Jörg Jennrich

Böse Bürde


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Man hoffte, in der Einsamkeit des Dorfes 1945 unbehelligt die Schlacht um Berlin überleben zu können. Dass die Rote Armee, als Befreier von Nazideutschland, sich für den Vernichtungskrieg der Nazis an dem russischen Volk, rächen würde, wurde befürchtet. In der Folge wurden dann mehr als 100.000 Frauen und Mädchen allein in Berlin von April bis September als Kriegsbeute vergewaltigt. Insgesamt sollen während des gesamten Vormarsches der Roten Armee 2.000.000 Frauen vergewaltigt worden sein. Wobei ca. 12 % dieser Frauen durch die sexuelle Gewalt getötet wurden. Diese Kriegsverbrechen sind mit der Billigung durch den sowjetischen Diktator und Obersten Befehlshaber der Roten Armee, Stalin, erfolgt.

      Auch in unserer Familie wurden die Frauen Opfer von solchen Gräueltaten. Leider war nicht weit von unserem Anwesen entfernt, auf der anderen Uferseite der Spree, eine deutsche Flak-Batterie stationiert. Nachdem diese Flakstellung von den russischen Soldaten eingenommen wurde, machten sie Jagd auf deutsche Soldaten und Nazis. Sie durchkämmten die Gegend und durchsuchten jedes Haus. Rechtswidrige Befehle und die Außerkraftsetzung des Kriegsvölkerrechts der Genfer Konventionen ermöglichten den Soldaten auch Misshandlungen und Morde an Zivilisten. Auf blass bläulichen Handzetteln wurden die Rotarmisten aufgefordert:

      „Tötet, tötet! Es gibt nichts, was an den Deutschen unschuldig ist, die Lebenden nicht und die Ungeborenen nicht! Folgt der Weisung des Genossen Stalin und zerstampft für immer das faschistische Tier in seiner Höhle. Brecht mit Gewalt den Rassenhochmut der germanischen Frauen. Nehmt sie als rechtmäßige Beute. Tötet ihr tapferen, vorwärtsstürmenden Rotarmisten.“

      So kamen diese aufgehetzten Rotarmisten auch auf unser Anwesen. Sie traten mit den Schaftstiefeln unsere Haustür ein und durchsuchten jedes Zimmer. In der Küche, die sich im Tiefparterre des Hauses befand, wurden diese blutrünstigen Soldaten dann fündig. Meine Mutter hockte dort verängstigt mit ihren 6 Kindern, die damals 2, 3, 6, 9, 13 und 15 Jahre alt waren.

      Und sie entdeckten Olga. Sie war ein 18–jähriges russisches Mädchen, welches meine Eltern aus der Zwangsarbeit befreien konnten und, das bei uns in der Familie wie eine weitere Tochter leben durfte. Die Soldaten waren außer sich. Sie schätzten die Situation total falsch ein. Alles Flehen und Betteln meiner Mutter zu den Soldaten, ihrer Familie kein Unheil anzurichten, blieb im lauten Gegröle und Gelächter ungehört. Olga wurde dann von einem Soldaten aus dem Haus in den Garten abgeführt. Die anderen Bestien griffen sich dann im Siegesrausch, vor den Augen der kleineren Geschwister, die vor Todesangst schreiend oder wie gelähmt in einer Ecke im Raum hockten, meine 15-jährige Schwester und meine Mutter. Sie pöbelten auf Russisch „Dawai, dawai Gitlerowskaja suka prich di sjuda jebat“, zu Deutsch „Los, los hitlerische Hündin komm hierher ficken!“ Brutal wurden Lisbeth und meine Mutter auf den Küchentisch gezerrt, festgehalten und geschlagen. Während ihnen die Kalaschnikow bedrohlich an den Kopf gehalten wurde, riß man den beiden die Kleidung vom Leib und mehre Sowjetsoldaten steckten nacheinander ihre dreckigen, stinkenden Penisse in die Scheiden der beiden und vergewaltigten sie unter großem Jubel der Meute. Dieses unvorstellbare Inferno endete mit der Entführung meiner schwer misshandelten Schwester, die von den Rotarmisten in brutalsterweise ihrer Jungfräulichkeit beraubt und schwer mißhandelt wurde. Sie wehrte sich mit Leibeskräften, als sie zu einem Lastwagen gezerrt wurde. Mit harscher Gewalt packten diese barbarischen, betrunkenen Vergewaltiger sie an den Haaren und den Beinen und warfen sie wie ein Stück totes Vieh stark blutend, rücksichtslos auf die Ladefläche eines Militärfahrzeuges. Mit lautem russischem Gegröle und Schüssen aus der Kalaschnikow fuhren diese Kriegsverbrecher dann mit Lisbeth fort.

      Zum Glück ließen sie meine Mutter und die kleineren Geschwister am Leben. Diese hockten auf dem Küchenboden, nach dem, was sie mit ansehen mussten, und starrten ungläubig entsetzt ins Leere. Geschockt und verzweifelt saßen sie auf dem Boden in der Küche und trauten sich nicht vom Fleck. Wie gelähmt verbrachten die Kinder die nächsten Stunden an diesem Höllenort. Die geschundene Mutter, die sonst so stark und schützend ihre Kinder behütete, lag vor ihnen wie ein wimmerndes Baby, apathisch zusammengekauert und unfähig jeglicher Regungen. Erst als am nächsten Morgen die ersten Sonnenstrahlen durch das Küchenfenster drangen, wagte sich meine damals 13-jährige Schwester Irma aus dieser Starre zu lösen. Sie durchsuchte die Zimmer und bemerkte, dass sich kein russischer Soldat mehr im Haus befand. Dann versorgte sie ihre Mutter und die kleineren Geschwister. Tapfer übernahm Irma nun für viele Tage die Mutterrolle. Derweil lag meine geschundene Mutter handlungsunfähig mit Albträumen im Bett. Gepeinigt von negativen Emotionen der Angst und Panik machte sie sich sehr große Sorgen um ihre entführte Tochter. Ihr Körper zitterte, die Ohnmacht Lisbeth nicht helfen zu können, brachte sie fast um den Verstand. Verstärkt wurde ihr Zustand noch durch die körperlichen Schmerzen, die sie durch die brutale Vergewaltigung erleiden musste.

      Olgas Tod

      Als am 3. Maisonntag 1943, der von den Nationalsozialisten bereits im Jahre 1934 als offizieller Feiertag eingeführte, Muttertag gefeiert wurde, stand ein unehrenhafter Termin an. Meine Mutter sollte das Ehrenkreuz der Deutschen Mutter in Silber ausgehändigt werden. Nachdem sie im Januar 1943 ihr sechstes Kind gebar, wurde sie von Amts wegen auf Verleihung des Ehrenkreuzes vorgeschlagen. Der Ortsgruppenführer der NSDAP meldete sich bei uns mit großer Würdigung an. Zackig mit seiner braunen Uniform und einer Hakenkreuzarmbinde machte er dann bei meinen Eltern seine Aufwartung. Feierlich wurde dann meiner Mutter das Mutterkreuz in einer blauen Schachtel überreicht. Es gab Kaffee und Kuchen und natürlich reichlich Alkohol. Immer wieder war es meinem Vater eine Freude Nazis unter den Tisch zu saufen. Als der Ortsgruppenführer schwankend und lallend sich verabschiedet hatte, wanderte die Schachtel mit dem Ehrenkreuz sofort in die hinterste Ecke einer Schublade ihres Nachtschrankes. Sie wollte diese Naziauszeichnung nicht, musste sie aber, um nicht anzuecken, freundlich dankend annehmen.

      Wochen später sollte diese Auszeichnung dazu dienen, eine junge russische Zwangsarbeiterin aus den Fängen dieser menschenunwürdigen Arbeitsbedingungen zu befreien. Der „nette“ Ortsgruppenführer bot meinen Eltern Olga als Haushaltshilfe an. Olga, damals siebzehn Jahre alt, war eine von vielen tausenden jungen Frauen, die von den Nazis aus Russland nach Deutschland verschleppt wurden. Bis zum Überfall der Russen auf unsere Familie lebte Olga, wie eine Tochter in der Obhut meiner Eltern. Drei Tage nach den Misshandlungen an meiner Mutter und Schwester durch die sowjetischen Barbaren wurde Olga erschossen am Rande unseres Grundstückes im Graben gefunden. Sie wurde als Verräterin von ihren eigenen Soldaten unvorstellbar grausam misshandelt und ermordet.

      In den Jahren 1942 bis 1945 befand sich in der Fürstenwalder Allee 401 das Arbeiterdurchgangslager Berlin Ost. Eines von berlinweit 3.000 Zwangsarbeiterlagern. Im Rahmen der NS-Zwangsarbeitereinsatzes kamen in der nahegelegenen Rampe Wilhelmshagen ab April 1942 fast täglich Güterzüge überwiegend mit deportierten Frauen und Kindern an. Sie stammten vor allem aus den Gebieten der ehemaligen Sowjetunion und Polen. Hier wurden sie polizeilich erfasst und einige Tage unter primitivsten Bedingungen in zwanzig ständig überfüllten Holzbaracken untergebracht. Nach der Musterung und Vermittlung erfolgte der Weitertransport in entsprechende Zwangsarbeitslager und von dort aus wurden sie in der Rüstungsindustrie, der Landwirtschaft, in mittelständischen Betrieben, bei Kommunen, Kirchen oder in Privathaushalten eingesetzt. Besonders in den Industriebetrieben herrschten für diese Zwangsarbeiter unmenschliche Bedingungen. Niemand konnte in der NS-Zeit in Deutschland leben, ohne ihnen auf Schritt und Tritt zu begegnen. Zwangsarbeiter waren allgegenwärtig. Rund 26 Millionen Menschen arbeiteten unfreiwillig in den besetzten Ländern wie auch im Reichsgebiet. Allein für die Zivilarbeiter gab es rund 30.000 Lager. Fast jeder Deutsche profitierte von ihrer Ausbeutung und ohne sie hätte der Krieg sicherlich früher geendet, weil die deutsche Wirtschaft zusammengebrochen wäre. Durch die unwürdigen Lebensbedingungen starben besonders viele Sowjetbürger, die von den Nationalsozialisten als Untermenschen behandelt wurden. Sowjetische Zwangsarbeiter hatten dann nach Kriegsende bei der Rückkehr in ihre Heimat unter weiteren Repressalien zu leiden. Sie waren dem pauschalen Vorwurf der Kollaboration mit dem Feind ausgesetzt. 157.000 Rückkehrer sollen wegen Verdacht auf gemeinsame Sache mit den Deutschen hingerichtet worden sein. Andere wurden mit Misstrauen konfrontiert und mussten längere Zeit Strafdienste in Arbeitsbataillonen der Armee leisten.

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