Edgar Sigmanek

Sally - Magierin wider Willen


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Sie wusste nicht, wo sie war, wie sollte sie dann der kleinen Elfe erklären, wo ihre Heimatstadt liegt, geschweige denn, wie lange man bis dorthin braucht. Wahrheitsgemäß antwortete sie: ”Ich weiß nicht wo mein Zuhause ist, weil ich gar nicht weiß, wo ich jetzt gerade bin. Vor wenigen Minuten lag ich noch zu Hause auf meinem Bett und finde mich nun hier auf dieser Wiese wieder.”

      “Dann gehörst du zur Gilde der Magier!”, sagte sie ehrfurchtsvoll. “Du bist nicht darauf angewiesen zu fliegen oder zu laufen, du musst nur daran denken und schon befindest du dich an einem anderen Ort. Ich beneide dich darum. Wenn ich deine Fähigkeiten hätte, wäre mir das heutige Missgeschick nicht passiert.”

      “Aber ich bin keine Magierin!”, beeilte sich Sally zu versichern. “Ich bin ein ganz normaler Mensch. Ich kann nicht fliegen und auch nicht zaubern. Niemand kann das wirklich.”

      Jetzt blickte die Elfe wirklich erstaunt. “Was heißt denn hier: Niemand kann das wirklich? Sie her!”

      Sie riss sich ein goldenes Haar aus und warf es in die Luft. Dann sprach sie einige unverständliche Worte und auf einmal verwandelte es sich. Es wurde länger und dicker. Ein Kopf begann sich zu bilden und es erschienen zwei Flügel.

      Immer noch wuchs die Erscheinung, war längst schon so groß wie ein Hund und wurde immer noch größer. Die Gestalt eines Drachen begann sich zu formen. Sally hatte noch nie etwas Derartiges gesehen. Längst schon überragte er sie um einige Längen.

      Noch etwas unbeholfen bewegte er seine Flügel und pendelte mit dem Kopf hin und her, als suchte er irgendetwas. Dann blieb sein Blick auf Sally hängen. Seine blutroten Augen starrten sie an, fixierten sie förmlich.

      Sally wich instinktiv einen Schritt zurück. Aufmerksam verfolgte der Drache jede ihrer Bewegungen. Er hatte aufgehört zu wachsen, war mittlerweile so groß wie ein zweigeschossiges Haus. Kleine Rauchschwaden stiegen aus seinem Maul auf. Plötzlich breitete er weit die Schwingen aus und warf den Kopf nach hinten.

      Jeden Augenblick erwartete Sally, dass er wieder nach vorne schnellen und einen heißen Feuerregen auf sie niedergehen lassen würde. Der Drache atmete tief ein und brachte seinen Kopf wieder nach vorne. Gleich würde er ausatmen. In diesem Moment erhob sich die kleine Elfe in die Luft und flog zwischen Sally und dem Ungetüm. Augenblicklich verharrte er in seiner Bewegung. Er schien auf einen Befehl zu warten. Wie gebannt starrte Sally erst den Drachen, dann die kleine Elfe an. Es war eine groteske Situation. Da stand eine überdimensionale Panzerechse vor einem kleinen Mädchen, jeden Moment dazu bereit, sie in Asche zu verwandeln und zwischen ihnen eine kleine Elfe, die eben noch von zwei kleinen Vögeln attackiert wurde und gebot nun über ein so mächtiges Fabelwesen. In der Luft schwebend drehte sich die kleine Elfe zu Sally um. “Glaubst du nun an Zauberei?”, fragte sie lächelnd.

      “Ich..., aber... das gibt es doch gar nicht”, stammelte sie ganz fassungslos. “Wie hast du das gemacht?”.

      “Nun ich glaube, ich muss dir einiges über unser Leben erklären”, sprach nun die Elfe gutmütig. “Du siehst nicht so aus, als würdest du mich belügen. Aber lass uns an einen anderen Ort gehen, in ein bis zwei Stunden wird es hier nicht mehr so friedlich sein, wenn erst die Bokras aus ihren Behausungen kommen.” Stumm folgte Sally der Elfe. “Steig auf den Rücken des Drachen, er wird uns schnell von hier wegbringen.”

      Erschrocken wich Sally einen Schritt zurück. Der Drache indes legte sich flach auf den Boden, um Sally das Aufsteigen leichter zu machen. Die Elfe hatte es sich bereits hinter einem Kopfhorn bequem gemacht und winkte Sally zu. Nur zögernd machte sie einen Schritt auf ihn zu, jeden Moment erwartete sie durch seinen heißen Atem geröstet zu werden. Aber er blieb ganz friedlich liegen.

      “Setz dich auf den Rücken und halt dich am Hals fest. Er wird uns beide sicher von hier wegbringen.”

      Sally tat, wie ihr die kleine Elfe geheißen hatte. Kaum hatte sie sich hingesetzt, als Bewegung in den Drachen kam. Ängstlich klammerte sie sich an seinem Hals fest. Dann fing er an zu laufen. Sie gewannen schnell an Geschwindigkeit und rannten zum Schrecken Sallys genau auf den Abgrund zu. Gerade wollte sie losschreien, als der Drache einen mächtigen Satz über den Rand des Abgrundes machte und nach unten absackte. Sally schien das Herz stehen zu bleiben. Dann ging der freie Fall in einen Segelflug über und schließlich arbeiteten die Flügel des Drachen immer stärker, wodurch sie mehr und mehr an Höhe gewannen.

      Längst schon waren die Bäume zu einem dichten Grün geworden und der Wind schnitt eisig in Sallys Gesicht. Sie drückte ihren Körper ganz fest an den Drachen und spürte, wie schwer er atmete. Sie schien eins mit ihm zu werden, spürte jede seiner Bewegungen. Die Landschaft tief unter ihr flog immer schneller dahin, bis sich der Flug plötzlich verlangsamte und der Sinkflug begann.

      Fast wäre Sally über den Kopf des Drachen hinweg geschossen. Die starke Neigung nach unten war so plötzlich gekommen, dass sie beinahe den Halt verloren hatte. Die Flugechse schien dies zu bemerken, denn augenblicklich begannen sie langsamer zu sinken. Sally saß wieder sicherer. In großen Kreisen setzten sie ihren Sinkflug fort. Als Sally für einen kurzen Moment nach unten blickte, gewahrte sie eine Lichtung, umgeben von gold- und silbern schimmernden Bäumen. Dann trennten nur noch wenige Meter den Drachen vom Erdboden. Er stellte seine Flügel senkrecht und bäumte sich dadurch auf. Es wirkte wie eine Bremse. Ein kleiner Ruck und der Drache stand wieder fest auf seinen Beinen. Schließlich legte er sich flach auf den Bauch, damit Sally absteigen konnte.

      Die Elfe schwebte längst schon wieder in der Luft und winkte ihr ungeduldig zu. “Nun komm schon, die anderen warten bereits auf uns.”

      “Die anderen?”, fragte Sally erstaunt. “Wer sind die anderen und woher wissen sie, dass wir kommen?”

      “Mein Volk”, antwortete die Elfe. “Sie sind längst schon von unserer Ankunft unterrichtet. Aber nun komm erst mal, ich werde später alle deine Fragen beantworten.”

      Mit diesen Worten schwebte sie auf einen kleinen Pfad inmitten der Bäume zu.

      Das Dorf

      Sally folgte der kleinen Elfe gehorsam. Staunend blickte sie in die Runde. Noch nie zuvor hatte sie solch sonderbare Bäume gesehen. Die Blätter schienen wirklich auf der Oberseite golden und auf der Unterseite silbern zu sein. Das merkwürdigste aber war, das obwohl der Wind durch die Blätter wehte, kein einziges Geräusch zu hören war. Fast wäre Sally gegen einen Baum gelaufen, als sie den Pfad erreichten, so war sie in Gedanken versunken. Zum Glück bemerkte die kleine Elfe, dass sie träumte. “Pass doch auf, sonst holst du dir noch eine Beule!”

      Ganz verstört drehte sich Sally um und blieb erschrocken wenige Zentimeter vor einem der Bäume stehen. Als sie neugierig die Hand nach einem Blatt ausstreckte, schrie die Elfe erschrocken auf. “Fass sie nicht an!” Wie in Trance blickte Sally sie an, drehte sich dann aber wieder zu dem Baum um und führte ihre Hand weiter in Richtung eines der Blätter. Es ging eine magische Kraft von ihnen aus, der sie nicht widerstehen konnte. Die Elfe erkannte die Gefahr, in der Sally schwebte. Sie musste schnell handeln, bevor es zu spät war. Schnell riss sie sich ein weiteres goldenes Haar aus, warf es in die Luft und begann sich wie ein Kreisel zu drehen. Die Elfe wurde größer und größer, bis sie schließlich so groß wie Sally war. Deren Finger waren nur noch wenige Millimeter vom Blatt entfernt, als Elmona sie zurückriss. Es war, als wenn ein Stromschlag durch ihren Körper ging. Sie wurde jäh aus ihrer Trance gerissen. Aus weit aufgerissenen Augen blickte sie die Elfe an: “Was ist los, wer bist du? Wo ist die kleine Elfe geblieben?” “Schau mich doch an”, erwiderte diese, “erkennst du mich denn nicht? Wenn du weiterhin solche Dummheiten machst werde ich bald keine Haare mehr haben.”

      Sally starrte die Elfe wie einen Geist an. “Aber du warst doch eben noch ganz klein. Was ist denn eigentlich passiert? Warum hast du mich so grob zurückgerissen? Ich wollte doch nur eins der Blätter anfassen. Abgerissen hätte ich es bestimmt nicht.”

      “Dazu wärst du auch gar nicht mehr gekommen”, sagte die Elfe. “Wir nennen sie die ‚Bäume der Träumenden‘. Hättest du eines der Blätter berührt, wärst du in einen tiefen Schlaf gefallen, aus dem du nie wieder aufgewacht wärst. Selbst ich hätte dir dann nicht mehr helfen können. Du scheinst