Emmi Ruprecht

Ein Ort in Italien


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Er hätte es gern gesehen, wenn auch um ihn jemand herumgetanzt hätte, ihn anhimmelte oder seinen Äußerungen beifällig lauschte, wie er es selbstverständlich bei seinen Freunden und deren anwesenden Gattinnen beobachten konnte. Zwar zeigte er seine Frau bei den seltener werdenden Gelegenheiten immer noch gerne vor und dann verstummten auch schnell alle anzüglichen oder herablassenden Bemerkungen aus seinem Bekanntenkreis. Darüber hinaus umschmeichelte manch bewundernder oder gar begehrlicher Blick seine wunderhübsche, charmante Carola, die mit zunehmendem Alter auch optisch immer deutlicher aus der Masse der Ehefrauen hervorstach, denen die Zeit ihren Stempel aufdrückte. Dann wurde sein Stolz auf seine einstige Eroberung neu entfacht!

      Aber diese Gelegenheiten wurden auch nicht zahlreicher, als Carola schließlich ihren Doktortitel hatte und begann, auf ihr nächstes Ziel, die Habilitation, hinzuarbeiten. Und schließlich konnte Maik nicht umhin, seine häusliche Situation immer kritischer zu betrachten. Immer öfter stellte er Vergleiche an zu dem Leben, das seine verheirateten Freunde führten. Wenn die abends heim kamen, wartete eine Frau auf sie, die ihren Mann genauso wie die Kinder bekochte und umsorgte. Wenn Maik nach Hause kam, dann war Carola oft noch nicht da oder arbeitete in ihrem Arbeitszimmer an der Veröffentlichung irgendwelcher Fachartikel oder sie bereitete Vorlesungen vor. Und so ist es bis heute geblieben.

      Er seufzt. Vielleicht wäre es damals besser gewesen, dem Rat von Eltern und Freunden zu folgen und ein Mädchen zu ehelichen, das weniger ambitioniert an der eigenen Karriere arbeitet. Er sehnt sich nach einer Frau, die selbstverständlich zu ihm aufschaut, ihn umsorgt und wo ganz klar ist, wer die Sonne in der Beziehung ist, um die alles kreist. In den Ehen seiner Freunde sind das zweifelsohne die Männer, die etwas darstellen und deren Bedürfnisse im Mittelpunkt stehen. Die Frauen sind mit bestenfalls schlecht bezahlten Halbtagsjobs, der Hausarbeit, der Kindererziehung und einem Platz an seiner Seite vollauf zufrieden. Doch mit Carola ist so eine Rollenverteilung nicht zu machen.

      Und jetzt, denkt er, hat sie auch noch schlechte Laune! Das kann er nun gar nicht verstehen! Schließlich wollte sie doch diesen Urlaub und er hat alles möglich gemacht, um sich dafür eine Woche freizuschaufeln. Natürlich hatte er kurz vor diesem Urlaub, den Carola unbedingt machen wollte, noch viel zu erledigen gehabt. Schließlich musste er in seinem Betrieb alles so regeln, dass seine Leute für eine Woche auch ohne ihn klarkommen. Wie kann sie da erwarten, dass er sich auch noch Gedanken darum macht, das Auto vor der Reise zu überprüfen oder welche Sachen er einpacken muss? Er trägt die Verantwortung für einen Betrieb mit zwölf Arbeitsplätzen und muss zusehen, dass der Laden läuft. Da hat er den Kopf wirklich mit wichtigeren Dingen voll! Sie ist doch nur angestellt und kann nachts ruhig schlafen, weil die Universität auch dann noch steht, wenn sie mal mit ihrer Forschung nicht weiterkommt. Warum kann sie das nicht verstehen? Ist es denn wirklich so unzumutbar, dass sie sich um die Organisation der Reise kümmert? Bei seinen Freunden ist die Urlaubsvorbereitung selbstverständlich Frauensache. Warum soll er eigentlich auf alles verzichten, nur weil seine Frau mittlerweile Professorin ist? Warum ist sie sich nun für alles zu fein? Oder ist er ihr einfach nicht mehr gut genug?

      Verstohlen schaut er zu Carola hinüber, deren Haar unter einem hellen Tuch zusammengebunden ist, um es vor dem Fahrtwind zu schützen. Sie trägt eine riesige Sonnenbrille und einen edlen, breiten Armreif am Handgelenk. Ihre Bewegungen, wenn sie schaltet oder den Kopf bewegt, um in den Rückspiegel zu sehen, haben etwas unbestreitbar Elegantes. Mondän sieht sie aus am Steuer ihres Autos – fast wie ein Filmstar aus den Fünfzigern. Sie muss nicht einmal etwas dafür tun, um ein Hingucker zu sein – sie ist es einfach. Maik findet, dass das großartige Eigenschaften für eine anbetungswürdige Geliebte sind. Aber ist es auch das Richtige als Ehefrau?

      Carola blinkt und zieht links an einer langen Schlange von Wohnmobilen und vollbepackten Autos vorbei, die zum Gardasee abbiegen wollen. Es ist Urlaubszeit und natürlich staut sich an der Ausfahrt der Verkehr. Sie ist froh, dass sie sich hier nicht einreihen müssen und die Touristenmassen meiden können.

      Von dem abgelegenen Urlaubsort, der inmitten von Bergen nur über endlose Serpentinen zu erreichen ist, hat ihr Jonas, ihr Gitarrenlehrer, erzählt. Seit ungefähr einem Jahr nimmt sie in unregelmäßigen Abständen wieder Unterricht, um einen Ausgleich zu ihrem Beruf zu finden, den sie zwar sehr liebt, der aber recht einseitig den Kopf beansprucht. In der letzten Unterrichtsstunde vor Weihnachten hatte Jonas dann von diesem Gut geschwärmt, wo man sich in unglaublich idyllischer Umgebung, ungestört von fast allen zivilisatorischen Ablenkungen, ganz der Muße hingeben könne. Weit ab von der Welt könne man auch mal vergessen, dass es sie überhaupt gibt und endlich wieder zu dem Menschen werden, der man eigentlich sei, schwärmte er. Innerhalb kürzester Zeit hatte er sie neugierig gemacht und schließlich angesteckt mit seiner Begeisterung. Und da sie nicht schon wieder auf den letzten Drücker irgendeine Pauschalreise buchen wollte, die sie nur halbherzig hinter sich bringen würde, hatte sie beschlossen, dieser Empfehlung zu folgen. Sie suchte einen passenden Kurs im Internet heraus und fragte Maik, ob er mitkommen wolle. Sie muss zugeben, dass sie ihn damit vor vollendete Tatsachen gestellt hat. Aber dieses Jahr wollte sie nicht schon wieder über Monate hinweg ergebnislos Urlaubsoptionen an ihn herantragen, zu denen er sich doch nicht entschließen konnte, weil er gerade den Kopf für andere Dinge brauchte. Denn wenn er sich endlich dazu durchringen konnte, seinen Betrieb für ein paar Tage zurück in die Obhut seines Vaters zu geben, der glücklicherweise immer noch gut in der Lage ist, nach dem Rechten zu sehen, hatten sie stets die besten Angebote verpasst. Aber jetzt hatte sie endlich ein Urlausziel gebucht, das mehr war als ein fader Kompromiss zwischen Last-Minute-Angeboten, die auf dem Markt noch zu haben waren, und Carola freute sich sehr darauf!

      Leider fiel es ihr schwer, diese Vorfreude durchzuhalten, denn bis auf die frühzeitige Entscheidung für ein lohnendes Urlaubsziel war alles andere leider so abgelaufen wie immer!

      Sie seufzt und merkt, wie sich ihr Magen erneut vor Ärger zusammenzuziehen beginnt. Obwohl seit Anfang des Jahres klar ist, dass sie genau an diesem Tag in den Urlaub fahren werden, hat Maik es wieder einmal vermieden, sich um irgendetwas zu kümmern und sämtliche Aufgaben auf sie abgewälzt. Er hat sich nicht um das Auto gesorgt und nicht um die Anreisemodalitäten. Ja, er hat sich nicht einmal Gedanken darum gemacht, was er für den Kurs mitnehmen muss, denn er fragte in den letzten zwei Tagen immer wieder bei ihr nach, was wohl benötigt würde. Carola wurde den Eindruck nicht los, dass er darauf spekulierte, dass sie sogar seinen Koffer packt, weil sie die vielen Fragen irgendwann leid ist.

      Stattdessen hat sie innerlich getobt, sich äußerlich jedoch bedeckt gehalten. Sie ist lange genug mit ihrem Mann verheiratet um zu wissen, dass Diskussionen zu überhaupt nichts führen. Manchmal helfen nur Taten! Deshalb hat sie konsequent nur das eingepackt, was sie selbst benötigt und zu allem anderen die Meinung gehabt, dass er schließlich erwachsen sei und es ihn als Geschäftsführer eines Familienunternehmens nicht überfordern dürfe, sich selbst um seine Utensilien zu kümmern. Alle anderen Urlaubsvorbereitungen, die sie beide betrafen, hat sie jedoch wohl oder übel in die Hand nehmen müssen und es ärgert sie, dass ihr Mann das als selbstverständlich hinnimmt.

      In solchen Situationen, wo Maik sich um die Verantwortung für gemeinsame Angelegenheiten herumdrückt, ihr alle Aufwände aufdrückt und sich außer für Kritik an ihren Entscheidungen für jeden Handgriff zu schade ist, ertappt sie sich immer häufiger dabei, dass sie sich fragt, ob sie ohne ihn nicht besser dran wäre.

      „Warum bin ich eigentlich noch mit ihm zusammen?“, überlegt sie, als sie die italienischen Alpen langsam hinter sich lassen und in die Po-Ebene eintauchen. „Ist das noch Liebe?“

      Sie schaut verstohlen zu Maik hinüber, der seinen Sitz zurückgestellt und die Augen geschlossen hat. Der Mann, den sie da sieht, ist unzweifelhaft sehr attraktiv, was er leider auch weiß und ab und zu gerne im Beisein von anderen Frauen ausspielt. Die kurzen, dichten braunen Haare, die tiefdunklen braunen Augen, das markante Kinn, der durchtrainierte Körper: Das Alter hat ihm wenig anhaben können. Ganz im Gegenteil, wie Carola zugeben muss. Aber ist das alles, was sie in dieser Beziehung hält?

      Damals, als sie sich kennenlernten, war sie von seinem Aussehen natürlich sehr beeindruckt gewesen. Auch die Tatsache, dass viele Frauen für ihn schwärmten, womit er ganz souverän umging und sich weder einwickeln ließ, noch überheblich agierte, erhöhte seine Attraktivität