Thomas Riedel

Panoptikum des Grauens


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bestätigte seine Lordschaft zähneknirschend. »Die Sache schleppe ich schon seit meiner Dienstzeit in Indien mit mir herum.« Schonungslos bekannte er sich zu seiner Verfehlung, gestand unter dem Einfluss der starken Droge alles und ließ nichts aus.

      Betroffen lauschten alle den Worten des alten Mannes.

      Unbewegt hörte auch Dr. Lestrade zu. Er wusste nur zu gut, was Menschen unter dem Einfluss von Narkosemitteln von sich zu geben pflegten. Dennoch war er ein wenig überrascht, denn dieses Medikament, dass die US-Amerikaner während des Kalten Krieges zur Bewusstseinskontrolle entwickelt hatten, übertraf all seine Erwartungen.

      »Aber dieser Mann, dieser Guru, ist aber längst tot, wie Sie selber sagen«, schaltete sich Blake mit seiner kräftigen, kultivierten Stimme in die Lebensbeichte seiner Lordschaft ein. »Hatte er vielleicht einen Sohn?«

      »Ja, das weiß ich genau. Er muss inzwischen auch einen Urenkel haben. Ich habe ein paarmal diesen Orientalen gesehen. Ich glaubte, eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Anführer der indischen Aufständischen festzustellen, die mir seinerzeit solche Schwierigkeiten bereiteten, aber ich bin mir natürlich nicht sicher. Es sind so viele Jahre vergangen. Ganz sicher habe ich mich darin getäuscht.« Der alte Mann atmete schwer durch. »Sie dürfen nicht vergessen, dass ich seit dem Fluch und der Drohung des Gurus, sich fürchterlich an mir zu rächen, in einer ewigen Spannung lebe, die sich zwar mit der Zeit scheinbar gemildert hat, aber doch unterschwellig weiter vorhanden ist. Ich konnte mich auch niemandem anvertrauen. Meine verstorbene Frau hätte wenig Verständnis für mich gehabt, und mit meiner Tochter konnte ich wohl kaum über diese Dinge sprechen. Gleichzeitig aber wusste ich, wozu diese Orientalen imstande sind. Ich habe schließlich lange genug in Indien gelebt.

      Ich habe Fakire gesehen, die sich drei Tage begraben ließen. Und glauben Sie mir, es war kein Trick dabei. Sie reduzierten einfach ihr Sauerstoffbedürfnis. Jeder von uns Europäern wäre bei einem solchen Versuch elend erstickt. Diese Burschen aber erhoben sich nach der selbst gewählten Frist, als sei nichts geschehen. Sie glaubten einfach an die Herrschaft des Geistes über den Körper und vollbrachten so Wunderdinge. Ich selbst habe einen berühmten Guru erlebt, der sich mit scharfen Schwertern lebenswichtige innere Organe durchbohrte. Das ist kein Hirngespinst. Es existierten Röntgenaufnahmen. Er zog die Waffen aus seinem Leib, ohne dass ein Tropfen Blut vergossen wurde. Sie erinnern sich vielleicht auch an den Mann. Mirin Dajo hieß er. Er trat später in der Schweiz auf und ließ sich mit einer großkalibrigen Pistole in den Bauch schießen. Aber das hat selbst er dann nicht überlebt.«

      »Ich glaube, wir können Schluss machen«, meinte Blake an Lestrade gewandt. »Zur Sache kann er nichts mehr aussagen.«

      »Gut … Dann werde ich ihm jetzt ein Beruhigungsmittel spritzen«, nickte der Pathologe ihm zu und griff nach einer Ampulle in seinem Arztkoffer. »Er hat genug gelitten.«

      »Gibt es denn gar keine Möglichkeit, die Hypnose, unter der er immer noch steht, und die wir nur kurzfristig überlistet haben, zu beseitigen?«, forschte der Chief Superintendent nach.

      »Das bedarf unter Umständen einer langen, schwierigen Behandlung«, entgegnete Gordon Lestrade. Erschöpft nahm er die Brille ab und erklärte: »Sie müssen wissen, dass hypnotische oder posthypnotische Suggestionen keine eigenständigen Entitäten oder Dinge sind, die im Unterbewusstsein wie Computerviren herumspuken und ein Eigenleben führen. Sie mögen es anders gelesen haben, weil es in der Regel falsch dargestellt wird ... Es handelt sich bei den Suggestionen prinzipiell um normale Ideen im Geiste des Hypnotisierten, deren Umsetzung genauso ein Denken und Wollen voraussetzt, wie die Realisierung anderer Ideen auch. Die Tatsache, dass die Verwirklichung hypnotischer Suggestion oft als mühelos, unwillkürlich oder gar zwanghaft erlebt wird, oder dass sie sogar völlig unterbewusst ablaufen kann, steht zum Gesagten nur scheinbar im Gegensatz.« Er sah Sir Christopher ernst an. »Hier muss man die Prozesse unterscheiden, die tatsächlich ablaufen, und das subjektive Erleben derselben …«

      »Auch, wenn es anders zu sein scheint«, unterbrach ihn McGinnis, »ist bekannt, dass der Hypnotisierte aber nur solange auf die hypnotische Suggestion reagiert, wie das für ihn Sinn macht oder er sich aufgrund expliziter oder implizierter Anforderungen der Situation zum Kooperieren verpflichtet fühlt.«

      Lestrade warf ihm einen müden Blick zu und wischte sich über die Augen. »Stimmt schon, Cyril. Dir ist aber auch bewusst, dass wir darauf werden warten müssen, solange wir den Schalter nicht finden … Für diese Aufgabe bin ich jedenfalls nicht der richtige Mann. Ich bin mir sicher, dass derjenige, der hierfür verantwortlich zeichnet, ein hypnotisches Siegel gesetzt hat.«

      »Wenn mir vor ein paar Tagen ein Mensch gesagt hätte, dass es solche Dinge zwischen Himmel und Erde gibt«, stöhnte der Chief Superintendent und schüttelte seinen massigen Kopf, »hätte ich ihn für verrückt erklärt .... Ich muss schon sagen, Blake, Sie haben sich ein merkwürdiges Arbeitsfeld ausgesucht.« Er seufzte. »Und ausgerechnet ich musste diese Abteilung übernehmen.«

      Blake ersparte sich eine Antwort. Er grübelte bereits über den nächsten Schritt nach.

      »Werden Sie jetzt diesen mysteriösen Orientalen unter die Lupe nehmen?«, erkundigte sich Whitemoore.

      »Wie stellen Sie sich das vor?«, entgegnete Blake, »Ich brauche erst einen Haussuchungsbefehl. Ansonsten richte ich überhaupt nichts aus.«

      »Und vorausgesetzt, wir würden ihn bekommen, … vor morgen früh bekommen wir ihn auf keinen Fall«, fügte McGinnis hinzu. »Sie können sich jetzt also ebenso gut schlafen legen, Mr. Whitemoore.«

      »Ein sehr intelligenter Ratschlag«, höhnte Whitemoore erbittert. »Ja, glauben Sie denn allen Ernstes, ich könnte ein Auge schließen? Ich habe Angst um Kayleen und fühle, dass sie meine Hilfe braucht!«

      »Wir alle sind darauf aus, Miss Coleman so schnell wie möglich zu befreien, aber wir dürfen nichts überstürzen«, suchte Blake den Architekten zu beruhigen. »Sonst stehen wir plötzlich vor der Leiche ihrer Freundin, und das nur, weil der Täter die Nerven verloren hat. Es wäre nicht das erste Mal in der Kriminalgeschichte, Mr. Whitemoore, … und genau das, gilt es doch zu vermeiden, oder?«

      »In Ordnung, Sie sind der leitende Beamte«, gab Whitemoore nach, wenngleich man ihm anmerkte, dass er es nicht ernst meinte. Er hatte längst beschlossen, auf eigene Faust zu handeln. Für ihn arbeiteten diese schlafmützigen Beamten ohnehin zu langsam, und ein Fall wie dieser brauchte seiner Meinung nach Maßnahmen, die außerhalb aller erstickender Routinearbeit lagen. Er entschied sich, auf sein Glück zu vertrauen und sich in die Höhle des Löwen zu begeben …

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