Sven Gradert

Andran und Sanara


Скачать книгу

den ersten Magiern der Vorteil einer ganzen Stadt, mit all ihren Werktätigen gegenüber einem einsamen Refugium klar. Es wurden Strukturen geschaffen und Gesetzte verfasst. Kushtur wurde zur einzigen Stadt in der gesamten bekannten Welt, die nicht von einem einzelnen Regenten, sondern von einem Rat – dem Magischen Rat regiert wurde. Der Rat bestand aus dreizehn Mitgliedern und wurde stets vom mächtigsten Zauberer geführt. Kushtur entwickelte sich schnell zu einer wahren Metropole, da den Menschen Freiheiten gestattet wurden, die zur damaligen Zeit revolutionär waren. Es stand jedem Bürger frei, sich an den magischen Rat zu wenden, um Veränderungen vorzuschlagen. Die Menschen durften ebenfalls zu allen Gottheiten beten, was selbst heute nicht überall gestattet war. Eine Tatsache, die besonders Tantras oftmals übellaunig aufstieß. Ebenso wenig wurden die Menschen nach ihrer Herkunft beurteilt. Kushtur harmonierte zudem hervorragend mit den anliegenden Königreichen und Fürstentümern. Dadurch entwickelten sich hervorragende Handelsbeziehungen, die zur weiteren Blüte der Stadt beitrugen.

       In all den Jahrhunderten, wurde Kushtur nur ein einziges Mal ernsthaft bedroht. Ein gewaltiges Heer wilder Horden aus der Unbekannten Welt, hatte es irgendwie geschafft, sich durch die Wüste der Tränen zu kämpfen und zog gegen die Stadt. Die Kämpfe stellten sich jedoch schnell als sehr ungleich heraus, da die wilden Horden der geballten Magie des Rates nichts entgegenzusetzen hatten. Trotzdem beschloss der Rat daraufhin, Befestigungsanlagen zu errichten, die alsbald zu den mächtigsten der Bekannten Welt zählten. Wenn man von denen Darkans, der Hauptstadt des Darkanischen Reiches einmal absah.

      Vitras nippte an seinem Tee und inhalierte erneut einen tiefen Zug aus seiner Pfeife, als er an den Tag denken musste, an dem all seine Arbeit, sein Kampftraining, seine Studien und Mühen belohnt wurden. Als seine Ausbildung abgeschlossen und er auch die letzte und schwierigste Prüfung bestanden hatte. Der Tag, an dem er in der großen Halle, feierlich die schwarze Robe der Kriegszauberer überreicht bekam. Seit über hundert Jahren hatte es kein Novize mehr geschafft, in den höchsten Rang der Zauberer aufzusteigen. Nicht seit Harun Ar Sabah seine Robe erhielt. Vitras war nun der erste lebende Magier, der es ihm gleichtat. Der mächtig genug war, ihm die Stirn zu bieten. Dadurch hatte sich Vitras an diesem Tag einen mächtigen Feind geschaffen.

      Allmählich ließ der Regen nach. Die dunklen Wolken verzogen sich und helles, freundlicheres Licht schien wieder durch die Fenster ins Innere der Hütte. Vitras erhob sich von seinem Sessel und beschloss, wieder hinaus zu gehen, da es noch einiges an Arbeit zu verrichten gab. Er zog sich wieder seine Weste über, die noch immer ziemlich klamm war, ließ den Kampfstab in seine Hand schnellen und trat hinaus ins Freie. Soweit er blicken konnte, stieg ein leichter Nebeldunst vom Boden empor und ließ die gesamte Lichtung wie einen verwunschenen Ort erscheinen. Vitras stieg die Stufen der Veranda herunter, als er plötzlich in der Bewegung innehielt. Irgendetwas stimmte nicht. Dann vernahm er den Hufschlag vieler Pferde, welcher rasch näherkam. Angespannt blickte Vitras den Weg bis zum Waldrand hinunter, der zu seiner Hütte führte. Er schätzte die Anzahl der Reiter auf ein gutes Dutzend, dann sah er sie. Sie preschten im vollen Galopp über den Waldweg heran und wurden erst langsamer, als sie die Lichtung erreichten. Ein grimmiges Lächeln umspielte die Mundwinkel des Zauberers, als er die Farben der Garde von Kushtur erkannte. Leuchtendes Orange mit dunklem Blau. Jeder Muskel seines Körpers spannte sich an während die Luft um ihn herum zu flimmern und zu sirren begann. Den Reitern wäre mit Sicherheit ein schweres Unglück widerfahren, wenn der Kriegszauberer nicht die fröhliche Stimme erkannt hätte, die laut über die Lichtung hallte:

      „Vitras! Meister Vitras! Endlich haben wir euch gefunden!“

      Vitras löste sich augenblicklich aus seiner magischen Konzentration, als er seinen Freund Gil Guillaume an der Spitze der Uniformierten erblickte. Unwillkürlich musste der Kriegszauberer schmunzeln. Nicht nur weil er sich freute, seinen alten Freund nach all den Jahren wiederzusehen, sondern weil Guillaume immer noch eine äußerst unglückliche Figur zu Pferden abgab. Lediglich seine Begleitung von vierzehn schwer bewaffneten Soldaten der Garde, trübte seine Wiedersehensfreude. Als Guillaume sein Pferd umständlich vor der Hütte zum Stehen brachte, schritt Vitras auf ihn zu und hielt das Pferd am Zaumzeug fest, um ihm beim Absteigen behilflich zu sein. Dabei fragte er sich, ob es Gil ebenfalls gelungen war, seine magische Signatur zu erkennen, wenn er sie überhaupt gesucht hatte, oder ob Harun ihn geschickt hatte. Gil Guillaume war ebenfalls ein Magier, hatte es jedoch nie so weit gebracht wie Vitras. Er trug lediglich eine graue Robe, die seinen magischen Rang, weit unterhalb den eines Kriegszauberers platzierte. Dennoch war er ein Magier und dem grimmigen Hauptmann der Garde fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er sich vor dem Fremden, der wie ein Bauer gekleidet war niederkniete und ihn mit Meister ansprach. Vitras war die Geste seines Freundes, die unter Magiern unterschiedlichen Ranges durchaus üblich war, sichtbar peinlich. Schnell half er Guillaume aufzustehen, dem das Hochkommen dank seiner umfangreichen Leibesfülle nicht leichtfiel. Daraufhin fielen sich die beiden Männer in die Arme, wobei Vitras den Kampfstab immer noch mit einer Hand fest gepackt hielt. Guillaume begann vor Freude zu schluchzen und löste sich erst aus der Umarmung, als ihn die dröhnende Stimme des Hauptmanns zusammenzucken ließ:

      „Meister Guillaume,“ wetterte er: „Wollt ihr etwa behaupten, dass dieser Wilde da der Mann sein soll, den wir suchen?“

      Guillaume drehte sich langsam zu dem Hauptmann herum, wobei seine Stimme plötzlich nichts mehr von dem Trottel im Magier Gewand an sich hatte, für den die Soldaten ihn ganz offensichtlich hielten:

      „Hauptmann Karon,“ begann er den Offizier zu belehren: „Darf ich vorstellen. Meister Vitras. Kriegszauberer von Kushtur!“

      Die einfachen Soldaten des Trupps sahen betreten zu Boden. Der Hauptmann musste schlucken:

      „Meister Vitras!“ Begann er entschuldigend, wobei er sich verbeugte: „Seine Eminenz, Meister Harun Ar Sabah, Kriegszauberer und König von Kushtur hat uns befohlen, euch sicher zurück zum Palast der Magier zu geleiten.“

      Vitras stand kurz vor einem Wutanfall. Mit einem drohenden Klang in seiner Stimme, fuhr er den Offizier barsch an:

      „König? Ich muss mich wohl verhört haben! Seit wann wird Kushtur von einem König regiert?“

      Der Hauptmann wich sofort einige Schritte vor Vitras zurück, als ob er einen Angriff erwartete. Er musterte den Kriegszauberer von oben bis unten, bevor er entschuldigend mit den Schultern zuckte:

      „Befehl ist Befehl!“ Kam es ihm lapidar von den Lippen, ohne auf die Frage seines Gegenübers einzugehen.

      „Ich würde euch empfehlen, hier draußen zu warten!“ Giftete Vitras den Hauptmann im Befehlston an. Dann packte er Guillaume an der linken Schulter und bugsierte ihn die drei Stufen herauf zur Veranda, um ihn anschließend in die Hütte zu schubsen. Sein Freund zuckte zusammen, als Vitras die Tür mit einem lauten Knall zuschlug. Der nächste Schock überkam Gil Guillaume als er Filou erblickte. Das Frettchen war völlig aus dem Häuschen, dass sein Herr ihn jemanden zum Spielen mitgebracht hatte. Der arme Gil wusste überhaupt nicht wie ihm geschah, als Filou über ihn herfiel, um an allem zu kratzen und zu nagen, was ihm interessant erschien. Ein Wort seines Herrn – und natürlich eine Nuss, reichten jedoch aus, um den Nager zu bändigen. Dann wandte er sich wieder seinem Freund zu:

      „Gil, was zum Teufel ist hier los? König? Und wieso zitiert mich dieser Bastard nach all den Jahren zu sich, anstatt mich gleich von seinen Vasallen umbringen zu lassen?“

      Die unbekümmerte Fröhlichkeit, die einfach zu Guillaume gehörte, wie das Schwert zum Soldaten, fiel mit einem Mal gänzlich von ihm ab. Seine Augen bekamen einen traurigen Ausdruck. Er setzte sich auf einen der mit Fellen bezogenen Stühle und zupfte an seinem Schnauzbart, bevor er sich mehrmals über seine kurzen grauen Haare strich. Stockend begann er zu erzählen:

      „Euch umbringen zu lassen mein Freund, das dürfte wohl auch für Harun ein schweres Unterfangen sein. Es hat sich jedoch viel, sehr viel in den Jahren verändert, seit ihr fortgegangen seid.“

      Vitras schaute aus dem Fenster und beobachtete die Soldaten, die inzwischen allesamt abgestiegen waren und ihre Pferde versorgten. Die Regenwolken hatten sich inzwischen vollkommen verzogen und auch der nebelige Dunst war dabei sich aufzulösen. Vitras musterte seinen Freund und wunderte sich ein wenig darüber,