in die Arme zu nehmen. „Tu nicht so unschuldig! Du hast genau gewusst, was heute Abend passieren würde! Gut für dich was? Jetzt wo das Ministerium so angeschlagen ist, kannst du in Ruhe deine ganzen krummen Nummern abziehen und die Vampire wieder vorantreiben. Wenn du meine Mutter nicht hingehalten hättest dann … dann“, ihre Stimme brach und ich wurde langsam ungeduldig. Was zur Hölle war hier nur los? Ich verstand noch immer nicht, was Sie von mir wollte. Was überhaupt geschehen war. Alles, was ich jetzt wusste, war, dass dieses ekelerregende, langsam trocknende Blut was an ihr haftete, ihrer Mutter gehörte. Ich ging ein paar Schritte auf Sie zu, bevor ich innehielt, als ich bemerkte, dass wir nicht allein waren. Meine Blicke trafen auf eine halbe Portion mit einer kaputten Brille. War das etwa Marvin? Wie hatte ich auf so jemanden nur eifersüchtig sein können? Ich entschloss mich dazu, ihn einfach zu ignorieren. „Fass mich nicht an!“, schrie Sie abwertend und wehrte sich so sehr dagegen, sich von mir in die Arme nehmen zulassen, dass ich den Gedanken wieder verwarf. „Amy, lass uns gehen, dass bringt doch nichts“, rief Marvin besorgt und machte ein paar Schritte in unsere Richtung. „Verschwinde!“, entgegneten wir beide gleichzeitig und schauten uns kurzzeitig verwundert an, während Marvin abrupt stehen blieb. „Wieso … wieso hast du das nur zugelassen?“, fragte Sie nun ruhig und mit zitternder Stimme. Wenigstens schien Sie sich zu beruhigen. „Amy, ich schwöre dir, ich habe keine Ahnung, was hier los ist!“ Sie sackte zu Boden und landete auf ihren Knien, wo Sie schluchzend ihren Tränen freien Lauf ließ.
„Das Ministerium wurde überfallen“, wand Marvin sich an mich. Der Idiot, der dachte, dass Amy auf solche Witzfiguren wie ihn stand. „Sie haben alle ermordet, die im Ministerium waren, einschließlich der Präsidentin. Sie erklärten uns den Krieg mit den Worten: Die BloodRebellion beginnt.“ Sein Hass mir gegenüber war kaum zu überhören. Wieso hatte ich davon nichts gewusst? „Wie viele Mischblüter waren es?“, fragte ich kühl. „Wir schätzen es bis jetzt auf über 100, mit über 50 Toten und keine Verletzten. Zum Glück war es bereits so spät, dass sich nicht mehr allzu viele im Ministerium aufgehalten hatten. Keiner möchte sich ausmalen, was dann los gewesen wäre.“ Ich schaute ihn ungläubig an. „Ich habe sie unterschätzt, das räume ich ein. Ich hatte keine Ahnung, dass sich bereits so viele …“ Ich stockte, als Amy sich wieder erhob. Sie taumelte zu mir und schlug mit der Faust erneut gegen meinen Oberkörper. Ich ließ Sie gewähren, was sollte ich auch tun. So verzweifelt, wie Sie wirkte, wusste Sie wohl selbst nicht, was Sie hier gerade tat. „Du hättest was tun können. Du bist an allem schuld! Wenn du Sie nicht hingehalten hättest, würden viele noch leben. Du bist ein Versager.“ Sie weinte und ihr Zustand brachte selbst mich dazu, Reue und Mitleid zu empfinden. Mal wieder. „Es tut mir so leid, Amy“, erwiderte ich mitfühlend und zog Sie zu mir heran. Endlich ließ Sie es zu, sich von mir in die Arme nehmen zu lassen. Ihre Tränen ergossen sich auf meinem Shirt und ihre Trauer, ihre Verzweiflung übermannte Sie wohl nun vollkommen. Schlagartig wurde mir bewusst, dass ich Sie hätte niemals allein lassen dürfen. Wie viele Fehler hatte ich in letzter Zeit begangen? „Du solltest jetzt gehen, Fighter“, rief ich zu Marvin hinüber, der noch immer an der Tür stand und dessen Blick mir verriet, wie gern er an meiner Stelle sein würde. Er verriet mir, dass er mehr als verwundert darüber war, dass wir beide uns bereits so nahe standen.
Wenn er wüsste, wie nahe.
Ihm schien es nicht zugefallen, allein zurückzufahren und Sie hierzulassen aber sich mit mir anlegen wollte er wohl dann doch nicht und so zog er, mit einem letzten abwertenden Blick, die Tür hinter sich zu und ließ uns allein zurück. „Wieso? Ich hätte ihr sagen müssen, das … und jetzt ist Sie tot. Meine Schwester und mein Vater. Sie musste genau dasselbe durchmachen wie die beiden. Warum meine Familie? Was soll das alles?“ Sie verlor erneut das Gefühl ihrer Beine und ich ging mit ihr zu Boden. Sie hörte nicht auf, zu schluchzen und Tränen zu vergießen. Erst als Sie wohl keine Kraft mehr hatte zu weinen, beförderte ich Sie zu meinem Bett, wo Sie sogleich in meinen Armen einschlief. Aber ich konnte in dieser Nacht unmöglich schlaf finden.
Ich überlegte, was ich falsch gemacht hatte. Ich hätte gedacht, meine Informationen über die Widersacher wären lückenlos. Ich hatte viel Vertrauen in meine Informanten gelegt aber scheinbar, hatten selbst Sie mich verraten. Amy drehte sich auf den Rücken und ich ließ meine Augen über Sie gleiten. Selbst im Schlaf wirkte Sie trauernd und hilflos. Amy hatte recht. Ich hatte versagt. Ich hatte sie hingehalten, da ich nicht geglaubt hatte, dass sie so schnell gegen das Ministerium vorgehen würden. Ich hatte einen Fehler begangen. Ich, der nie Fehler machte und nun musste Amy daran leiden. Dafür würde er bezahlen. Dafür, dass er Amy das angetan hatte, würde er noch qualvoller sterben müssen, als ich es bis jetzt vorgehabt hatte. Ich würde ihn zuerst finden und nur ich würde sein blutendes und pulsierendes Herz in meiner Hand zerquetschen. Ich und kein Fighter auf dieser Welt würde mir diese Rache nehmen. John war das Unheil meines gesamten Lebens.
Der Tag begann mit denselben Wolken der Nacht. Trüb, verregnet und wohl ganz in derselben Stimmung wie Amy. Was wohl nun passierte, nachdem die Präsidentin tot war? Der Vizepräsident lebte im Ausland und hatte dort selbst Familie und Kinder. Ich fragte mich, wie Blinow so war. Auf dem Vertretertreffen hatten wir fast ausschließlich nur über mich geredet. Ob ich meine Zusammenarbeit nach alledem mit ihm fortsetzen konnte? Ich musste dringend etwas unternehmen. Ich hatte keine andere Wahl mehr. Ich musste John aus dem Weg schaffen, denn erst wenn er verschwunden war, mussten sie mir dienen, ausnahmslos! Mir, dem letzten Reinblüter, der ich dann sein würde. Alle, sie hatten dann keine andere Wahl mehr. Niemand würde mich mehr verraten. Wenn ich nur wüsste, was sein Grund für diese BloodRebellion war. Oder zumindest wo er sich aufhielt. „Damian.“ Amy riss mich aus meinen Gedanken und sprach meinen Namen so verträumt und liebevoll aus, dass ich begriff, was mir die Wochen zuvor gefehlt hatte. Als Sie damals sagte, dass ich gefährlich für Sie war, dass Sie Angst vor mir hatte, dass ich ein Monster sei, hatte ich es für das beste gehalten, ihr den Abstand zu gewähren. Ich wusste nicht mehr, was das Beste für unser beider Leben war. Aber jetzt wusste ich es.
Jetzt war alles für mich klarer als jemals zu vor. Ich brauchte Sie und Sie brauchte mich. Wie dunkel und kalt mein Leben nur ohne Sie gewesen war. Vielleicht war Sie wie ein Lichtschein, der meine innere Hölle erleuchtete und diese versuchte zu erwärmen und mir den Ausweg zeigte. Ich drehte mich wieder zu ihr und gab ihr einen Kuss auf ihre trockenen Lippen. Sie blickte in meine Augen und schien die Nacht darin Revue passieren zu lassen. „Es war kein Albtraum, nicht wahr?“, fragte Sie im Flüsterton, als hätte Sie Angst, es laut auszusprechen. „Es ist die Realität, die du nicht mehr ändern kannst“, entgegnete ich behutsam. Ihre Augen waren starr auf die meine gerichtet. „Wie hast du den tot deines Vaters akzeptiert?“ Überrascht wich ich ihrem Blick aus, indem ich mich neben sie auf den Rücken rollte. „Wohl nie.“ Ich wollte nicht über ihn reden, aber Amy schien das nicht zu interessieren. Sie drehte sich zu mir, kuschelte sich an meine Seite und legte die Hand auf meine Brust. Dort wo mein Herz schlug. Gedankenverloren ließ ich ihre Finger in die meine sinken und starrte an die Decke. „Dann eben, wie hast du es verarbeitet.“ Ich kam an dem Thema wohl nicht vorbei. Wovor hatte ich Angst? Vielleicht war es an der Zeit, mich ihr zu öffnen. „Weißt du, ich habe meinen Vater wirklich geliebt. So wie keinen anderen sonst. Er war eine Respektsperson, aber hatte mir stets immer alles gegeben, was ich wollte. Sich Zeit genommen bei den Dingen, die er mir erklären musste. Er hatte mir zugehört, mich für mein Leben, meine Herrschaft vorbereitet und erzogen. Ich kann seinen tot nicht akzeptieren und der Schmerz, diese leere ist noch immer in meinem Herzen und hat mich zu dem gemacht, der ich heute bin.“ Ich drehte meinen Kopf zu ihr. „Es stärkt uns und weißt uns den Weg, den wir gehen, mit dem einzigen Ziel, den Sinn von alles und allem zu verstehen. Ich habe mich auf diesem Weg gänzlich verloren.“ Sie richtete sich auf und setzte sich neben mich auf ihre Oberschenkel. „Ich verstehe es heute nicht und auch morgen nicht“, fuhr ich fort. „Wahrscheinlich werde ich es nie verstehen, warum ihr meinen Vater umbrachtet, aber ich darf nicht in Selbstmitleid versinken. Das war etwas, was er mir schon früh beigebracht hatte: Innerliche Stärke.“ Meine Augen blieben an ihrem Gesicht hängen, an dem das verschmierte Blut bereits angetrocknet war. Sie musste dringend eine Dusche nehmen und ihre Kleidung wechseln. Auch schon, weil ich diesen Gestank nicht ertragen konnte, der ihr so kostbares Blut verschandelte. „Wieso kommt es mir so vor, als wärst du das Einzige, was mir in meinem Leben noch geblieben ist?“, fragte Sie und wirkte so hilflos, wie ich