Edgar Sigmanek

Sally - Magierin wider Willen


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wollte Sally sich die Ohren zuhalten, als plötzlich Ruhe eintrat. Mit einem leisen Schrei taumelte Elmona zurück und konnte gerade noch rechzeitig von den umstehenden aufgefangen werden. Sie war einer Ohnmacht nahe.

      “Ihr Zorn muss übermächtig sein, wenn Saldera es wagt einen Angriff auf den Palast zu starten.”

      Die Alte war herangekommen und blickte ernst auf Elmona herab, die zu Boden gesunken war. “Nie zuvor hat sie es geschafft, so weit bis zu uns vorzudringen.”

      “Was ist geschehen?”, fragte Sally mit völlig verstörtem Blick. “Was hast du gerade getan?”

      “Sie hat den Angriff Salderas abgewehrt, der augenscheinlich dir gegolten hat”, antwortete die Alte. “Du hast dich offen gegen sie aufgelehnt und nun trifft dich ihr ganzer Zorn.”

      “Aber ich wusste doch gar nicht...”

      “Das macht nichts, Saldera unterscheidet nicht zwischen Leuten, die sich bewusst oder unbewusst gegen sie auflehnen. Wer sich gegen sie stellt, verschwindet in den dunklen Tiefen ihres Palastes, aus denen noch nie jemand wieder zurückgekehrt ist.”

      Die Worte der Alten erschütterten Sally bis ins Mark und sie begann leicht zu zittern.

      “Wenn du die Auserwählte bist, bist du die Einzige, die ihr trotzen und sie besiegen kann. Du kannst uns für immer von ihr befreien.”

      Plötzlich kam sich Sally ganz klein und hilflos vor. Wie sollte sie, ein kleines Mädchen, etwas gegen eine Zauberin ausrichten können, vor der ein ganzes Volk Angst hat. Langsam kam Elmona wieder zu sich und richtete sich auf.

      “Das war knapp!”

      Sie hatte die Worte fast nur gehaucht und doch hatten sie alle gehört und jubelten los.

      “Wir sollten für die Nacht die Wachen verdoppeln, damit sie nicht noch einmal durchbrechen kann und erst einmal schlafen gehen. Morgen, in aller Frühe, sollten wir uns dann im großen Rat zusammen setzen um die Lage zu besprechen”, sagte die Alte mit ernstem Gesicht. “Ziofotta wird dir dein Zimmer zeigen. Du solltest schlafen gehen, damit du morgen früh hellwach bist.”

      Ein kleines hageres Mädchen mit langen blonden Haaren kam auf Sally zu und führte sie durch eine Nebentür auf einen Gang, der durch zahlreiche Fackeln erhellt wurde. Der im Vorbeigehen entstehende Windhauch ließ an der Wand Schatten entstehen, aus denen man alle nur erdenklichen Monster erkennen konnte, wenn man nur genug Fantasie dazu hat. Aber war es wirklich nur Fantasie, die Sally hinter der neben ihr befindlichen Fackel einen so gruseligen Kopf erscheinen ließ? Wie war es möglich, dass hinter dieser ein Schatten auftauchte? So etwas kann es doch gar nicht geben. Und dann diese Augen, war da nicht ein mordgieriges Flackern? Sally kniff die Augen zusammen um sie im nächsten Augenblick wieder zu öffnen. Und dann waren sie weg, die Schatten. Es war also doch nur eine Täuschung. Erleichtert schloss sie zu Ziofotta auf, die Sally’s Bummeln nicht bemerkt hatte und schon ein gutes Stück voraus war. Schließlich hielten sie vor einer dicken Holztür. Aber es war keine gewöhnliche Tür, sie hatte weder Drücker noch Knauf zum Öffnen. Schon wollte Sally fragen, wie sie sie denn öffnen solle, als Ziofotta die Hand ausstreckte und diese nur leicht berührte. Völlig geräuschlos schwang die Tür nach innen auf und gab den Blick auf ein geräumiges Zimmer frei, durch dessen Fenster gerade noch die untergehende Sonne zu sehen war. In der Mitte stand ein kleiner Tisch mit leckeren Speisen, bei dessen Anblick sich sofort der Hunger zurückmeldete.

      “Dies ist dein Zimmer für die Dauer deines Aufenthaltes”, sagte Ziofotta und verneigte sich, um sich zurückzuziehen.

      “Bitte bleib doch”, presste Sally hastig hervor.

      Erstaunt hob Ziofotta den Kopf. “Hast du noch einen Wunsch?”

      “Ich würde gerne mehr über euch erfahren, wie ihr so lebt und wer diese böse Saldera ist. Kannst du nicht noch einen Augenblick bleiben?”

      “Es tut mir leid, aber ich habe Anweisungen, sofort zurückzukehren und dich nicht weiter zu belästigen. Du brauchst unbedingt Ruhe, um morgen ausgeruht zu sein.”

      Mit diesen Worten verneigte sie sich noch einmal, drehte sich um und verließ das Zimmer.

      Da stand sie nun, allein und hilflos, ohne einen Freund. Aber war sie denn wirklich ohne Freunde? Die Elfen schienen ihr gegenüber sehr freundlich, doch waren sie wirklich ihre Freunde? Und wie sollte sie wieder nach Hause kommen. Traurig ging sie auf den Tisch zu und setzte sich auf den Stuhl, um einen Bissen zu sich zu nehmen. Es war ein reichhaltiges Angebot an fremdartigsten Speisen. Da gab es Obst, wie sie es noch nie gesehen hatte und Fleisch, das so herzhaft roch, dass sie kaum noch anhalten konnte, es zu probieren. Sie biss ein Stück davon ab und stellte fest, dass es nach Hähnchen und irgendwie fruchtig, wie eine Mischung aus Ananas und Eiscreme schmeckte. Aber das war doch gar nicht möglich. Sie probierte ein weiteres Stück, dieses Mal schmeckte es nach Erdbeere. Vor Verblüffung wäre ihr fast das Reststück aus der Hand gefallen. Ein weiterer Versuch brachte Toast mit Honiggeschmack zu Tage. Das machte sie dann doch stutzig.

      Sally startete einen Versuch, sie dachte ganz fest an Kirschtorte mit Schlagsahne und probierte ein weiteres Stück und wirklich, ein unverwechselbarer Geschmack nach Kirschtorte mit Schlagsahne machte sich in ihrem Mund breit. Dann gab es kein halten mehr für Sally. Genussvoll machte sie sich über die Speisen her, immer neue Geschmacksrichtungen ausprobierend, bis sie schließlich nicht mehr konnte.

      Erschöpft lehnte sie sich zurück und blickte aus dem Fenster, durch das vor wenigen Minuten noch die letzten Sonnenstrahlen in das Zimmer gefallen waren.

      Nun waren dort nur noch Finsternis und das Flackern der Kerze, die in Ihrem Zimmer brannte. Aber da war noch etwas, anfangs nur ein Flackern, dann ein Schemen, der immer mehr Gestalt annahm und zu einem Schatten wurde, einem schrecklichen Schatten, der sie anstarrte. Sally sprang auf und stieß dabei den Stuhl um, auf dem sie gerade noch gesessen hatte. Erschrocken fuhr sie zusammen, traute sich jedoch nicht, ihren Blick vom Fenster wegzudrehen. Sally wurde wie magisch von diesem Schatten angezogen. Sie konnte ihren Blick einfach nicht abwenden. Eine Stimme schien Ihr etwas zuzuflüstern, das sie jedoch nicht verstehen konnte. Wie eine Traumwandlerin begann sie auf das Fenster zuzugehen. Ganz langsam, Schritt für Schritt näherte sie sich dem Fenster, und der Schatten wurde größer und größer. Schon konnte sie Einzelheiten erkennen.

      Es war ein seltsames Geschöpf, so groß wie eine Eule, aber mit einem Kopf wie ein Zwerg und einem dünnen Hals. Es hatte lange schmale Ohren und messerscharfe Zähne. Mit einem grässlichen Lachen blickte es sie an, so, als wenn es sich seiner Beute schon völlig sicher war. Und seine Beute kam immer näher. Schon war Sally am Fenster und hob die Hand, um es zu öffnen.

      Im tiefsten Innern wusste sie, das wenn sie es tat, sie verloren sein würde, aber diese Augen befahlen ihr einfach weiterzumachen. Die Stimme in ihrem Kopf wurde nun schon deutlicher. “Komm und lass mich herein ”, drang es in ihr Unterbewusstsein. Sie wollte sich dagegen wehren um Hilfe schreien, aber es war vergebens. Schon war ihre Hand am Fenstergriff. “Dreh ihn herum und öffne das Fenster!”, war da wieder die Stimme.

      Und Sally begann zu drehen. Sie kam allerdings nicht mehr dazu, ihre Bewegung zu Ende zu führen. Ein Schmerz ließ sie aufschreien und die Hand zurückzucken. Irgendetwas hatte sie in den Fuß gebissen.

      Noch völlig benommen wandte sie den Blick vom Fenster ab und schaute nach unten. Dort saß eine Maus und putzte sich die Barthaare mit den Vorderpfoten. “Aber das kann doch nicht ”, begann sie los zu stottern, schaute aber sofort wieder ängstlich zum Fenster, ob der Schatten noch da wäre.

      Da, wo er bis vor wenigen Sekunden noch war, gab es jetzt nur noch schwarze Leere.

      “Was tust du Einfallspinsel denn da? Musstest du mich denn unbedingt beim Abendmahl stören?”, piepste es von unten.

      Beinahe hätte Sally die Beherrschung verloren, behielt dann aber doch die Fassung.

      “Wer bist du und was machst du hier?”, fragte sie, sich gerade noch rechtzeitig an die erste Begegnung mit Elmona erinnernd in gesengtem Tonfall.

      “Ich bin Schnurz, dein persönlicher Beschützer.”