Horst Neisser

Centratur - zwei Bände in einer Edition


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Ein fremder Wille streckte sich nach mir aus. Ich musste meine ganze Kraft aufbieten, um mich nicht zu unterwerfen. Lange hätte ich diese Befragung nicht durchgehalten."

      „Das habe ich auch erfahren“, sagte Urial leise. „Zwar habe ich versucht, in dieser unwürdigen Situation Stärke zu beweisen. Aber all meine Zauberkraft entschwand, wenn der Glatzkopf auftauchte. Ich habe übrigens nicht herausgefunden ob einer oder mehrere dieser Gnome im Lager waren. Wenn es mehrere waren, so unterscheiden sie sich nicht voneinander."

      „Dann hatte der Glatzkopf jedes Interesse an mir verloren, und ließ mich einfach stehen“, fuhr Galowyn fort. „Ich lief hinter ihm her und fragte, ob ich unseren Gaukler mitnehmen könne, aber er gab mir keine Antwort. So zog ich dreist mein Messer aus dem Stiefel und wollte Urials Fesseln aufschneiden. Ohne sich umzuwenden zischte der Gnom einen Befehl, drei Soldaten stürzten sich auf mich, zerrten mich zurück und warfen mich auf den zerstampften Boden. So leicht war unsere Mission nicht zu erfüllen.

      Niemand hinderte mich, durch das Lager zu streifen. Die Leute wohnen in großen Koten, in jedem Zelt brennt ein Feuer. Sie scheinen ausreichend mit Verpflegung versorgt zu sein und können die Belagerung noch bis weit in den Winter hinein fortsetzen. Alle im Lager fühlten sich sehr sicher. Sie verlassen sich scheinbar auf ihre vorgezogenen Wachposten. Die Soldaten sitzen in ihren Zelten und spielen Karten."

      „Habt Ihr den Fürsten gesehen?" fragte Aramar.

      „Nein, nur einige seiner Hauptleute. Niemand schenkte mir besondere Beachtung, was mich beinahe etwas verdross. Immerhin schritt eine berühmte Künstlerin zwischen ihren erbärmlichen, schmutzigen Zelten hindurch. Aber, so dachte ich mir, wer weiß, wozu es gut ist, dass sie mich nicht erkennen. Inzwischen waren auch meine Begleiterinnen angekommen. Sie hatten sich Sorgen um mich gemacht und waren mir gefolgt."

      „Ihr könnt euch unsere Erleichterung vorstellen, als wir Galowyn durch das Lager stolzieren sahen." Smyrna hatte den Faden der Erzählung aufgenommen. „Sie trug den Kopf so hoch, dass sie kaum noch den Erdboden sah und hatte das Oberteil ihres Kleides soweit herunter gestreift, dass es nur noch von den Brustwarzen gehalten wurde. Dennoch beachtete sie niemand. Dies wunderte mich, denn man kann gegen unsere Galowyn sagen, was man will, die Männer fliegen noch immer auf sie. Wenn die Soldaten diese Frau nicht beachteten, konnte mit ihnen etwas nicht stimmen."

      „In der Tat diese Männer verhielten sich wie Eunuchen. Ich kroch sogar in eine der Koten und setzte mich auf die Pritsche. Wir plauderten; doch als ich meinen Rock etwas lüpfte, sahen sie nicht einmal hin. Diese Männer waren nicht normal. Wenn ich da an die Wachen draußen im Feld denke! Die hätten doch wer weiß was für einen Blick auf meine Beine gegeben."

      „Zur Mittagszeit wurden wir vom Glatzkopf zum Essen eingeladen. Suppe mit viel Fleisch wurde aus großen eisernen Kesseln an die Männer ausgeteilt. Auch wir bekamen eine hölzerne Schüssel und einen hölzernen Löffel. Auf der Suppe schwammen Fettaugen. Ich war sehr hungrig und konnte kaum erwarten, mit dem Essen zu beginnen. Doch gerade als ich den Löffel zum Mund führen wollte, zischte Axylia: 'Nicht essen!'

      Erstaunt sahen wir sie an.

      'Macht weiter! Tut so, als ob ihr esst, aber schüttet die Suppe weg.'

      'Das ist doch dieselbe Suppe, wie sie die Soldaten auch essen?'

      'Na eben! Aber wenn du jemals wieder Spaß an einem Mann haben willst, liebe Galowyn, so löffle diese Suppe nicht aus.'

      So kam es, dass wir hungrig blieben."

      „Der Anblick der Männer hatte mich nachdenklich gemacht“, mischte sich Axylia ein. „Als ich dann meinen Napf mit Suppe in der Hand hielt, roch ich ganz fein ein Kraut, das ich vor vielen Jahren in der Hand gehalten hatte. Ein durchreisender Händler hatte es von weit aus dem Osten mitgebracht und wollte es mir verkaufen. Es sei ein Wunderkraut, sagte er mir damals. Es mache Menschen gefügig und lähme jeglichen Geschlechtstrieb. Das Kraut hatte einen eigenartigen Geruch, der mir in der Nase blieb. So konnte ich uns vor dem verhängnisvollen Essen bewahren. Damit niemand etwas merkte, liefen wir von nun an wie Traumwandler durch die Zeltreihen. Dabei sah ich den Glatzkopf, der uns interessiert betrachtete und zufrieden nickte."

      „Gegen Abend gab es noch einmal Suppe“, Smyrna berichtete weiter. „Auch diesmal täuschten wir das Essen nur vor. Ich war inzwischen so hungrig, dass mir die Warnung von Axylia fast gleichgültig wurde. Es hätte nicht viel gefehlt, und ich hätte alles verschlungen. Anschließend kamen zwei Männer und brachten uns ins Zelt des Glatzköpfigen. Dieser stand gegen einen geschnitzten Tisch gelehnt und sah voller Verachtung zu uns hoch. Seine langen, schmalen Hände, deren Finger in goldenen Hüllen steckten, lagen auf der Tischplatte.

      'Setzt euch', sagte der Gnom mit schnarrender Stimme. 'Es ist nun Zeit, dass ihr mir alles erzählt. Also, von woher kommt ihr wirklich?'

      'Von Weiler, Herr!'

      'Nun gut, dies scheint der Wahrheit zu entsprechen. Aber wer ist dieser Trottel, den wir dort draußen angebunden haben?'"

      „Wort für Wort wiederholte ich ihm alles, was ich ihm schon einmal gesagt hatte“, erinnerte sich Galowyn. „Aber gerade diese Übereinstimmung mit meiner früheren Aussage muss ihn misstrauisch gemacht haben. Wieder senkte sich ein schwerer Schleier auf uns herab, der den Geist lähmte. Er ließ uns müde auf unseren Hockern zusammensinken. Die wimpernlosen Lider des Glatzkopfes waren herabgesunken und hatten seine Pupillen halb verborgen. Dennoch beobachtete er uns ganz genau.

      'Ihr wollt mir etwas mitteilen', sagte er, und es klang freundlich und geduldig. Diesmal verstanden wir ihn klar und deutlich. Jede von uns hatte das Gefühl, als spräche er nur zu ihr. Alle wussten wir, dass wir ihm nicht lange würden widerstehen können. Noch ein paar Minuten, und wir würden alles erzählen."

      „Da erhob sich Axylia“, sagte Galowyn. „Sie ging gebückt und sah sehr klein und sehr unscheinbar aus. Sie hinkte auf den Glatzkopf zu, so als wäre sie ihm völlig zu Willen und wolle ihm im Vertrauen etwas sagen. Die Lider über seinen großen Augen hoben sich ein wenig, und ein zufriedenes Lächeln spielte um seine Mundwinkel. Er winkte ihr mit dem Kopf, näher zu kommen. Dann hatte ihn Axylia erreicht. Sie beugte sich zu seinem Ohr, wie um ihm etwas zuzuflüstern und rammte ihm unvermittelt einen angespitzten Stock in den Hals. Der Glatzkopf stöhnte auf und fiel vom Stuhl. Ein Strahl von rotem Blut schoss neben dem Stock aus der Wunde. Aber er starb nicht sofort. Seine Augen waren weit geöffnet, und sein Geist schlug schwer auf uns ein. Wir taumelten hin und her und brachen schließlich in die Knie. Ich weiß nicht, ob wir den Angriff überlebt hätten, wenn sich Axylia nicht aufgerafft, den Stock mit blutigen Händen aus der Wunde gezogen und erneut zugestoßen hätte. Sie stieß und stieß und zerfetzte den Hals des Gnoms. Endlich war er tot, und der Druck auf unser Gehirn ließ nach."

      „Dann warteten wir“, fuhr Smyrna fort, „bis es ganz dunkel war. Die Befreiung von Urial war nicht schwierig, denn die beiden Wachen schliefen. Sie fühlten sich in ihrem Lager scheinbar sehr sicher. Wir hätten uns klammheimlich davonmachen können, wenn Urial nicht hätte unbedingt bleiben wollen. Es kam zu einem heftigen Streit zwischen ihm und Axylia. Die beiden wurden so laut, dass die ersten Soldaten in ihren Zelten aufwachten und nach Ruhe brüllten. Wahrscheinlich glaubten sie, dass sich zwei von ihnen in die Haare gekommen wären. Endlich gab unser Zauberer nach und wir huschten zwischen den Zelten hindurch. Eine Gefangennahme wäre unser Todesurteil gewesen. Aber niemand bemerkte, und niemand verfolgte uns.

      Wir hofften uns in der Dunkelheit an den Männern auf dem Vorposten, bei denen wir die erste Nacht verbracht hatten, vorbeidrücken zu können. Aber sie entdeckten uns und hielten uns an. Sie waren gut gelaunt und luden uns ein, uns an ihrem Feuer zu wärmen. Das taten wir auch, um jeden Argwohn zu zerstreuen. Wir erzählten, man habe den Narren freigelassen, nachdem er sich als ungefährlich erwiesen hätte. Dabei bangten wir, Urial könnte uns widersprechen und uns verraten. Aber er blieb trotzig still. Dann machten wir uns auf den Weg und rannten durch die Nacht. Den Rest wisst ihr."

      Die Sängerin hatte die abenteuerliche Geschichte beendet. Urial hatte die ganze Zeit geschwiegen und nicht widersprochen. Smyrna, die neben ihm saß, legte ihre Hand tröstend und beruhigen auf seinen Arm, aber er schüttelte sie ab.

      Die