Ole R. Börgdahl

Zwischen meinen Inseln


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8. April 1918

      Nach den Herbstferien ist Tom heute das erste Mal alleine von der Schule gekommen. Es ist ja nur eine halbe Meile Fußweg. An der Ecke hat er sich von Jimmy verabschiedet, der eine Straße weiter wohnt. Ich hatte schon fast eine halbe Stunde am Küchenfenster gestanden und auf Tom gewartet. Heute Morgen habe ich ihn noch zur Schule gebracht, aber am Montag wird er auch den Hinweg ohne mich machen. Jimmy wird ihn begleiten und unterwegs werden sie auch noch Paul auflesen.

      Brisbane, 30. April 1918

      Eine neue Stadt, eine neue Schlacht, in der das Australian Corps den Feind zurückgeschlagen hat. Villers-Bretonneux ist ein Flecken in der Nähe von Amiens. Ich habe Vater gefragt, ob er noch weiß, wie es dort aussieht. Vater erinnert sich an Wälder, Wiesen und Äcker und an Frieden, genau das waren seine Worte. Er erinnert sich aber auch an Festungsbauten bei Verdun und Fort Douaumont, ein Name, den ich in den Zeitungen jetzt schon öfters gelesen habe.

      Brisbane, 11. Mai 1918

      In den letzten Jahren haben wir Bilder von Kanonen, von Schlachtschiffen und manch anderem gefährlichen Gerät gesehen. Jetzt etwas ganz Neues für uns, ein Ding ganz aus Metall, mit langen, umlaufenden Ketten anstatt der Räder. Es wird Tank genannt und es ist eine neue Waffe, die den Krieg vielleicht beendet. Wenn Hunderte dieser Tanks über die Schlachtfelder fahren, wenn sie über die Schützengräben fahren, natürlich unverwundbar, das ist die Voraussetzung, so können sie tief hinter die Front gelangen. Nur, was ist, wenn auch die Deutschen solche Tanks haben, dann wäre es doch wieder unentschieden, dann bliebe doch wieder alles stehen.

      Brisbane, 29. Mai 1918

      Die Vereinigten Staaten stationieren ihre Truppen schon seit Anfang des Jahres in Frankreich. Bisher haben nur Franzosen, Kanadier, Engländer, Australier und Neuseeländer gekämpft. In Cantigny waren es jetzt die Amerikaner, die den Deutschen gegenüberstanden. Wir hoffen, es werden viele, viele Amerikaner geschickt. Eine solche Übermacht muss doch einfach siegen.

      Brisbane, 1. Juni 1918

      Dann hören wir von einem schlimmen Rückschlag. Die Menschen in Paris haben wieder Angst, denn der Feind hat es geschafft, Granaten auf die Stadt abzufeuern. Es soll Treffer gegeben haben.

      Brisbane, 24. Juni 1918

      In Australien ist der Absinth doch verboten. Ich sehe mir gerade die drei Flaschen an, die Onkel Louis im Februar zu Vaters Geburtstag mitgebracht hat. Eine Flasche haben wir auf der Feier gleich geöffnet und jeder hat mit einem Glas Absinth auf Vater angestoßen. Ich denke für den Hausgebrauch dürfen wir die Flaschen behalten. Onkel Louis hat noch ganze fünf Kisten davon im Keller und muss sie wohl irgendwie loswerden. Zum Wegschütten seien sie ihm zu schade, auch weil es sehr guter Absinth ist. Die angebrochene Flasche werde ich aber trotzdem in den nächsten Tagen ausgießen, Vater trinkt ohnehin nichts davon und ich ja auch schon gar nicht.

      Brisbane, 12. Juli 1918

      In den Winterferien hatte ich leider nicht sehr viel Zeit für Tom. Vater hat sich um ihn gekümmert. Ich muss mich an die Ferienzeiten gewöhnen und schon vorher etwas planen, einen Ausflug oder sogar eine kleine Reise. Am Nachmittag geht Tom immer mit seinen Freunden in den Park. Keith hat eine Angel und sein Vater beaufsichtigt die Jungen, wenn sie am Fluss sind. Vor ein paar Tagen soll Keith sogar einen Fisch gefangen haben. Ich muss an die Fischer von Ua Huka denken, an die Boote und wie der Fang verteilt wurde.

      Brisbane, 27. Juli 1918

      Vater und ich haben gestern einen Artikel gelesen. Es ging um die Moral der französischen Truppen. Die Oberbefehlshaber mussten Zugeständnisse machen, weil Verpflegung und Unterbringung der Frontsoldaten schlecht waren. Jetzt soll es wieder besser sein und im Innern herrscht nun Ruhe, sodass der wahre Feind bekämpft werden kann. Vater hatte natürlich ein Sprichwort für mich ist es geradezu ein Reim: »Elend wird vergessen, gibt's nur was zu essen«. Ich musste lachen, denn es scheint ja auch zu stimmen. Jetzt bin ich aber wieder ernst, denn man darf über diesen Krieg nicht lachen.

      Brisbane, 15. August 1918

      In allen Zeitungen findet sich eine Fotografie von General Monash. Er wurde zum australischen Helden auf den Schlachtfeldern Frankreichs und ihm wurde eine besondere Ehre zu Teil. King Georg persönlich hat ihn zum Knight Commander erhoben und das noch auf dem Schlachtfeld.

      Brisbane, 1. September 1918

      In Frankreich steht es für die Alliierten besser, ein Ende des Krieges soll aber noch nicht absehbar sein. Es gibt Stimmen, die meinen, der Stellungskrieg, dieses Kämpfen entlang einer festen Front, kann sich auch noch im nächsten Jahr fortsetzen.

      Brisbane, 6. September 1918

      In der Vorschule ist Tom nie gehänselt worden, doch jetzt haben einige Jungen entdeckt, dass er anders ist als sie. Es genügt dazu eine Kleinigkeit. Seine Haut ist dunkler als die der anderen Kinder und sein Gesicht trägt die Züge seiner marquesanischen Vorfahren. Es sind Dinge, auf die Tom stolz sein kann, doch das sehen nicht alle so. Er wurde gefragt, ob er aus dem Outback käme und ob er zu Hause auch Raupen essen würde. Tom hat mir das nicht selbst erzählt. Jimmy war es, der mir gleich davon berichtet hat. Er konnte auch die Jungen benennen, was aber nicht wichtig ist. Warum sollte ich mit ihren Eltern sprechen oder gar mit der Lehrerin. Tom steht nicht alleine da, Jimmy ist auf seiner Seite und auch Keith und Paul. Es steht vier gegen vier.

      Brisbane, 14. September 1918

      Es wird von australischen Heldentaten in Belgien und Frankreich berichtet. Wieder fällt der Name Monash, General Monash.

      Brisbane, 24. September 1918

      Am Wochenende habe ich Tom von Ua Huka und Nuku Hiva und von Tahiti erzählt und von den Menschen, die dort leben. Ich habe von den Bauern und Fischern erzählt, die auf winzigen Inseln inmitten eines riesigen Ozeans über alles herrschen. Ich habe Tom von der einen Hälfte seines Blutes erzählt und Vater dann von der anderen Hälfte, von den stolzen Franzosen, die überall auf der Welt ihre Kolonien besitzen. Tom kennt seine Herkunft ja bereits, aber es war wichtig, sie ihm jetzt noch einmal ins Gedächtnis zu rufen. Ich habe dann heute Nachmittag mit Toms Lehrerin gesprochen. Wir haben vereinbart, dass Tom in der nächsten Woche vor der Klasse über seine Herkunft berichten soll, über das, was er von Vater und mir gelernt hat. Tom soll vor seiner Klasse nicht mehr der Junge mit der dunklen Haut und den schwarzen Augen sein.

      Brisbane, 2. Oktober 1918

      Australische Truppen kämpfen auch am Mittelmeer und in Palästina. Die Stadt Damaskus wurde von ihnen eingenommen. Das Osmanische Reich scheint immer mehr an Boden zu verlieren. Wenn es doch jetzt auch nur in Frankreich ein Ende mit dem Kriege nähme.

      Brisbane, 7. Oktober 1918

      Australische Truppen erobern die Stadt Montbrehain. Ich habe nachgesehen, wo der Ort liegt und abgeschätzt, dass es gut hundert Meilen von Paris entfernt ist, sogar noch nördlicher als Amiens. Die Zeitungen schreiben seit einigen Tagen von einer Wende. Die Deutschen sind des Krieges müde.

      Brisbane, 15. Oktober 1918

      Ich komme eben aus Toms Schule. Mein kleiner Plan ist aufgegangen. Tom hat seinen Vortrag schon vor zwei Wochen gehalten, gleich nach den Frühlingsferien. Jetzt erfahre ich, dass jeder der Jungen ganz begierig die Geschichte seiner eigenen Familie vortragen will. Jeden Morgen erzählt ein anderer Junge, aus welchem Land oder welcher Stadt seine Eltern stammen. Die Lehrerin hat eine Weltkarte im Klassenraum aufgehängt und es werden Fähnchen auf die Orte geklebt und auf den Fähnchen