einer Tasse Kaffee neben seinem Kaminofen. Der runde Keramikofen heizt hervorragend. Er verfeuert nur vier bis fünf Stücke Holz am Tag, berichtet mein Gastgeber stolz. Ein moderner Glastisch steht auf einem weinroten Teppich. Die skandinavischen Sessel, helle Vitrinen und ein Glasschrank passen hervorragend zusammen. Schnell wird klar, dass dieser Raum von einem Schwedenliebhaber bewohnt wird, allemal wenn man die kleine schwedische Fahne am Bücherregal entdeckt hat. Gelbes Kreuz auf blauem Grund, schöne Farben, finde ich.
Manfred trägt dunkle Jeans, ein kariertes Hemd und darüber eine dunkelblaue Strickjacke. Er wirkt wie immer ruhig, abgeklärt und freundlich. Auf Männer mittleren Alters mit Bart, schütterem Haar und Birkenstocksandalen mag dies häufiger zutreffen.
»Du willst also alles über Heinrich Schlüter, die Erneuerte Heimat und den Eichenhof wissen?«
Manfred stellt es mehr fest als dass er fragt. Er hat sich eine Pfeife gestopft und zündet sie jetzt mit einem langen Streichholz an. Der Tabak verbreitet sein süßes Aroma. Plumcake von McBarren, registriere ich. Auch ich habe früher mal Pfeife geraucht.
»Jens, du sagst mir noch einmal, warum du dorthin willst. Ich erzähle dir von den völkischen Siedlern und dann überlegen wir weiter. Okay?«
Mir soll es recht sein. Während ich ihm unter dem Siegel der Verschwiegenheit von Miriam und Jeschu erzähle, bearbeitet er seine Pfeife. Endlich qualmt es zuverlässig und er muss nicht mehr ständig ziehen und Dampf machen.
»Um es gleich vorweg zu sagen. Heinrich Schlüter und eine Jüdin als Schwiegertochter – das geht absolut und gar nicht. Wenn dieses Kind wirklich von Schlüters Sohn Peter ist, dann hat weder der etwas zu lachen noch die Mutter seines Enkelkindes noch dass Baby selbst! Im Gegenteil. Das Schlimmste zu befürchten wäre vielleicht noch zu harmlos.«
Ich bin nun ganz Ohr und bitte Manfred mehr von Schlüter und seiner Familie zu erzählen.
»Bevor ich dir von Schlüter erzähle, müssen wir klären, ob dir ›die Siedler‹ ein Begriff sind.«
»Abgesehen vom Gesellschaftsspiel nur ansatzweise. Wir hatten vor etwa einem Vierteljahr eine Leserbriefreihe dazu. Da ging es um rechtsextreme Siedler, die sich auch in unserem Landkreis niedergelassen haben. Unser Kolumnist hatte geschrieben, dass er freundliche Nachbarn habe, auch wenn die als Siedler wohl ideologisch reichlich rechts stehen.«
»Und das gab dann deutlich Widerspruch? Hoffentlich! Genau so aber läuft es. Die völkischen Siedler treten häufig harmlos auf, sind nette Nachbarn, sauber, ordentlich und freundlich zu den Leuten im Dorf. Politisch allerdings verstehen sie keinen Spaß. Worum noch mal geht es bei dem Gesellschaftsspiel?«
»Um das Gewinnen und Besiedeln von Land. Wer am Ende das Meiste oder sogar alles hat, hat gewonnen.«
»Genau darum geht es bei diesen Siedlern auch. Viele haben sich zu Gemeinschaften zusammengeschlossen oder bilden Netzwerke. Sie betreiben biologisch ökologische Landwirtschaft, üben ein Handwerk aus oder haben kleinere Läden. Sie sind Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr und im Fußballverein.«
»Aber das klingt doch gut!«
»Genau das ist ihre Strategie. Es klingt gut. Was sie dann jedoch über den Menschen sagen und wie sie miteinander und mit anderen umgehen, das klingt nicht mehr so gut. Von der arischen Rassenlehre hast du vermutlich gehört?«
»Klar, Hitlers geistiger Hintergrund. Der deutsche Herrenmensch ist allen anderen überlegen. Ihn gilt es rein zu halten, arische Kinder zu zeugen und die Rasse zu erhalten.«
»Genau. Auf dem Hintergrund der schon zum Ende des 19. Jahrhunderts entstandenen völkischen Bewegung sind die Siedler so etwas wie eine Bewegung zur Infiltration Deutschlands mit und durch die wahren Deutschen arischer Abstammung. Blut und Boden, Rasse und Land gehören zusammen. Deutschland den Deutschen – das ist ja auch heute in gewissen Kreisen wieder äußerst aktuell.«
Manfred kennt sich aus. Sein Engagement gegen Rechts begann, als Konfirmanden seiner Gemeinde in den Bann der rechten Szene gezogen wurden. Das hat er nicht ertragen und um die Jungs gekämpft. Was für ihn wie für die meisten Gemeindeglieder vorher unsichtbar war, kam immer mehr ans Licht. In vielen Dörfern der Südheide hatten sich Nazis oder Sympathisanten niedergelassen und ihre kleinen braunen Nester gebaut. Sie feiern ihre völkische Sonnenwende, Hitlers Geburtstag, das Maifest oder am Hermann Löns Stein ihre Gelöbnisse. Sie veranstalten Camps mit vormilitärischem Training und Rockkonzerte mit rechten Bands und Liedermachern.
Manfred hat mit anderen zusammen eine Initiative gegen solche Umtriebe gegründet. »Die Heide blüht Lila, nicht braun!« ist einer ihrer bekanntesten Slogans.
»Und nun zu Schlüter.«
Manfred steckt seine Pfeife nochmals an, so als solle auch der letzte braune Rest im blauen Dunst verdampfen.
»Schlüter ist einer der übelsten seiner Sorte. Vielleicht hast du ja mal von der ›Colonia Dignidad‹ in Chile gehört. Diese Sekte wurde von einem ehemaligen evangelischen Jugendpfleger aus Deutschland gegründet. Paul Schäfer, schon mal gehört? Dieser Deutsche hat dort wie ein Gottkönig geherrscht.«
Natürlich habe ich von diesem kriminellen Fanatiker gehört. Seine Sekte hat hermetisch abgeschlossen gelebt, Männer wie Frauen wurden unterdrückt, Kinder sexuell missbraucht und nebenbei noch das diktatorische Regime mit Waffen versorgt. Wenn Heinrich Schlüter auch nur ein bisschen von der Brutalität dieses Mannes übernommen hat, ist er schlimmer als alle, die ich je persönlich gekannt habe.
»Du liegst richtig. Schlüter hat sich Schäfer offenbar zum Vorbild genommen. Nur dass er nicht mit religiösem Druck arbeitet, sondern mit völkischem – was aufs Gleiche herauskommt. Sein System ist identisch: Abgeschottetes Grundstück, scharfe Hunde, eingeschworene und auf arische Abstammung überprüfte Gemeinschaft, absoluter Gehorsam, Strafen bei Regelverstoß, unbedingte Einhaltung der Kleiderordnung und Rollenvorgaben für Mann und Frau ... na ja, den Rest kannst du dir denken.«
Ja, das kann ich jetzt. Nach den Strafen wage ich kaum zu fragen, fürchte ich doch das Schlimmste für den Sohn dieses Despoten. Manfred scheint meine Gedanken zu lesen.
»Strafen? Ich weiß da so manches, weil ein Mitglied der Gemeinschaft ausgestiegen ist. Ein junger Mann ist dort sozusagen geflohen. Er wurde danach jahrelang attackiert und musste allerhand ertragen: Drohbriefe, Mobbing in Netzwerken, zerstörte Motorradreifen, eingeworfene Scheiben und zweimal auch Schläge. Im Eichengrund selbst sei es allerdings mindestens genauso schlimm, erzählte er mir. Vor allen anderen Mitgliedern der Gemeinschaft wurde man der Nestbeschmutzung und des Verrates beschuldigt, wurde geschlagen und musste demütig Reue zeigen. Sein Zimmer durfte man danach nicht verlassen, bekam nichts zu Essen ...«.
»Und die Polizei?«
»Welche Polizei? Nach Außen führt Schlüter einen alternativen Biohof, liefert Hühner, Wolle und Honig, bestellt Felder und Wald und hat seinen Laden im Griff. Selbst jener Aussteiger hat keine Anzeige erstattet, vermutlich aus Angst um sein Leben.«
»Der Vater Heinrich ist also dort der Führer. Was ist mit dem Sohn Peter Schlüter?«
»Peter ist jetzt Mitte zwanzig. Sein Vater wollte einmal, dass sein Sohn den Eichengrund übernimmt. Inzwischen hat er es angeblich aufgegeben, seinen Sprössling auf Kurs zu bringen. An Stelle Peters ist jetzt ein gewisser Adolf Hess der ungekrönte Thronfolger. Er ist zwar erst vor etwa zwei Jahren in die Kolonie gekommen, hat aber das volle Vertrauen Schlüters. Als der jetzt so lange krank war, hatte Hess bereits alles unter Kontrolle.«
Hess? Die Namen dieser arischen Übermenschen passen jedenfalls zum Programm der »Erneuerten Heimat«.
»Was für eine Krankheit hatte Heinrich Schlüter?«
»Einen Herzinfarkt. Er hat seit Anfang dieses Jahres bis Ende September damit zu tun gehabt. Klinik, Reha, das ganze Programm.«
»Manfred, alle Achtung. Du hast echtes Insiderwissen.«
Der politisch so agile Pastor lacht.
»Ja klar. Die ›Erneuerte Heimat‹