Helmut H. Schulz

Friedrich I.


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mag dem siebenunddreißigjährigen Kurfürsten, als er den Sohn über das Taufbecken der Schlosskirche zu Königsberg hielt, durch den Kopf gegangen sein, wie schändlich er gezwungen worden war, Ostpreußen als Lehen aus der Hand eines neuen Souveräns, des Schwedenkönigs, seines lieben Verwandten, entgegenzunehmen. Die Schlacht bei Warschau zwischen dem 28. und 30. Juli 1656 hatte die Lage abermals, allerdings nur geringfügig, verändert. Es waren die Tage des Friedens zu Labiau angebrochen, im November des gleichen Jahres, mit dem schwedischen Verzicht auf die Lehnshoheit über Preußen und so weiter und so fort. Zur Stunde waren die Verhältnisse alles andere als stabil. Nun ja, ein langer geruhsamer Friede stand ihnen wohl kaum ins Haus ...

      Der Vater des Täuflings und Große Kurfürst hatte die meiste Zeit seines Lebens auf Feldzügen im Sattel und im Heerlager verbracht, verbringen müssen. Immerhin, es war eben auch geheiratet worden, und zwar im reifen Alter von sechsundzwanzig Jahren und in den Niederlanden, zu Den Haag. Im Dezember des Jahres 1646 ehelichte der junge Mann und nachmalige Große Kurfürst das Beste, was die Niederlande an Weiblichkeit zu bieten hatten, die wunderschöne neunzehnjährige Prinzessin von Nassau-Oranien, Luise Henriette, und sogar an ihrem Geburtstag, einem 7. Dezember. Das zeugt von einem guten Stil und Sinn für Symbolik. Friedrich Wilhelm kannte die Niederlande, er war als Knabe in dieses Mekka bürgerlichen Wohlstands und findigen wie rücksichtslosen Kaufmannstums geschickt worden, um etwas zu lernen und von der übrigen Welt, die Brandenburg und Preußen umgab, zu sehen und womöglich zu begreifen. Er hatte gut gelernt, und ein wirtschaftlich hochentwickeltes Land und politisch selbstbewusste Bürger gesehen, die sich nicht lange bedachten und blankzogen, wo es galt, ihre einst blutig erkämpften Freiheiten wie ihre Ehre bis zum äußersten zu verteidigen, ein üppiges Land mit lach- und lebenslustigen Leuten, die eben darangingen, sich ein gewaltiges überseeisches Reich zu begründen. Dieser Ehe war ein Knabe entsprungen, der das zweite Jahr nicht überstand, ein Mensch mit Namen Wilhelm Heinrich, von dem wir nicht wissen, welches Wunder er vollbracht haben würde, hätte er nur etwas länger gelebt. Auch Lessing hat bekanntlich die Begabung seines Sohnes stehenden Fußes noch am Kindbett erkannt und als Tatsache der Nachwelt überliefert, obschon der Knabe nur einige Tage an Lebensalter erreichte. Der zweite Sohn des Kurfürsten, Karl Emil, stand 1657 auf immerhin zweijährigen erbprinzlichen Beinen, als das Brüderlein auf den Namen Friedrich getauft wurde. Und nun haben wir, die nachgeborenen Miterlebenden, also den dritten Sohn des Kurfürsten glücklicherweise in der heiligen Taufe. Es sollten noch einige Kinder, nämlich drei, zur Welt kommen, bis die schöne Luise Henriette starb, mit vierzig Jahren. Worauf der Große Kurfürst eine neue Ehe einging. Friedrich, den wir gerade der Christenheit übergeben haben, soweit sie kalvinistisch ist, wird seine Geschwister überleben. Dass diese Welt protestantisch, wenn schon nicht kalvinistisch wird, darum haben wir in Deutschland und in Böhmen gerade dreißig lange Jahre gekämpft und eine Wüste hinterlassen, immerhin eine Wüste des wahren Glaubens, besser gesagt, aller möglichen Varianten des Protestantismus, auf der Basis einer alten Formel, der des Augsburger Religionsfriedens, eines dauerhaften Knebels für die Entwicklung des Reiches zum modernen Zentralstaat. Aber es ist ein schönes Resultat auf dem ideologischen Nebenkriegsschauplatz Brandenburg, dass dieser Kurfürst eines Tages ein Toleranzedikt, zwar nicht ideologisch-förmlich als eine Manifestation, aber via Praxis erlässt, was nun wieder Schwierigkeiten mit dem französischen Ludwig XIV., dem lieben Verwandten, bringen wird. Einige hunderttausend Flüchtlinge angeln die Agenten des Großen Kurfürsten an den Grenzen Brandenburgs, rüsten sie mit Geld aus, leiten sie weiter, keine Schwachköpfe und Sozialfälle, sondern selbstbewusste Leute, trefflich ausgebildete Handwerker, Manufakturisten, Apotheker, Drucker, Gärtner; am Ende ist jeder fünfte Brandenburger ein Franzos mit juristischen wie konfessionellen Sonderrechten, eine unter sich lebende und üppig gedeihende hochprivilegierte Überklasse, deren Integration Jahrhunderte gedauert hat ...

      Für jetzt, fällt dem Kurfürsten bei dieser Kindstaufe ein, wäre es schön, erst einmal die viehische Soldateska des lieben schwedischen Verwandten und ideologischen Verbündeten in Sachen christlicher Kirche aus Brandenburg, Pommern und Polen vertreiben zu dürfen. Dieser ewige Krieg könnte dahin führen, dass man zwar über eine protestantisch -kalvinistische Welt herrscht, die einer trostlosen Schädelstätte gleicht, auf der nur noch die Raben krächzen.

      Diese Art Gedanken, Erinnerungen, Projekte und Hoffnungen mögen den Vater des künftigen Königs in Preußen, vorläufig nur ein kleiner Hosenscheißer, bewegt haben. Leider dürfen wir dieser prächtigen Figur der brandenburgisch-preußischen Geschichte, dürfen wir dieses Großen Kurfürsten nur noch am Rande gedenken. Andreas Schlüter, der Türme baute, die sich der sumpfigen berlinischen Niederung nicht gewachsen zeigten und umfielen, hat ein Standbild des Kurfürsten gemacht und sich bei dieser Gelegenheit ein Urteil über den Mann gebildet. Ein Urteil über den Gatten hatte sich auch die gütige, warmherzige Luise Henriette längst gebildet. Wer meint, es habe sich um eine rein dynastische Allianz gehandelt, als der junge Mann diese Luise heiratete, der verkennt den Charakter dieses Hauptkerls, dem das Wichtigste an seiner Frau das Weib gewesen sein muss, nach allem, was über diese beiden bekannt wurde. Sie gebar ihm Kinder, wie wir sahen, oder vielmehr lasen, sie ging bei Gelegenheit auf den jähzornigen, wankelmütigen und oft schwachen Mann und Gatten entschieden zu rabiat los, da sie selbst einen starken Willen besaß. Jetzt schreiben wir ab, was aus anderer Quelle, die auch nicht klarer ist als unsere Phantasie, geschöpft wird. „Beherrschen Sie sich, Madame!“, soll der Kurfürst aus Anlass einer handgreiflichen Ehekrise geschrien und seinen Hut zu Boden geworfen haben. Da mag seine Gattin gelächelt haben; denn überzeugend war der Große Kurfürst in diesem Falle nicht. Die Empfehlung, beherrschter zu sein, als er selbst es war, schmeckt nach Rückzug, obgleich der harsche Ton gebieterisch, aber auch nach Ritterlichkeit klingt. Nein, es muss eine gute Ehe gewesen sein, und der Kurfürst war tief unglücklich über den Verlust seiner klugen Frau und Geliebten, die ihn häufig genug auf seinen beschwerlichen Feldzügen begleitete, die ihn beriet und pflegte, denn der robust aussehende, starke Mann mit der gewaltigen Hakennase im Gesicht und der ungeheuren Allongeperücke, wie sie damals in Mode kam, war nicht eben kerngesund. Schlüter jedenfalls fand dennoch, dass der Große Kurfürst vorteilhaft neben dem kleinen dicken Schwedenkönig aussah. Die übrige politische Welt hielt von diesem Mann gar nichts; sie fand, er sei nicht nur wankelmütig, sondern wortbrüchig, was ohne Zweifel zutrifft, wie die anderen, seine Gegenspieler, böse, gewalttätig und noch treuloser gewesen sind.

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