war dichter und leider auch dunkler, um nicht zu sagen schwarz geworden; von meiner Augenstellung ließ sich in rassischer Hinsicht ebenfalls nichts Günstiges melden. Die Lider blieben länglich geschlitzt, meine Lippen waren aufgeworfen und die Haut blass. Nicht, dass ich mir nicht gefiel oder dass mir mein Körper Sorge bereitete, im Gegenteil, ich war ein gewandter Bursche, schnell auf der Aschenbahn, rasch im Ringen und kühn beim Raufen, behielt auch die Ruhe, solange mir mein Gegner körperlich nicht stark überlegen war. Ohne Zweifel hatten die Germanen ähnliche Eigenschaften besessen, nur sahen sie eben auch breit und behäbig aus, zu schweigen vom Gelb bis Rot ihrer Haarzotteln. Wie Caskorbi erläutert hatte, schnitt der junge germanische Krieger sein Haar erst, wenn es ihm gelungen war, mindestens einen Feind zu töten. Jedenfalls aber würde sich kein Germane schwarzen Haares gerühmt haben, wie die von ihnen erbeuteten Sklaven, die auf den Rollbildern mit blödem Gesichtsausdruck im Hintergrund herumlungerten, falls sie nicht den Asen, also Wotan zumal, zum Opfer gebracht und gerade aufgehängt worden waren, bezeugten. Um die Sache weiter zu verfolgen; meine nächsten Angehörigen pflegten auf Fragen nach meinem Vater unwirsch zu werden und mich abzuweisen, das machte die Sache nicht einfacher. Auf meine Frage erklärte meinen Wahlvater Hochwürden, wie ich wisse, kenne Gott keine Rassen, habe Gestalt, Farbe und Herkunft seiner Kinder ohne Rangordnung geschaffen und unterscheide die Menschen hinsichtlich ihres Bekenntnisses zum Christentum. Hier wären zwei Klassen voneinander zu trennen, erstens die in Unwissenheit lebenden und nach Offenbarung dürstenden; man bezeichne sie als Heiden. Sie träten bei Kenntnis über die Gestalt und die Absicht Gottes für gewöhnlich heiter zum christlichen Glauben über. Dies nenne man Missionierung. Aus späterer Erkenntnis füge ich hinzu, falls sie sich jedoch störrisch zeigten, wurden sie verbrannt und kamen auf diese Weise ins Fegefeuer, wie überhaupt die Heidenmission zu mancherlei Missverständnis zwischen Missionar und Täufling geführt hat. Bei der zweiten Klasse liege der Fall schlimmer, fuhr er in seiner Erklärung fort, da handele es sich um Menschen, die des Lichtes schon teilhaftig gewesen, sich aber von Gott wieder abgewendet hätten. Diese hießen Gottesleugner, Häretiker, Atheisten, Agnostiker man sage von ihnen paganus est, oder paganus erat, denn man habe sie meistenteils verbrennen müssen. Damit war die Frage nach meinem Herkommen unbeantwortet geblieben, und ich sah wohl, dass sich mein Vater um die Wahrheit herumdrücken wollte, oder aber die Frage gar nicht verstand.
Was die Rassen betreffe, so handele es ich um eine Angelegenheit der Naturwissenschaftler, wogegen nichts einzuwenden sei; die äußere Gestalt, der Knochenbau, die Haut, der Gesichtsschnitt und die Instinkte seien ja wirklich bei den Rassen erkennbar anders. Er kam aber doch auf den Kern des Problems. »Ohne Zweifel«, sprach er besonnen, »muss man davon ausgehen, dass zwischen der jüdischen Rasse und anderen, der unseren zumal, erhebliche Unterschiede bestehen«. Damit drückte er aus, was allgemein als unbestreitbar galt.
Bei meiner Nachforschung auf eigene Faust geriet ich an Jan Links. Jan versagte leider ebenfalls vollständig; er unterschied nach Talent und nach musikalischen Begabungen, wie ihm sein Musiklehrer beigebracht hatte. Für ihn gab es die Klasse der Musiker und die andere, die der Banausen. »Aber angenommen, Jan, Johann Sebastian wäre ein Jude gewesen«, stellte ich ihm vor Augen. Jan sprach, Talent werde von irgendeinem Gott gespendet, wer diese Gabe empfange, müsse als auserwählt betrachtet werden. Farbe und Gestalt eines Talentierten spiele dagegen eine unbedeutende Rolle, wiewohl die schwarzen Neger wie die gelben Chinesen nur einer primitiven Musik, mehr unangenehme Geräusche hervorbringen würden, was sie allerdings minderwertig mache. Schließlich nahm er seine Erklärung aber doch zurück, als er hinzufügte: »Dumme Frage; Bach war natürlich kein Jude«. Mit Musikern konnte dieses Problem nicht erörtert werden und so zog ich hinaus zum Haus am Wald zu den Naturwissenschaftlern.
Kniri fummelte am Mikroskop herum, der alte Herr Oberstudienrat betrachtete mit einer Lupe die Einzelheiten eines Stiches aus seiner großen grafischen Sammlung. Auf meine Frage legte er die Lupe aus der Hand und lehnte sich in seinem Stuhl zurück. Er war ein schöner Mann mit länglichem Gesicht, blauen Augen und schneeweißem Haar, auf der Oberlippe trug er einen dichten Bart, der ihm bis in die Mundwinkel hineinwuchs, kann ich hier nur wiederholen. »Nun«, sagte er, sich an seinen Sohn wendend, junger Mann, dies sei eine Bewährungsfrage! Mein Freund erklärte geläufig, es gehe vor allem darum das Volk als Ganzes gesund zu erhalten, wenn man die Generationsfolge sichern wolle, darum, die Natur gewissermaßen nachzuahmen, die Krankes und Untaugliches durch Unterdrückung ausscheide.
»Wir alle«, bestätigte der Oberstudienrat, »sind die vorläufig letzten Glieder einer langen Kette. Jedoch war unser Erbgut einst gesund und kräftig, gut, wie auch unsere seelischen Anlagen. Leicht können wir erkennen, dass nicht jeder Deutsche heute noch die als germanisch erkannten Merkmale besitzt. Dafür ist Jakob selbst auch ein treffliches Beispiel. Ich würde ihn unter die dinarischen Menschen einreihen; unter seinen ostischen Vorfahren; in ihm befindet sich ein fremdes, ein uns feindliches und giftiges Blut, eine Tatsache, die ihn von unserer Rassegemeinschaft freilich zunächst nicht völlig ausschließt, weil ein Rest seines Blutes vielleicht noch gesund ist. Es wird eine Zeit dauern, zwei oder drei Generationen, bis alles in Ordnung kommt, aber der Anfang ist gemacht«.
Auf seine Anweisung nahm Karl vom Buchregal ein Lexikon oder Werk mit den Abbildungen anderer Rassen und Stämme und wir hielten uns ein wenig länger mit der Abstammungslehre Darwins und seiner Theorie von der Entstehung der Arten durch Auslese auf. Vielleicht war es dem Alten entgangen, dass mein Wissensdurst andere und verborgene Ursachen hatte, als den Drang nach solcher Erkenntnis. Er trat ans Fenster und winkte uns heran. Am Ausgang des Tales lag die Anstalt Puffenrode, wir konnten die Schornsteine des Heizhauses erblicken, aus denen Rauch aufstieg. »Dort«, sagte er, »geschieht vielleicht das eine Wichtige, die Beseitigung unwerten Lebens. Ihr solltet früh darüber Bescheid wissen und keine falsche weichliche Humanität in euch aufkommen lassen. Mit Berechtigung dürfen wir sie alle als Antisemiten bezeichnen, Klopstock, Herder, Goethe, nicht zu vergessen Fichte, Schopenhauer, Wagner und wer noch, die alle in unserem Raum gewirkt haben, den Juden als Volksvergifter erkannten und des realen Humanismus nicht ermangelten. Schlagt tot, das Weltgericht fragt nach den Gründen nicht! Übrigens aber ist es noch zu früh, um näher auf die Sache einzugehen«
Ich war weit davon entfernt, diese Feststellung meiner Minderwertigkeit als glaubhafte Mitteilung anzusehen und ihr düstere Folgen zuzumessen. Der Oberstudienrat fasste es abschließend in schlichte Worte: »Man schläfert die unheilbar Kranken ein, denke ich, irgendwie, und das ist alles«. Karl, der Käfersammler, entfaltete mit einer Präpariernadel die Flügel eines getöteten Kerbtieres. Sein Vater sah zu und fuhr belehrend fort: »Die Arten erhalten sich selbst gesund, indem sich nur die Stärksten und Besten fortpflanzen können. Damit kommt nur das vorzüglichste Erbgut zum Tragen. Wird diese Regel gestört oder durch Menschen verhindert, so bricht der gesunde Stamm zusammen, lebensunfähige Kümmerlinge werden gezeugt, und die Rasse geht unter. Wie der Führer sagt: Das Leben ist Kampf, und wer nicht kämpfen will in dieser Welt des ewigen Ringens, verdient das Leben nicht; oder mit den Worten des Klassikers: Und setzet Ihr nicht das Leben darein, nie wird euch das Leben gegeben sein … Vielleicht habt ihr nicht alles verstanden, aber die deutsche Jugend kann nicht früh genug mit den Problemen der Evolution bekannt gemacht werden. Merkt es euch ihr Knaben!«
Karl begleitete mich ein Stück auf meinem Nachhauseweg. Offenbar hatte er das Wesentliche des väterlichen Vortrages schneller erfasst als ich, oder er war früher und besser von ihm unterrichtet worden; die Schlüsse, die aus dem Vortrag des Alten zu ziehen waren, lagen für ihn auf der Hand. Er sagte mir mein Schicksal voraus, mit der Empfehlung, mich nach einem unbedenklicheren Vater umzusehen, da ich anders keine Aussicht habe, in unser Gymnasium Justus von Liebig aufgenommen zu werden. Am Ende könnte ich vielleicht Uhrmacher im Geschäft meiner beiden Alten werden. In der Periode, als ich mich mit dem Rassestaat befasste, überlegte ich wohl, was Artus Hengst und die Seinen über solche Fragen dachten und wer oder was sie waren. Ich spreche hier von meiner selbstständigen Überlegung, will sagen, ich fand heraus, dass es verschiedene Rassen in unserem Städtchen zu geben schien. Wenn es den Landgrafen gegeben hat, der sich hart schmiedete, wie die Sage berichtet, so musste er vom Schlage dieses Artus Hengst gewesen sein, und sollte einmal Mangel an gesunden Männern herrschen, so würde Artus ohne Zweifel an die erste Reihe gerufen werden.
Um ihn allein zu treffen, musste ich früher als gewöhnlich aufstehen und warten,