Mario Krygier

Faszination Mayaland - Eine Tour mit Rucksack und Hängematte


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Meine durch den Kopf geisternden Sorgen verlieren sich, als mich der Schlaf übermannt. Dieser wird immer mal spontan von einer Frage der Art unterbrochen „Was hat da geknackt?“ Die Müdigkeit reißt mich dann wieder zurück, so dass ich insgesamt eine hinreichend erholsame Nacht verbringe. Jens hatte irgendwann in der Nacht seine Regenplane mit aufgespannt.

      Tag 2: 12.19.16.10.2 1 Ik´ 0 Yaxk´in

      Es gibt kein böses Erwachen. Ich genieße die angenehme Erfahrung, dass ich in der Hängematte auf dem Rücken liegend gut durchschlafen kann. Insofern ist die erste Nacht wenigstens kein abschreckendes Beispiel für das, was da noch auf mich zukommen wird. Wir absolvieren unsere Morgentoilette im Busbahnhof und nehmen ein angemessenes Frühstück zu uns, bevor wir in Richtung Grenze aufbrechen. Jens stellt klar, dass die Gelegenheit, so gut zu frühstücken, in Abhängigkeit von der Location für uns nicht immer gegeben sein wird.

      Der Grenzübertritt erfolgt problemlos und schnell. Das Gelände auf der Belize-Seite gleicht einem toten Ort. Wir schließen uns einer Mennonitenfamilie an, die uns in die richtigen Busse lotst mit Ziel Belize-City. Dort haben wir uns erstmal durch ein recht heruntergekommenes Wohnviertel zu begeben, um zur wesentlich attraktiveren Innenstadt zu gelangen. Es klingt merkwürdig, aber in der Innenstadt ist Vorsicht geboten vor netten Menschen. Es liegt in meiner Natur, dass ich jegliche Kommunikation, auch mit Fremden, begrüße.

      In BC besteht für mich auch nicht die Sprachbarriere wie in Mexiko, weshalb ich mich sehr gern auf Smalltalks einlasse. Insbesondere die Beschreibung lokaler Gegebenheiten und Sehenswürdigkeiten nehme ich dankbar auf. Allerdings wird man für solcherart unvereinbarten Service plötzlich und unerwartet zur Kasse gebeten. Jens, der diese Gepflogenheiten kennt, befreit mich mehrfach aus solchen Situationen. Eine Erfahrung trauriger Couleur.

      Wir gönnen uns extrem preiswerte Bananen, wovon wir zwei an einen dafür sogar sehr dankbaren Bettler abgeben, und kaufen ein zu teures Bier bevor wir mit dem Bus gen Guatemalagrenze nach San Ignacio (Cayo) aufbrechen. Wald, Wald, der „schlafende Riese“ - eine einsame Bergformation und wieder Wald. Die Augen ermüden. Oh, was ist denn das? Eine Palme zwischen zwei Kiefern? Das ist ja fast wie Pinguine und Eisbären! Ansonsten wirkt die Landschaft recht monoton, weshalb ich dann doch einschlafe.

      Plötzlich ein Schuss! Alle schrecken auf. Ein Überfall? Nein, doch kein Schuss. Ein Reifen war’s. Der Reifen ist zerknallt. Verblüffenderweise fährt der Busfahrer weiter. Langsamer mit Poltern und Ruckeln, wie meine Schrift an dieser Stelle beweist. (Natürlich meine ich die Schrift im originalen Tagebuch.) Eine halbe Stunde nach dem Knall wird das Rad in Belmopan gewechselt. Jens und ich steigen aus, um den Schaden zu begutachten. Das Rad ist inzwischen so ramponiert, dass man einen Handball durch das Loch stecken könnte. Zum Glück sind immer zwei Räder auf jeder Achsenseite.

      Nach einer weiteren guten Stunde im überfüllten warmen Bus erreichen wir unser Tagesziel Cayo. Nettes Städtchen, wo man auf der Straße gegrüßt wird mit „Hi Guys!“. Die Spezies des Rucksacktouristen kommt hier sehr häufig vor. Das ist ganz klar angesichts der tollen Touren, die man von hier aus unternehmen kann. Ob Actun-Tunichil-Muknal-Höhle, Rio-Frio-Cave oder die Mayastadt Caracol, hier kann man seinen Abenteuerdurst stillen. Apropos Durst und Hunger, Jens kennt ein Kneipchen, wo es Chili con Carne gibt: „Evas Restaurant“ gegenüber dem „Venushotel“.

      Die Speise schmeckt uns super und wird aufgewertet durch das Bier mit Eis, Salz und Limone. Auch bei der Wahl unserer Schlafstelle haben wir ein wahrhaft glückliches Händchen. Das Wort „idyllisch“ lässt nur zaghaft erahnen, welch exklusiven Lagerplatz wir am Ufer des Macal-River vorfinden. Einige Meter direkt über dem Ufer haben wir einen Terassen- bzw. Logenplatz mit Blick auf den Fluss, das gegenüberliegende Ufer sowie die außergewöhnlich lichte Vegetation.

      Wir nutzen die Abendstunden für Gespräche über Mayaforscher und deren Entdeckungsreisen. Das tun wir sitzenderweise. Aber nicht, wie man sich angesichts der Waldlage vorstellen mag, auf einem Baumstamm oder Erdhügel. Nein - kaum zu glauben - hier stehen zwei Stühle für uns bereit.

      Da unser Tourplan ein längeres Verweilen in dieser Stadt nicht vorsieht, muss ich mich damit begnügen, dass mir Jens die Hauptattraktion dieser Gegend in wenigen Sätzen beschreibt. Gespannt lausche ich seinen Worten. Das Begehen der bereits erwähnten ATM-Höhle, der „Höhle des Steinernen Grabes“, erfordert einige Zugeständnisse in sportlicher Hinsicht. Neben dem gewöhnlichen Laufen sind auch andere Fortbewegungsarten wie Klettern und Schwimmen gefragt.

      Lohn der Bemühungen ist der atemberaubende Anblick eines mit dem Höhlenboden verschmolzenen Skelettes. Der arme Kerl lässt dort in ausgestreckter Körperhaltung die Versinterung über sich ergehen. Je länger man ihn betrachtet, desto mehr drängt sich einem die Vorstellung auf, dass er dabei einen eingefrorenen Schrei ausstößt. Fängt man nun noch an darüber nachzudenken, wie er in diese Lage gelangte, kann man sich eines schaurigen Fröstelns nicht erwehren. Eine tolle Gute-Nacht-Geschichte.

      Tag 3: 12.19.16.10.3 2 Ak´bal l Yaxk´in

      Fantastisch - wieder ein angenehmes Erwachen. Es ist bereits hell. Ich habe also länger geschlafen, mein Körper wehrt sich nicht mehr gegen die sieben Stunden Zeitverschiebung gegenüber Deutschland. Jens scheint noch zu schlafen, während ich das Umfeld durch mein Moskitonetz beobachte. Zwar sind wir von exotischen Pflanzen umgeben, aber sowohl in deren Größe als auch in der Dichte des Wuchses unterscheidet sich dieses Fleckchen kaum von einheimischen Laubwäldern mit Büschen und Farnen. Nur hallen hier mir völlig unbekannte Tierschreie durch den Morgen.

      Auch wenn ich mich konzentriere, mir Mühe gebe, diese Laute zu identifizieren bzw. zuzuordnen, das kann ich nicht. Ich bin hier in fremder Umgebung. Dennoch stelle ich zufrieden fest, dass mich diese Tiergeräusche nicht beunruhigen. Sogar ein fernes Fauchen, zu dem Jens gelangweilt bemerkt: „Das ist nur ein Jaguar, lass mich noch schlafen“, versetzt mich nicht in Panik. Klar, das ist nicht wirklich ein Jaguar, und gegen kleinere Bedrohungen kann ich notfalls mein großes Messer einsetzen.

      Nun sitze ich auf der Flussblick-Terasse, schreibe meine Impressionen auf und stelle gerade fest, dass Jens seinen Schlafplatz bereits abgebaut hat. Das bedeutet Aufbruch zu neuen Abenteuern. Auf nach Guatemala! Ein paar Schritte zu Fuß, eine Taxifahrt mit einem Auto, das weit entfernt von einem TÜV-würdigen Zustand ist, dann erleben wir die Prozedur des Grenzübergangs nach Guatemala. Ich habe es nicht geglaubt, aber es gibt das inoffizielle Eintrittsgeld wirklich. Die Grenzbeamten knöpfen den Touristen üblicherweise 2 US$ ab. Nach einem netten Smalltalk erhalte ich Rabatt und zahle 1 US$.

      Von ganz besonderem Charme ist auch das Bushaltestellen-Wartehäuschen. Die freundlichen jungen Frauen lassen mich ihre Toilette nutzen. Zu jenem Zeitpunkt bin ich hinsichtlich des sanitären Niveaus noch nicht auf alles gefasst. Die hinter einem mehr provisorischen als schönen Vorhang versteckte, von deutlichen Gebrauchsspuren gekennzeichnete Kloschüssel erfüllt ihren Zweck. Spülung erfolgt per bereitgestelltem Eimer. Zum Händewaschen - wie dumm - hätte ich wohl vorher das Spülwasser nutzen müssen. Diese Chance war allerdings nun verspielt oder genauer gesagt verspült. Minuten später sitzen wir im Kombi, wie die Kleinbusse hier genannt werden. Wir freuen uns auf unser Ziel Flores, müssen allerdings noch einige Zeit diese Holperpistenfahrt ertragen. Irgendwann ordentlich mit Asphalt überzogen, verdient unser Weg den Namen Straße. Abschnitte undurchdringlichen Regenwaldes sind am Straßenrand selten zu sehen. Ich erfahre, dass seit einigen Jahrzehnten dieser Bereich Nordguatemalas hauptsächlich von Mayas besiedelt wird, welche durch eifrige Brandrodungen das Land für sich nutzbar machen. Maisanbau und Viehzucht, die Lebensgrundlagen dieser Menschen sind gleichzeitig Totengräber der ursprünglichen Vegetation.

      Ich empfinde Bedauern über diese Entwicklung, aber auch Verständnis für jene, die diese verursachen. Der Zustand der Hütten und Grundstücke zeigt, dass dafür nicht Bereicherung, sondern purer Überlebenskampf das Motiv bilden. Damit wurden auch die Jaguare in Richtung Tikal-Nationalpark zurückgedrängt. Das Gespräch über die Jaguare veranlasst mich, in Tikal den dort vorhandenen