Opel-Automobil vom Fließband. Die Rüsselsheimer Marke war zu dieser Zeit mit 878.000 gebauten Fahrzeugen und einem Marktanteil von 20,4 Prozent der größte deutsche Automobilhersteller. 59.200 Mitarbeiter erwirtschafteten einen Jahresumsatz von 6,5 Milliarden Mark (ca. 3,3 Milliarden Euro).
Zu Anfang 1972 geriet der VW Käfer nochmals in die Schlagzeilen, denn am 17. Februar 1972 lief mit einem 1302 S das 15.007.034. Fahrzeug vom Band und löste damit Fords Tin Lizzy (Modell T) als meistgebautes Auto der Welt ab. Angesichts der finanziellen Situation von VW geriet der Festakt jedoch zur Farce, die geladenen Ehrengäste verließen auffällig schnell den Schauplatz.
Wohl wurde nach den Werksferien im August 1972 zum Modelljahr 1973 noch der 1303 eingeführt, dessen Technik jedoch weitgehend der des 1302 entsprach. Mit gewölbter Windschutzscheibe, größeren Rückleuchten (»Elefantenfüße«), einem gepolsterten Armaturenbrett sowie einer Lüftungsanlage mit zweistufig regelbarem Gebläse war der Käfer wieder einmal modellgepflegt worden. Doch das Ende der Heckmotor-Ära war absehbar, denn die Pläne für eine vollkommen neue Modellpalette wurden immer konkreter.
Geprägt wurde das Jahr 1972 bei VW durch den neuen Vorstandsvorsitzenden Rudolf Leiding, der auf der obersten Führungsetage zahlreiche Köpfe rollen ließ. Als erstes musste Entwicklungschef Werner Holste gehen, weil er in Fragen der Fahrzeugentwicklung nicht mit den Vorstellungen Leidings übereinstimmte. Schon mit dem unter seiner Verantwortung fehlentwickelten, durstigen »Superkäfer« 1302 hatte sich Holste in Misskredit gebracht. Vor allem aber hielt Rudolf Leiding den von Holste vertretenen Entwurf EA 266 als Käfer-Nachfolger für untauglich.
Als Auftragspartner für das Projekt EA 266 war die deutsche Sportwagenmarke Porsche auserkoren worden. Der dort unter der Leitung von Ingenieur Ferdinand Piëch konzipierte Kleinwagen mit der werksinternen Bezeichnung EA 266 besaß einen wassergekühlten Mittelmotor in Boxer-Bauweise, der unter der hinteren Sitzbank montiert wurde. 50 Prototypen waren bereits gebaut worden. Doch das Projekt EA 266 wurde von Leiding als zu teuer in der Fertigung und als insgesamt untauglich angesehen.
Hierzu erläuterte der Autor Jerry Sloniger, Ferdinand Piëch verteidigend: »Er [Ferdinand Piëch] konnte sich einfach nicht vorstellen, daß das VW-Management bereit sein würde, sich von seiner bisherigen Konzeption weiter zu entfernen, als bis zum Baukastenfahrwerk mit seinem Motor unter den hinteren Sitzen (der Limousine). [...] Das Projekt, das die Bezeichnung EA 266 trug, basierte auf der Vorstellung, VW würde wirklich nicht weiter vom Bestehenden abrücken; das Auftauchen eines VW-Generaldirektors mit so umfassend neuen Ansichten habe man nicht voraussehen können.«14
Obwohl bereits mehr als 250 Millionen Mark (ca. 125 Millionen Euro) in das Projekt EA 266 geflossen waren, wurde es kurzerhand beendet. Die Firma Porsche wurde angewiesen, alle bereits entwickelten Prototypen zu verschrotten. Dem folgend wurden die Prototypen auf ein Panzertestgelände verbracht, wo sie dann unter den Ketten eines »Leopard« ein Ende fanden. Indes: Mindestens ein Prototyp des Projekts EA 266 überlebte.15
Rudolf Leiding forcierte stattdessen das Projekt EA 337, das ihm mit quer eingebautem Frontmotor mit Wasserkühlung, selbsttragender Karosserie und Schrägheck deutlich fortschrittlicher erschien. Dies war der Beginn des neuen Kompaktwagens von VW. Für das Design wurde der Italiener Giorgio Giugiaro gewonnen, der für Volkswagen bereits an einem größeren, auf dem Audi 80 basierenden VW-Modell arbeitete, das vor dem Projekt EA 337 auf den Markt kommen sollte. Wie sehr sich Rudolf Leiding dabei technisch an Audi orientieren wollte, machte er mit einem derben Ausspruch offensichtlich: »Audi NSU ist unsere schönste Tochter, der wir gelegentlich einmal unter den Rock fassen wollen.«16
Rudolf Leiding musste aufgrund der wirtschaftlichen Schieflage des VW-Konzerns dringend weiteres Personal abbauen – und wählte dabei ein Vorgehen, das als »Aktion 49« von sich reden machte: Jeden Monat wurden im Rahmen dieser Aktion exakt 49 vergleichsweise unproduktive Mitarbeiter entlassen. Die Zahl 49 war bewusst gewählt worden, denn ab 50 Kündigungen hätte dies als Massenentlassung gegolten und größere Konsequenzen nach sich gezogen. Weiteres Personal baute Leiding durch Frühpensionierungen ab.
Unterdessen näherte sich eine ganz andere Entwicklung ihrem Ende: das »VW Sicherheitsauto« wurde präsentiert. Anlass für den Bau dieses Versuchsfahrzeugs war, dass in den USA Vorschriften erlassen worden waren, nach denen alle Modelle für den US-Markt zukünftig mit einer Fülle von Sicherheitsvorrichtungen und -systemen ausgerüstet sein mussten. Diese Systeme umfassten beispielsweise üppige Prallpolster, neuartige Stoßfänger vorne und hinten sowie ein Rückhaltesystem durch Gurte für jeden Sitz. Ziel des US-Verkehrsministeriums war, das Überleben der Fahrzeuginsassen bis zu einem Aufprall von 80 km/h zu gewährleisten.
Unter der Ägide von VW-Forschungschef Prof. Dr. Ernst Fiala war demgemäß ein 4,73 m langes und 1.360 Kilogramm schweres Vehikel entstanden, das blockiersichere Bremsen, Scheibenwischer an den Scheinwerfern und sogar eine automatische Lenkkorrektur besaß. Ein ganz neuartiges System, bei dem beim Aufprall in Sekundenbruchteilen ein Luftsack im Lenkrad mittels einer kleinen Gasexplosion aufgeblasen werden sollte, lehnte Ernst Fiala jedoch ab. Da die angekündigten Sicherheitsmaßnahmen den Bau eines Fahrzeugs über die Maßen verteuerten, wartete die gesamte Automobilindustrie gespannt darauf, welche Systeme von der US-Behörde letztendlich verbindlich vorgeschrieben würden.
Der Sommer 1972 war geprägt von zahlreichen Unsicherheiten hinsichtlich der Frage, wohin sich die Automobiltechnik in den nächsten Jahren entwickeln könnte. So verdichtete sich das Gerücht, dass Mercedes-Benz bald einen Wankelmotor in einem Serienfahrzeug auf den Markt bringen wollte. Auch andere Hersteller, die Fertigungslizenzen dieses »Wundermotors« erworben hatten, traten mit konkreten Plänen an die Öffentlichkeit: Bei GM wurde die Markteinführung eines Wankelmodells für das Jahr 1974 geplant, ebenso bei Citroën. In Japan baute der Hersteller Toyo Kogyo für seine Modelle der Marke Mazda bereits Modelle in Großserie. 1972 sollte die Mazda-Produktion mehr als 150.000 Fahrzeuge mit Wankelmotor betragen.
Auch zahlreiche Motorradhersteller sprangen auf den fahrenden Zug und entwickelten Modelle mit Wankelmotor. So beispielsweise der japanische Hersteller Suzuki, aber ebenso BSA/Triumph in Großbritannien. Sogar die Ingenieure von Fichtel & Sachs tüftelten an einem eigenen Wankelmotor für ihre Marke Hercules. Bei NSU indes war es aufgrund der kostspieligen technischen Probleme beim Ro 80 eher ruhiger geworden – die Wankel-Euphorie war längst verflogen. Es war ein offenes Geheimnis, dass der VW-Konzern bei jedem verkauften NSU Ro 80 mehrere tausend Mark zulegte. Die Pläne des entmachteten VW-Generaldirektors Kurt Lotz, das NSU-Werk in Neckarsulm zum weltweiten Zentrum der Wankelmotor-Entwicklung zu formen, waren jedenfalls vom Tisch.
Doch nicht nur der Wankelmotor sorgte für Gesprächsstoff. Denn immer stärker wurde der Dieselmotor als alternativer Antrieb für Personenkraftwagen diskutiert. Opel hatte sich bereits mit seinen Weltrekordfahrten, die mit einem serienreifen Vierzylinder-Dieselmotor stattgefunden hatten, in der öffentlichen Wahrnehmung werbewirksam positioniert. Schon ab Herbst 1972 wollte Opel das Erfolgsmodell Rekord mit einem 60 PS starken Selbstzündermotor in den deutschen Markt einführen. Diese Entwicklung wurde von zahlreichen Fachleuten als verkehrstechnischer Rückschritt bezeichnet – ungeachtet dessen arbeiteten auch in Wolfsburg und bei Ford in Köln mittlerweile Ingenieure unter Hochdruck an einem eigenen Dieselmotor. Einzig BMW-Pressesprecher Werner Zentzytzki erklärte es kategorisch für ausgeschlossen, einen BMW mit Dieselmotor zu bauen.
Im Herbst 1972 herrschte bei Volkswagen höchste Alarmstufe, denn das im Werk Kassel neu eingeführte EDV-System »Etgas« (Ersatzteil-Gesamtabwicklungs-Systeme) stand vor dem Kollaps. Dieses computergesteuerte VW-Ersatzteillager sollte sämtliche Bestellungen erfassen und bis zur Auslieferung der Teile aus dem Lager verwalten. Der EDV-gestützte Kundendienst war teilweise schon zusammengebrochen, so dass nicht alle benötigten Ersatzteile an die Werkstätten geliefert werden konnten. Viele Händler bekamen gar keine Teile mehr, andere Händler bekamen Ersatzteile geliefert, die sie gar nicht bestellt hatten. Fachleute munkelten, dass diese EDV-Misere den VW-Konzern mindestens 100 Millionen Mark (rund 50 Millionen Euro) Umsatzeinbußen verursachte.
Verantwortlich dafür wurde VW-Verkaufschef Carl Hahn gemacht, der aufgrund seiner Arbeit für den Konzern, aber auch aufgrund seines Jet-Set-Lebensstils ohnehin in der Kritik stand. So war beispielsweise