Hannah Liesmot

OHNE MILCH UND ZUCKER


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fragte ich. Er erzählte mir was von frei sein und sich nicht binden wollen. Ich fragte ihn, ob er es schön findet als Single und beruhigte ihn, dass wir ja nicht gleich heiraten müssten. Wir küssten uns wieder. So ging es eine ganze Weile. Wir trafen uns, gingen aus, er kam zu mir, wir landeten das erste Mal im Bett. Er blieb nicht, sondern wollte mitten in der Nacht nach Hause fahren. Ich verstand das nicht. “Ich habe eine Lebensgefährtin und drei Kinder.”, sagte er. Ich sah ihn ungläubig an, meine Worte blieben stumm. Darum schüttelte ich nur meinen Kopf. Ich fing mich. “Verheiratet bist du aber nicht?”, fragte ich Marco. Er trug keinen Ring. “Ich bin geschieden und lebe mit der Mutter meiner Kinder in einer Lebensgemeinschaft.”, sagte er. Ich ärgerte mich über mich selbst. Wie konnte ich so naiv sein und glauben, dass ein solcher Mann jenseits der fünfundvierzig Jahre allein sei? Warum hatte ich nicht beiläufig nach seiner Familie gefragt, um zu checken, wie es um seinen Beziehungsstatus steht? Wieso hatte ich nicht nach seinem vergangenen Liebesleben gefragt? Fragen über Fragen, die ich nicht stellte, weil ich auf Wolke Sieben schwebte. Liebe machte wirklich blind. Marco und ich trennten uns nicht. Ich hoffte, dass er mich bald so sehr liebte, dass er seine Familie verlassen und mit mir zusammen leben würde. Er braucht nur etwas Zeit, dachte ich. Anfangs vergötterte, respektierte und verehrte er mich regelrecht. Ich war selbstbewusst. Andere sahen in mir eine starke Frau und ich fühlte mich auch so. Ich glaube, er dachte ernsthaft über eine Partnerschaft mit mir nach, wollte aber, dass wir uns besser kennenlernen, bevor wir uns entschieden zusammenzuleben.

      *

      Wir trafen uns heimlich. Nein, das ist falsch. Er traf mich heimlich. Ich hatte nichts zu verheimlichen, durfte meine Liebe zu ihm aber nicht offen zeigen. Aus unserer Beziehung wurde schleichend ein eingefahrenes Verhältnis. Ich verpasste quasi den Zeitpunkt, an dem ich ihm die Pistole hätte auf die Brust setzen müssen, weil ich Angst vor einer Abfuhr und in der Konsequenz vor einer möglichen Trennung gehabt hatte. An meinem einunddreißigsten Geburtstag kamen mich meine Eltern besuchen. Er kam am späten Nachmittag für eine Stunde als guter Freund vorbei. Als ich zweiunddreißig und dreiunddreißig Jahre alt wurde, nahmen wir beide frei und unternahmen zusammen Ausflüge. Ich genoss die Zeit mit ihm. Wir gingen gut essen und suchten uns danach ein lauschiges Plätzchen auf einer Wiese. Ich breitete eine Decke aus und wir legten uns aneinander gekuschelt in die Frühlingssonne. Ich schmiegte mich mehr an ihn, als er an mich, aber ich war ja auch die Frau. “So etwas habe ich noch nie gemacht.”, sagte Marco als wir uns das erste Mal auf eine Wiese hauten und streckte selbstzufrieden alle Viere von sich. Seine Geburtstage feierten wir nach. Marco nahm mich, wann immer es sich einrichten ließ, zu Dienstreisen mit. An Wochenenden und Feiertagen hatte er keine Zeit für mich und er fuhr jedes Jahr mit seiner Familie in den Urlaub. Einmal saßen wir in seiner Stammkneipe, der jedes Flair fehlte. Man kannte ihn hier und wusste, was er wollte. Marco machte sich nichts aus Ambiente oder Kult-und In-Lokalen. Er war ein Gewohnheitstier, blieb seinem Trott treu, Hauptsache das Bier floss. An jenem Abend hatte er vorher ausgedruckte Urlaubsbilder abgeholt. Als ich das erste Mal ein Foto von seiner Lebensgefährtin mit seinen Zwillingsmädchen und seinem Sohn sah, kam ich mir schäbig vor. Seine Partnerin war groß, dünn und hatte dunkles Haar, das ihr über die Schultern fiel. Ich dagegen maß einen Meter sechsundsechzig, hatte blondes Haar und war zu dieser Zeit am äußersten Rand meines Body-Maß-Indexes angelangt, noch normalgewichtig, aber nicht mehr ganz so schlank, weil ich mich nur noch selten zum Laufen motivieren konnte und mir aus Frust den Magen weit über den natürlichen Hunger hinaus vollstopfte. Sie sahen so glücklich aus auf dem Bild, das sich in mein Gedächtnis einnistete. Marco war verheiratet gewesen und wollte nicht unbedingt Kinder, als er Petra über den Weg lief. Sie war sehr in ihn verschossen, bettelte und flehte ihn laut seinen eigenen Worten noch massiver an als ich es tat und wurde von ihm schwanger. Er ließ sich scheiden und lebte seitdem mit Petra zusammen. Im Schlafzimmer lief angeblich nichts mehr seit das dritte Kind auf die Welt kam. Der Junge ging schon in die vierte oder fünfte Klasse.

      *

      Seitdem betrachtete ich Marco aus einem anderen Blickwinkel. Das war der Anfang vom Ende. Ich hinterfragte meine Gefühle und sah unsere Beziehung endlich als das was sie war: eine Affäre mit mir in der Rolle der Geliebten. Er gab mir deutlich zu verstehen, dass er seinen Kindern zuliebe bei seiner Lebensgefährtin blieb. Marco erwähnte mir gegenüber nie ihren Namen. Trafen wir uns, stritten wir uns bald heftig. Er maß mich an meiner fachlichen Leistung und an meinem Wissen, kritisierte an mir herum und dabei wollte ich nur erfahren, ob er mich noch liebte, falls er mich jemals geliebt hatte. Ich versuchte mehrere Male, das Verhältnis zu beenden. Wir wollten Freunde bleiben. Das klappte nicht. Wir konnten nicht miteinander reden und umgehen wie Freunde es taten. Ich wollte jeden Kontakt zu ihm abbrechen. Er überredete mich, das nicht zu tun. Die Fassade meiner Liebe, die ich einst aus tiefsten Herzen für Marco empfand, begann zu bröckeln. Sie bekam tiefe Risse und stürzte ein. Ich war unendlich traurig und sehnte mich nach Liebe und Zweisamkeit. Ich wollte auch jemanden haben, der abends, an Wochenenden und Feiertagen für mich da war, mit dem ich morgens unter dem Küchentisch füßeln konnte, der mich in den Arm nahm, wenn ich das brauchte. Einen, der mir die Reißverschlüsse von Kleidern schloss, damit ich mich nicht verrenken musste und mir am Strand den Rücken eincremte, so dass ich keinen Sonnenbrand an für mich unerreichbaren Stellen bekam. Mein Selbstbewusstsein schwand. Ich wurde verletzlich und unsicher. Marco plagten Gewissensbisse. Jedenfalls merkte ich ihm an, dass auch er sich unwohl fühlte. Er schwitzte, strich sich unbeholfen über die Stirn und hatte Erektionsstörungen. Ich fragte mich allerdings, ob das sein generelles Problem war oder es am Fremdgehen lag. Er war ein unnahbarer Einzelgänger, vergrub sich in seiner wissenschaftlichen Arbeit und betrank sich gern mit Bruder Alkohol wie Jugendliche beim Komasaufen. Er kippte die Krüge voll Bier in sich hinein bis es ihm aus den Mundwinkeln rann. Er hätte in Filmszenen mitspielen können, die das große Gelage mit Fressen und Saufen im Mittelalter darstellten. Er wirkte zunehmend ungepflegt und legte einige Kilos an Gewicht zu. Hin und wieder quälten ihn Gichtanfälle, die ich von meinem Vater her kannte. In dieser Zeit hatte ich einen One-Night-Stand mit einer über einen Meter achtzig großen, dunkelhaarigen, rehbraunäugigen Worldwideweb-Bekanntschaft, die fünf Jahre jünger war als ich. Wir schrieben nebenbei für das gleiche Internetportal und lebten zufällig in derselben Stadt. Wir chateten und verabredeten uns im Szenetreff “ZickZack”, einem Jazz-und Musik-Club am Leipziger Bahnhof. Karsten befand sich in der Trennungsphase einer On-Off- Beziehung. Ich glaubte, Karsten litt unter Liebeskummer und war ein bisschen einsam, weil er seine Freundin verloren hatte. Er wurde der erste jüngere Mann, mit dem ich ins Bett ging. Es passierte aus der aufgebauschten Abendlaune heraus und tat uns beiden gut. Ich bereute es nicht. Es brachte mir zudem die Erfahrung, dass die Konstellation, bei der die Frau älter war als der Mann, besonders und anders gestrickt war. Wir sind Facebookfreunde geblieben, obwohl er eine kleine Nervensäge sein konnte und rumbaggerte. Ich ging darauf nach dem Motto “einmal ist keinmal” nicht ein, denn ich mochte ihn, aber war nicht verliebt in ihn. Schnelle Abenteuer bedeuteten mir nichts. Körper und Geist mussten schon das gleiche wollen. Und mein Geist wollte Leidenschaft, Sinnlichkeit und Harmonie, wozu nur der magische Zauber der Liebe fähig war. Rohe körperliche Betätigung zur reinen Bedürfnisbefriedigung widerte mich dagegen an. Marco erfuhr von meinem Seitensprung, der eigentlich keiner war, da ich offiziell als Single galt, nie etwas. Treue und Ehrlichkeit waren für mich keine eingestaubten Tugenden, sondern das Fundament echter Liebe.

      *

      Meine erneut befristete Arbeit ging zuneige. Ich bewarb mich bei einem Unternehmen, das sowohl in Mittelals auch in Nordostdeutschland Vertriebsstandorte hatte. Die Manager fragten mich, wo ich eingesetzt werden möchte. “Wenn Bedarf besteht, würde ich auch wieder zurück in den Norden gehen”, sagte ich spontan. Es gab keinen Mann mehr, der mich noch in der Leipziger Tieflandsbucht zwischen Harz und Erzgebirge hielt. Meinen vierunddreißigsten Geburtstag feierte ich bei und mit meinen Eltern und mit meiner Schwester, meinem Schwager, meinem Neffen und zwei längst verheirateten Freundinnen aus der Schulzeit. Jenny und Iris kamen auf einen Sprung zum Kaffee vorbei. Immerhin. Man traf sich sonst unter Paaren. Musste ich mir einen Mann suchen, um dazu zu gehören und möglicherweise ein Kind bekommen? Unter solchem Druck und aus Pflichtgefühl wollte ich keinen Mann! Mein Vater schlug mir, wann immer das Thema aufkam, einen Junggesellen aus dem Dorf vor. Das nervte. “Ein bisschen Liebe sollte schon im Spiel sein!”, antwortete ich darauf. Auf kleine Sticheleien und Verkupplungsversuche musste ich als Single gefasst