicht verstehen konnte. Verzweifelt versuchte sie ihren Kristall zu ergreifen, dieser entglitt ihr aber, als der Drache eine enge Kurve flog und sie sich hastig festhalten musste.

      Sofort stürzten sich einige Geier auf den Kristall. Einer von ihnen packte ihn mit dem Schnabel und brachte ihn direkt zu Saldera, die schon gierig beide Hände nach ihm ausstreckte. Vergeblich versuchte der Drache, sich einen Weg durch die Angreifer zu bahnen. Dann wurde sie von der Seite von einem doppelt so großen Tier attackiert und verlor das Gleichgewicht. Sie stürzte vom Drachen, hinab in die Tiefe, hinein in einen riesigen Ozean. Sally rang nach Luft, hatte aber ganz schnell den Mund voller Wasser und musste husten.

      Sie öffnete die Augen und stellte fest, dass plötzlich Ziofotta vor ihr stand und eine Schüssel in der Hand hielt, aus der Wasser tropfte. Dann bemerkte sie, dass sie und ihr Bett pitschnass waren und sie immer wieder von einem Hustenreiz gequält wurde.

      “Was ist los? Warum bin ich nass und warum stehst du an meinem Bett?”, fragte Sally immer noch nach Luft ringend.

      “Entschuldige bitte”, antwortete Ziofotta, “aber anscheinend wurdest du von schweren Alpträumen heimgesucht. Ich habe fast eine halbe Stunde lang versucht, dich zu beruhigen oder dich aufzuwecken, aber es hat nicht funktioniert. Dann habe ich voller Verzweiflung die Schüssel mit Wasser über dich gegossen. Zum Glück bist du dann aufgewacht.”

      “Ich habe gegen Saldera gekämpft. Sie hatte große Geier auf mich gehetzt und ich habe versucht, mich auf einem riesigen Drachen fliegend gegen sie zu verteidigen.”

      Erschrocken griff sie nach ihrem Kristall. Ziofotta bemerkte die heftige Reaktion von Sally. “Was hast du?”

      Hastig durchstöberte Sally ihre Sachen und atmete schließlich erleichtert auf. “Gott sei dank, er ist noch da!”

      “Wer ist noch da?”, fragte nun Ziofotta beunruhigt.

      “Na der Kristall, ich habe geträumt, Saldera hat ihn mir abgenommen.”

      Wenngleich es hier, unter der Erde keine Sonne gab, schien es durch das Fenster hell herein. Irgendwie schien sich die Helligkeit den Tageszeiten außerhalb der Höhle anzupassen. Die Nacht musste vorbei sein und so beschloss Sally sich fertig zu machen, um mit den anderen zu frühstücken.

      Schnurz wartete bereits mit knurrendem Magen am Essenstisch.

      Nachdem sie gefrühstückt hatten, erschien Belonia und bedeutete ihnen, ihr zu folgen. Es war alles sehr geheimnisvoll.

      Sie verließen zusammen mit Belonia das Zimmer und folgten ihr die Treppe weiter nach oben. Sie befanden sich jetzt schon fast in Höhe der Höhlendecke, als sie das Ende des Stalagmiten erreichten. Oben angekommen fanden sie sich auf einer Plattform wieder, die wie bei einem Burgturm, von einer Steinmauer umgeben war. In regelmäßigen Abständen war diese unterbrochen, so als befänden sich Schießscharten in ihr. Von hier oben hatten sie einen faszinierenden Blick über die gesamte Höhle. In weiter Ferne sah Sally auch wieder die Wächter fliegen.

      “Hab keine Angst”, sagte Belonia. “Ich habe Befehl gegeben, dir nichts zu tun. Sie werden dich und deine Freunde wie eine von uns behandeln. Aber nun komm einmal her, ich möchte dir etwas zeigen.”

      Belonia ging zur Mitte des Stalagmiten, wo sich ein reich verzierter Brunnen befand. “Dies ist der Brunnen der Weisheit. Es heißt, wer aus ihm trinkt, kann durch Wände hindurch sehen und die Zukunft voraussagen. Wunden werden geheilt und die Kräfte kehren zurück. Die Alterung wird gestoppt und man bleibt jung.”

      Ehrfurchtsvoll näherten sich Sally und ihre Gefährten dem Brunnen.

      “Aber das hieße ja, wenn ihr das Wasser dieses Brunnens an alle verteilt, gibt es keine Kranken mehr, alle sind glücklich, weil sie ewig jung sind und die Ungewissheit darüber, was die Zukunft so bringen wird, ist nicht mehr vorhanden.”

      Ganz aufgeregt hatte Sally die Worte gesprochen, doch Belonia nickte nur traurig bei diesen Worten.

      “Im Grunde hast du Recht, nur kann das Ganze auch ein Fluch sein.”

      Ernst schaute Belonia Sally ins Gesicht. “Stell dir vor, du kannst jederzeit durch Wände hindurch sehen und alle deine Freunde und auch Feinde können dies ebenfalls. Jederzeit wüsste jeder über jeden Bescheid. Du würdest dich immer und überall beobachtet fühlen. Dann die Krankheiten, der natürliche Kreislauf des Lebens wäre unterbrochen. Wenn niemand mehr krank wird, alle jung bleiben und keiner mehr stirbt, dürften auch keine Kinder mehr geboren werden, weil dann irgendwann kein Platz mehr für alle da wäre. Unser Land wäre überbevölkert und es wäre nicht mehr genug zu essen da. Außerdem, stell dir nur mal vor, du wüsstest schon heute, dass dein bester Freund in ein paar Tagen bei einem Unfall ums Leben kommt. Du würdest alles versuchen, ihm das Leben zu retten, aber letztendlich doch mit ansehen müssen, wie er stirbt, vielleicht sogar erst durch dein Eingreifen.

      Glaube mir, von diesem Brunnen zu trinken, ist eine große Bürde, die es zu tragen wohl überlegt sein will.”

      Alle hatten stillschweigend Belonias Ausführungen verfolgt.

      “Warum hast du uns das alles erzählt, wenn es so eine Bürde ist?”, fragte Sally und blickte wie hypnotisiert in den Brunnen. Das Wasser auf der Oberfläche kräuselte sich leicht und aus dem Gesicht Sallys, das sich eben noch darin gespiegelt hatte, wurde eine Ebene, auf der viele Menschen zu sehen waren. In der Ferne waren schwarze Punkte am Himmel zu sehen, die schnell größer wurden und je näher sie kamen, wurden immer mehr Einzelheiten erkennbar. Erschrocken stellte sie fest, dass es sich bei den Punkten am Himmel um die Geier handelte, von denen sie schon geträumt hatte. Dann verschwamm das Bild und wie schon am frühen Morgen, wurde Sally von Ziofotta durchgeschüttelt. Fassungslos wurde sie von ihren Gefährten und Belonia angestarrt.

      “Ich ich ich hatte wieder diesen Traum von den Geiern, den ich schon heute Nacht hatte”, brachte Sally stotternd zum Ausdruck. Habt ihr es denn nicht auch gesehen?

      “Was sollen wir gesehen haben?”, fragte Belonia und sah dabei in den Brunnen.

      “Die Geier und die Menschen und..” Sally konnte einfach nicht weitersprechen.

      “Du scheinst eine Vision gehabt zu haben”, sagte Belonia. “Das was ich dir über den Brunnen gesagt habe, ist alles Bestandteil aus alten Überlieferungen. Ich selbst bin die Einzige, die bisher aus diesem Brunnen getrunken hat um dieses Wissen zu bewahren und an künftige Generationen weiterzugeben, aber selbst mir haben sich noch nicht alle Geheimnisse des Brunnens eröffnet. Zwar bin ich, seit die alte Königin das Wissen an mich weitergegeben und ihrem Leben dann selbst ein Ende gegeben hat nicht weiter gealtert und auch noch nicht wieder krank gewesen, aber die Gabe, die Zukunft vorherzusehen oder durch Wände zu schauen, war mir bisher noch nicht gegeben.”

      Vor Staunen waren Sally und ihren Gefährten die Münder offen geblieben. “Augenscheinlich brauchst du das Wasser des Brunnens gar nicht, um Dinge vorherzusehen oder durch Wände hindurch zu schauen”, sagte nun Ziofotta. “Denke nur an das, was du uns berichtet hast, als du einen Blick in die Unterwelt werfen konntest und die gequälten Menschen gesehen hast.”

      “Das stimmt”, bestätigte nun auch Belonia. “Wahrscheinlich besitzt du die Gabe bereits. Aber trotzdem solltest du von diesem Brunnen trinken.”

      “Aber ich weiß nicht, ob ich so eine Bürde tragen könnte”, antwortete Sally. Was wenn alle meine Freunde und Bekannten, meine Eltern um mich herum sterben, während ich weiterlebe? Ich glaube ich würde daran verzweifeln.”

      “Hab keine Angst deswegen”, sagte Belonia. “Der Zauber wirkt immer nur für ein Jahr. Dann muss man erneut aus dieser Quelle trinken. Es kann euch aber helfen, dem Einfluss des Herrschers der Unterwelt zu wiederstehen und den Weg hier heraus zu finden. Selbst wenn die Gabe, die Zukunft vorauszusehen deinen Freunden nicht gegeben sein sollte, so werden auch sie durch den Zauber des Wassers dem Einfluss seiner Macht standhalten können.”

      Belonia