Richard Hebstreit

DAS THÜRINGER DEKAMERON


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Freund erzählt er vom Buch "Mann und Frau", den Sünden auf dem Schneidertisch und dem schönem Geld, was er der Anette auf ihr Drängen dafür gezahlt hat. Der Freund erzählt es einem Polizisten beim Bier und der erzählt das schriftlich dem Staatsanwalt. Danach gibt es ein öffentliches Gerichtsverfahren neben der evangelischen Kirche und das Ereignis wird öffentlicher Inhalt einen Büttenrede im Kalkofen Karnevalsverein. So erfährt es die ganze Stadt. Von dem Schneidertisch, dem Buch "Mann und Frau" aus der Verlagsbuchhandlung Max Otto Groh, Dresden und den fünfundzwanzigtausend Mark für kein Kind.

      Meister Ludger saß nie wieder auf dem Tisch am Fenster - doch der Geldkreislauf in Salzinge funktioniert wie immer!

      Der Schliemer

      "Hat deu schon mal von hinge geschliemt?" fragt mich Kurti an meiner Weipert Drehbank in meiner ersten Lehrwoche auf der Galerie im Pressenwerk Bad Salzungen. "Nee" antworte ich und bekomme rote Ohren. Das ich noch nicht mal von vorne "geschliemt" habe, sage ich Kurti nicht. Gerade vor einem Jahr sah ich das erste mal wie von der Seite "geschliemt" wurde am Buchensee unter einer Decke, die da in der Hektik der Ereignisse verutscht war. "Ficken" haben wir damals kaum gesagt.

      Umgangssprachlich hieß das bei uns vierzehn/fünfzehnjährigen Jungs in Südwestthüringen "Pimpern". Mit dem "schliemen", das konnte ich mir aber gleich denken, was der Kurti da meinte. Schließlich hat er es dann noch nachdrücklich auf hochdeutsch "pimpern" genannt und teilweise detailliert erklärt. Er machte es mit seiner Freundin fast jeden Tag so gegen Abend, wenn er Frühschicht oder Nachtschicht hat, prahlte Kurti - von vorn und von hinten. Am Abendbotstisch zu Hause konnte ich meinen Eltern nicht erklären, was ich im Pressenwerk neues gelernt hatte.

      Nach ein paar Wochen nach diesen wichtig gehörten Ereignissen, stellte sich heraus, Kurti hatte seine Adelheid entweder von vorn oder von hinten angeschliemt. Die Adelheid war ein bischen schwanger. Kurti wagte es nicht gleich, seiner Familie dieses Ungemach aufzutischen, daß er Vater wird. Sein Vater würde ihm totschlagen, meinte mir gegenüber Kurti. Kurti bemühte sich nun, alles wieder rückgängig zu machen.

      Na, eigentlich bemühte sich erst einmal Adelheid alleine. Adelheid kletterte, wenn ihre Eltern nicht zu Hause waren in Allendorf Nähe der Fitz, auf einen Stuhl und dann kletterte Adelheid auf einen Tisch. Dann sprang sie.....Vom Tisch. Adelheid sprang sehr oft und sehr lange. Es half nichts, all das Gehüpfe. Lediglich im Keller fiel der Lehmputz in dem alten Fachwerkhaus flatschenweise von der Decke. Auch das viele Heulen nützte nichts. Adelheid bekam zu ihren roten Haaren nun noch rote Augen.

      Nun versuchte es Kurti mit seiner BK. Die BK 350 war ein schweres Motorrad mit Boxermotor und Kardanwelle, mit der er und Adelheid zu einem Bahngleis hinter der alten Molkerei kurz nach dem Abendzug in Richtung Immelborn fuhr. Dann ging es im zweiten Gang zwischen den Gleisen auf den Schwellen ein paar Kilometer hin und zurück bis die Adelheid nicht mehr sitzen konnte und Bauchschmerzen bekam. Am anderen Tag hatte Adelheid Blutungen und Adelheids Mutter schleppte die Adelheid mit einem feuerroten Hintern und feuerroten Augen zu Doktor Capeller nach Bad Salzungen.

      Capeller meinte, Adelheid ist schon im fünftem Monat und sollte bitte nicht mehr Motorrad fahren. Kurtis Vater, der das dann erfuhr schlug Kurti nicht tot, sondern klatschte ihm zwei Ohrfeigen, eine rechts und eine links, so dass Kurti feuerrote Wangen bekam und Kurtis Vater brüllte ein wenig hinter geschlossenen Fensterscheiben nutzlos und sinnlos herum, warum seinem Sohn die Frommser von MONDOS aus Erfurt unbekannt waren. "Deu hat mei das nit verzählt" kommentierte das heulend Kurti.

      Dann ging Kurtis Vater und Mutter zu Adelheids Vater und Mutter und Kurtis Vater entschuldigte sich für seinen ältesten Sohn. Dann wurde eine Flasche Doppelkorn für die Männer und eine Flasche Eierlikeur für die beteiligten Frauen beider Familen aus dem Schrank geholt. Eine Stunde später wurde der Hochzeitstermin auf Tag und Stunde festgelegt.

      Tags darauf stand Kurti wieder neben mir neben der Weipert Drehmaschine. "Ich mud frei" sagte Kurti mit roten Ohren. Das heißt auf hochdeutsch "Ich muß heiraten". "Der Polterabend ist in 8 Wochen". Zum Polterabend konnte die Adelheid kaum noch sitzen und war wohl die dickste Braut, die das Dorf je gesehen hatte.

      Es war ein schönes Bild, wie der dicke Pfarrer und die dicke Adelheid sich gegenüber standen und die Adelheid ohne rote Augen "ja" sagte. Kurti sagte mit roten Ohren auch "ja" und Kurtis Vater knirschte mit den Zähnen, weil ihm noch kurz vor der Trauungszeremonie ein schadenfroher Nachbar die Eisenbahnfuhren seines Sohnes vertratschte.

      Inzwischen sind viele viele Jahre ins Land gegangen und viel Wasser ist die Werra hinunter geflossen. Neben der Werra verläuft ein manchmal ausgeleiertes Bahngleis. Und wie der Zufall so spielt, sitzt in der Diesellock eines der Züge, die noch täglich an der Werra zwischen Eisenach und Meiningen entlang rumpeln, ein Lokomotivführer, dem die böse Strecke nicht viel ausmacht. Der Lokomotivführer heißt Kurt, genauso wie sein Vater.

      Werners Braut

      Werners Vater Daniel war aus Rumänien. Nähe Hermannstadt. Einmal im Jahr seit Ende der Sechziger fuhr Daniel nach Rumänien. Im Koffer hatte er alles was es um Hermannstadt nicht gab und in einen Koffer passt. Daniel war spezialisiert auf Dinge, welche klein sind, unauffällig sind und im Zuge ihrer Kleinheit und Unauffälligkeit gut geschmuggelt werden konnten. Daniel war Nähnadelspezialist. Im speziellen Maschinennähnadeln. Die packte er in große grüne Nagelschachteln. Daniel fuhr Montag Früh in Eisenach los unrasiert, in einem alten verschlissenen Zimmermannsanzug, und hatte dazu noch schöne saudreckige Finger ungeputzte Schuhe und stank noch Meter gegen den Wind nach Knoblauch. In Erfurt klapperte er die Haushaltwarengeschäfte ab und kaufte alles, was an Nähmaschinennadeln da war, auf. Gegen Mittag war er fertig und fuhr weiter nach Leipzig. In der Innenstadt drehte Daniel seine Nähnadel-Runden. Gegen fünfzehn Uhr saß er im Zug nach Dresden und hatte dort noch eine knappe Stunde Zeit für seine Nähnadeltour. Dann schlief er in einem Hotel in der Nähe des Bahnhofs und fuhr früh mit dem ersten Zug nach Prag. Nachdem er auch noch die Prager Geschäfte um viele viele Nähmaschinennadeln erleichtert hatte, tourte Daniel nach Bratislava und an einem weiteren Tag nach Budapest. Die ungarischen Nähnadeln wollte er auch haben. Alle Zöllner, die mal seinen Koffer zum Filzen in die Finger bekamen, ließen den Koffer ungefilzt. Der stank erbärmlich nach Speiseresten, Schuhcreme, ranzigem Fett und sonstwas. Die Nagelkartons enthielten rostige Nägel und Nähmaschinennadeln. Das stand auch auf seiner Zollerklärung. "Nägel und Nadeln". Das er damit in drei Ländern in mehreren großen Städten folgedessen Nähnadelmangel verursacht hatte, störte Daniel weniger. Mit seiner Tour war für ein Jahr in halb Rumänien das Nähmaschinennadelproblem gelöst.Nachdem Daniel mit seiner Sendung Nähnadeln in Hermannstadt eintraf, begann er mit dem Eintüten der Nähnadeln. Inzwischen war aus Westdeutschland ein kleines Paket mit zusammengefalteten Singernähmaschinennähnadelschachteln eingetroffen. Die ostdeutschen, tschechischen und ungarischen Nähnadeln wurden nun ohne viel Wundertaten in westdeutsche Nähnadeln verwandelt. So zwei Tage brauchte Daniel zum Verpacken seiner Ware. Nachdem rasierte er sich, zog einen bei der rumänischen Verwandtschaft deponierten schwarzen Anzug mit Weste und feinen Schuhen an und besuchte seine vielzähligen Nähmaschinennadelkunden. So nach einer Woche war Daniel herum in Rumänien. Alle, die wussten und wollten, hatten Nähnadeln und Daniel hatte einen großen Koffer voll rumänisches Geld. Sehr viel rumänisches Geld. Was hat Daniel mit dem ganzen schönen Geld gemacht? Daniel hat es verschenkt. An seine rumänische Verwandtschaft und Bekanntschaften. Scheinweise, Bündelweise. Kartonweise. Daniels Sinnen und Trachten war, als reicher deutscher Verwandter in Rumänien angesehen zu werden. Den Trick mit den Nähnadeln kannte niemand. Die kannten nur den Daniel und seine unerschöpfliche Freigiebigkeit. Wo er nur hinkam, wurden Schweine, Schafe und Rinder geschlachtet, floss Wein und Schnaps auf Festen in Strömen. Ein weiterer Kick war, dass ja Daniel aus Ostdeutschland kam und er einigen westdeutschen Verwandten, die in Rumänien zu Besuch waren, total die Show gestohlen hatte. Freilich brachten auch die Gaben und Geschenke mit. Gegen den Krösus Daniel konnte aber wenige mithalten. Er kaufte den Verwandten Land und Gebäude, soweit es möglich war. Westpakete mit Kaffee und sonstigen Lebensmitteln, von seinen beiden erwachsenen Kindern aus Westdeutschland, die Ende der Fünfziger aus der DDR getürmt waren, leitete er ebenfalls teilweise nach