Walter Christiansen

Wahre Liebe ist himmelblau


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waren alle Schlammpartikel von ihm abgefallen, so als würden sie von seiner irgendwie aktivierten Oberfläche abgestoßen. Wie war es möglich, im Schlamm meines eigenen Bewusstseins einen solchen Gegenstand zu finden? Was war sein Geheimnis? Was könnte er mir widerspiegeln?

      Zuerst schien sich auf der matten, tiefschwarzen Oberfläche, die den Eindruck eines schwarzen Loches erweckte, nichts zu regen. Nachdem ich aber dreimal nacheinander unausgesprochen sowie in natürlicher Ehrfurcht eine Frage in den Raum gestellt hatte, bewegte sich etwas auf der dunklen Wölbung. Licht und Schatten huschten hin und her und formierten sich schließlich zu einem lebendigen Bild – einem prächtigen Palast aus funkelndem Kristall, umgeben von einer glitzernden Natur, die ebenfalls aus Kristall zusammengesetzt schien.

      Mauern, Türme und Nischen des Palastes reflektierten ein bezauberndes Licht, das in allen Farben des Regenbogens glitzerte. Und über dem märchenhaften Gebäude wölbte sich ein prächtiger Nachthimmel, von unzähligen funkelnden Sternen übersät, die sich zu Sternbildern formierten, wie ich sie von nirgendwo her kenne.

      Überwältigt von der schweigsamen und doch so lebendigen Sprache der bezaubernden Kristallwelt öffnete ich alle meine Sinne, beseelt von dem innigsten Wunsch, den Sinn dieser geheimnisvoll auf mich gerichteten Bildsprache ungeteilt in mich aufnehmen und vollständig begreifen zu können. Denn der unbekannte Sternenhimmel flößte mir sofort ein tiefes Vertrauen ein – und funkelte mir entgegen, als wolle er mich irgendwie informieren.

      2

      Ein Herrscher jens eits von Raum und Zeit

      Beim Anblick des märchenhaft glitzernden Kristallpalastes und der sich über demselben wölbenden Sternenpracht verlor ich für eine Weile mein Raum- und Zeitgefühl. Denn aus dem Kristallspiegel in meinen Händen strömten geheimnisvolle Energieimpulse in mich hinein und belebten meine Gefühle und Gedanken auf eine Weise, wie ich es bisher noch nie erlebt hatte. Der Kristallpalast und seine zauberhafte Umgebung vibrierten in mir – nicht nur als ein Bild, sondern als etwas absolut Wirkliches. Kristallwinde rauschten dezent durch meine Innenwelt. Sphärische Musik drang aus weiter Ferne an mein Ohr. Und dann erhob sich eine kristallklare und sehr milde Stimme, die aus dem Inneren des Palastes zu kommen schien:

      „Gesegnet seiest du auf deinem langen Weg, du unermüdlich Suchender! Bis zu dieser Stunde warst du in deinem Bemühen um höheres Wissen und höhere Liebe überwiegend auf dich selbst und deinen anhaltend guten Willen angewiesen. Das soll jetzt anders werden; denn um deine Zukunft sinnvoll gestalten zu können, benötigst du – mehr als bisher – auch mich als deinen täglichen Begleiter, weshalb ich von jetzt an mehr an deiner Seite sein werde.

      Die Anforderungen des Lebens an dich werden sich zusehends mehren. Um ihnen gerecht zu werden, benötigst du neuartige Erkenntnisse, die du nur in deinem eigenen Inneren erwirken kannst, und dies auch nur mit besonderer Hilfe meinerseits. Deshalb begegnen wir uns hier und heute auf dem Meeresboden deiner Seele, wo du jetzt stehst, am schlammigen Rand jener Oase, die du gerade durchquert hast.

      Der Kristallspiegel, den du in deinen Händen hältst, hat schon lange auf dich gewartet. Er gehört ganz zu dir und wird jetzt dein täglicher Begleiter sein. Niemand kann ihn dir nehmen. Denn mit dir zusammen ist er gewachsen. Er ist eine Kristallisierung deines unermüdlich guten Willens. Deshalb kannst nur du allein ihn aktivieren – mit Hilfe deiner reifenden Gefühle und Gedanken. Er wird dich fester als bisher mit mir verbinden und dir eine unentbehrliche Hilfe sein in deinem fortgesetzten Bemühen um höhere Wahrheit und höhere Liebe …“

      Es entstand eine Pause, derweil erfrischende Kristallwinde mich heimelig umschmiegten. Himmlische Töne aus unendlicher Ferne schwankten sanft im Takt mit den Winden, von denen sie getragen schienen. Und der unbekannte Sternenhimmel über dem Kristallpalast sprühte sein funkelndes Licht noch tiefer in meine Seele hinein.

      So konnte ich meinen Blick gar nicht vom Kristallspiegel abwenden, der heilsam in meinen Händen lag und gleichsam eins geworden war mit dem, was ihnen und mir innewohnte. Erfrischt bis auf den Grund meiner Seele lenkte ich meine Aufmerksamkeit erneut der verborgenen und doch so offenherzigen Stimme zu, die meine Bereitschaft zu spüren schien und abermals das Wort ergriff:

      „Ich bin der Herrscher des unendlichen Weltalls und residiere abwechselnd in unterschiedlichen Palästen, die jeweils ein besonderes Gepräge haben. Mein Aufenthalt ist stets dort, wo ich von Zeit zu Zeit Aufgaben zu erfüllen habe.

      Heute spreche ich zu dir aus einem Kristallpalast, der am weitesten außerhalb von Raum und Zeit liegt – und doch wahrhaftig existiert, Aus dem Reich der Kristalle hast du einst deine millionjährige physische Existenz angetreten. Aus dem Licht der himmlischen Welt kamst du zu mir in den Kristallpalast, um von hier aus dein mitgebrachtes Liebeslicht in die physische Materie einzubringen.

      Das Reich der Kristalle ist, wie alles Existierende, ein Teil meines Wesensinneren. In mir lebt eine kristallklare Gedächtniswelt, die aus sich heraus nicht nur Geistdurchdrungene physische Materie hervorkristallisiert, sondern vor allem luftige Erinnerungen in bildhafter Bewegung festhält und bewahrt, um aus ihnen neues Leben und neue Erinnerungen entstehen zu lassen.

      Meine Gedächtniswelt ist nicht nur hier, von wo ich zu dir spreche. Sie vibriert sehr stark in jedem Bergmassiv, in jedem Stein, ja, in jedem Sandkorn am Meeresstrand. Ein Abglanz von ihr lebt auch in dir, in deinem Bewusstsein. Sonst könntest du nicht lebendes Fazit deiner ewigen Vergangenheit sein. Eben so wenig könntest du dich an Vergangenes überhaupt erinnern. Du hättest keine Lebensperspektive. Und ich könnte dich nicht so inniglich umsorgen, berühren und umarmen, wie ich es am liebsten tue; denn die Erinnerungsresonanz zwischen uns würde fehlen.

      Zwischen dir und mir bahnt sich ab heute eine wiedererkennende Resonanz an, eine Resonanz mit großer Spannweite, die weit über das hinausgeht, was uns an Erinnerung verbindet. Denn dein anhaltend guter Wille hat mich gerufen, um in deinem Herzen diese Resonanz wiederzuerwecken.

      Obwohl mein allumfassendes Gedächtnis außerhalb von Raum und Zeit sein eigentliches Zuhause hat, reichen seine konstruktiv bindenden Kräfte doch weit hinein in den Raum und in die Zeit. Ich erinnere mich deshalb jedes noch so kleinen Geschöpfes in der physischen Welt. Ebensowohl durchdringt mein wiedererkennendes Gedächtnis die Zukunft, wobei ich die Herzen der Menschen verheißungsvoll und beglückend berühre, auch deines.

      Gedächtnis ist eine universelle Energie. Sie bewirkt den konstruktiven Zusammenhalt aller Dinge. Nun denke aber nicht, dass ich aus dem Kristallpalast zu dir spreche, um den in dir vorhandenen Abglanz meines universellen Gedächtnisses zu stärken. – Nein, mit einem solchermaßen gestärkten Gedächtnis könntest du zurzeit nicht viel anfangen. Für dich in deiner jetzigen Situation ist etwas ganz anderes viel wichtiger, als sich erinnern zu können oder zu wollen. Die Gedächtniskraft ist zwar sehr nützlich und notwendig. Da und dort auch bei isolierter oder einseitiger Anwendung. Über solches Maß hinaus aber führt sie dich in die Täuschung. Je stärker du als geistig ausgerichteter Mensch die Kräfte deines Gedächtnisses bündelst, statt sie – durch zurückhaltende Anwendung – der höheren Wahrheit und höheren Liebe in dir vertrauensvoll unterzuordnen, desto größerer Täuschung setzt du dich aus.

      Ich erwarte von dir, dass du dich Schritt um Schritt über alle schmerzliche und begrenzende Täuschung erhebst. Dafür benötigst du jenen Kristallspiegel, der in der Verborgenheit deines Bewusstseins Gestalt angenommen hat und dir jetzt in die Hände gegeben worden ist. Seine vornehmste Eigenschaft besteht nicht darin, dein Gedächtnis zu stimulieren und zu stärken, sondern dich dazu zu bewegen, deine einseitige Anlehnung an Gedächtnisfunktionen bewusst zu lockern – um dadurch deine Intuition zu fördern.“

      Abermals entstand eine Pause. Es hatte damit zu tun, dass immer mehr Fragen sich in mir auftürmten und meine Aufnahmefähigkeit beeinträchtigten. Der unsichtbare Herrscher des Weltalls schien dies zu wissen, bevor es mir selbst bewusst wurde. Denn er ließ mir Zeit und erhob erst dann wieder seine