Edgar Wallace

Der Teufel von Tidal Basin


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von jemand verhören, der gar kein Recht dazu hat. Sie sind ein schrecklicher Mensch.«

      »So?« Er nickte bedächtig. »Schon möglich. Und ich weiß, daß ich Ihnen gegenüber kein Recht habe, schrecklich oder sonst etwas zu sein. Ich will ja auch nicht fragen, was er Ihnen dafür gegeben hat. Vielleicht irgendeine wertlose Halskette –«

      Sie zuckte zusammen.

      »Woher wissen Sie das? Das heißt, sie ist sehr wertvoll.«

      Er sah sie ernst an.

      »Ich würde diesen Menschen doch erst einmal genau prüfen, Janice.«

      Sie schaute ihm zum erstenmal wieder ins Gesicht und erschrak.

      »Wie meinen Sie denn das? Ich verstehe Sie nicht.«

      Er versuchte zu lächeln, um es ihr möglichst liebenswürdig zu sagen.

      »Sie müssen doch erst Erkundigungen über ihn einziehen. Man prüft doch ein Pferd auch erst, bevor man es kauft.«

      »Aber ich kaufe ihn doch nicht – er ist ein reicher Mann! Er hat zwei Farmen!« sagte sie eisig. »Ihn prüfen! Erkundigungen einziehen! Sie würden natürlich sofort einen Verbrecher in ihm entdecken. Und wenn Sie nichts finden sollten, haben Sie ja genügend Phantasie, um ihm etwas anzudichten! Vielleicht ist er Ihr berühmter Held ›Weißgesicht‹! Der Mann ist doch eine Spezialität von Ihnen, nicht wahr?« Er seufzte, aber er hatte nun wenigstens die Möglichkeit, das unangenehme Thema fallenzulassen.

      »Weißgesicht ist durchaus kein Phantasiegebilde. Er existiert tatsächlich. Fragen Sie nur Gasso.«

      Michael winkte den schlanken Geschäftsführer des Restaurants heran.

      »Ach, Sie meinen Weißgesicht? Ein gemeiner Verbrecher!« sagte der Italiener theatralisch und gestikulierte lebhaft mit den Händen. »Wo bleibt die berühmte Londoner Polizei? Mein armer Freund Bussini ist schwer geschädigt worden. Dieser entsetzliche Mensch hat das ganze Renommee seines Restaurants zerstört!«

      Tatsächlich war Weißgesicht eines Abends zu später Stunde in Bussinis Restaurant aufgetaucht und hatte Miss Angelo Hillingcote, bevor die anderen Gäste etwas merkten, ihren Schmuck abgenommen, der sechstausend Pfund wert war. Die ganze Sache spielte sich in wenigen Sekunden ab. An der Ecke von Leicester Square sah ein Polizist, daß ein Mann auf einem Motorrad vorübersauste. Auch am Embankment wurde bemerkt, daß dasselbe Rad in östlicher Richtung davonfuhr. Das war der dritte und bekannteste Auftritt des Verbrechers im Westen Londons gewesen.

      »Meine Kunden sind nervös geworden – und wer sollte unter solchen Umständen auch nicht nervös werden?« sagte Gasso aufgeregt. »Glücklicherweise sind es gebildete Leute ...« Plötzlich brach er ab und starrte auf den Eingang. »Aber sie hätte wirklich nicht kommen sollen!« schrie er beinahe und eilte zur Tür, um eine Dame zu empfangen, deren Ankunft ihm anscheinend unangenehm war.

      Es war die Filmschauspielerin Dolly de Val, eine blonde Schönheit. Ihre Agenten hatten sie so getauft, weil ihr eigener Name Annie Gootch nicht zugkräftig genug wirkte. Sie spielte nicht gut und war der Schrecken der Regisseure, das Publikum aber liebte sie. Im Laufe der letzten Jahre war sie sehr reich geworden und hatte einen großen Teil ihres Vermögens in Brillantschmuck angelegt. In den elegantesten Nachtklubs von London nannte man sie nur ›Diamantendolly‹.

      Die Besitzer und Geschäftsführer dieser Klubs und Kabaretts wurden nach dem Überfall auf Miss Hillingcote alle nervös, und wenn die Diamantendolly einen Tisch bestellte, läutete der Inhaber des betreffenden Lokals Scotland Yard an. Chefinspektor Mason, der in diesem Fall zuständig war, schickte dann ein paar Detektive in tadellosem Gesellschaftsanzug, die sich nicht von den anderen Gästen unterschieden und an benachbarten Tischen Platz nahmen, um die Kostbarkeiten Dolly de Vals zu bewachen.

      Aber nicht immer war sie so vorsorglich, ihr Erscheinen telefonisch anzumelden. Öfters kam sie in Begleitung netter junger Leute, mit Brillanten behängt, in ein Lokal, und es mußte dann irgendwo ein Tisch provisorisch für sie aufgestellt werden. Auch an diesem Abend hatte sie sich im Howdah-Klub nicht angemeldet, und Gasso war außer sich vor Verzweiflung. Er gestikulierte wild mit den Armen und sprach italienisch, was den Gästen sehr romantisch erschien, da sie nur Englisch verstanden.

      »Was, kein Platz? Machen Sie sich doch nicht lächerlich, Gasso. Natürlich ist Platz da! Es ist ganz gleich, wo für uns gedeckt wird.«

      Es wurde in der Nähe des Eingangs ein Tisch aufgestellt, und die kleine Gesellschaft ließ sich dort nieder. Dolly stellte das Menü zusammen.

      »Es ist mir aber sehr unangenehm, daß Sie hier sitzen müssen«, sagte Gasso ängstlich. »Der prachtvolle Schmuck ... denken Sie doch an Miss Hillingcote ... ach, es ist entsetzlich! Wenn Weißgesicht ...«

      »Aber wie können Sie so unken, Gasso! Halten Sie doch den Mund!« erwiderte Dolly ärgerlich. Dann wandte sie sich dem Oberkellner zu.

      Ein russisches Tanzpaar trat auf, und die Gäste folgten fasziniert den wunderbaren Darbietungen. Schließlich verließen die beiden das Parkett wieder, nachdem sie noch drei Zugaben absolviert hatten. Im gleichen Augenblick hörte Dolly jemand hinter sich sprechen.

      »Verhalten Sie sich ruhig!«

      Sie sah, daß die Gesichter ihrer Begleiter bleich wurden, und sie wandte sich halb in ihrem Stuhl um.

      Der Mann, der hinter ihr stand, trug einen langen, schwarzen Umhang, der fast bis auf die Erde reichte. Eine weiße Stoffmaske verdeckte sein Gesicht.

      In der einen behandschuhten Hand hielt er eine Pistole, die andere streckte er nach ihrem Hals aus. Ein kurzes Knacken, und die Diamantenkette verschwand in seiner Tasche. Dolly war starr vor Furcht.

      Inzwischen wurden die anderen Gäste aufmerksam. Herren sprangen auf, Damen schrien, die Kapelle hörte auf zu spielen.

      »Fangt den Dieb!« schrie jemand.

      Aber Weißgesicht war fort, und die beiden Portiers kamen langsam aus ihren Verstecken hervor.

      »Beunruhigen Sie sich nicht, Janice«, sagte Mike leise, aber eindringlich. »Ich bringe Sie nach Hause, und dann muß ich sofort zu meiner Zeitung. Werden Sie mir bloß nicht ohnmächtig!«

      »Ich denke gar nicht daran, ohnmächtig zu werden«, entgegnete sie trotzig, aber sie war doch sehr verstört.

      Er hatte sie auf die Straße gebracht, bevor die Polizei kam, und hielt ein Taxi für sie an.

      »Es war entsetzlich – wer war das nur?«

      »Ich weiß es nicht«, erwiderte er kurz. »Wie heißt eigentlich Ihr romantischer Liebhaber?« fragte er dann. »Das haben Sie mir noch gar nicht gesagt.«

      Sie war so nervös, daß sie die Fassung verlor.

      Mike Quigley hörte sich ihren Zornesausbruch ruhig an.

      »Ich wette, daß er sehr gut aussieht, wahrscheinlich besser als ich«, meinte er dann gelassen. »Sie sind wirklich töricht, Janice. Aber ich werde ihn schon treffen. Wo wohnt er denn?«

      »Sie werden ihn nicht treffen!« Sie hätte am liebsten geweint. »Ich sage Ihnen nicht, wo er wohnt, und ich hoffe, daß ich Sie niemals wiedersehe!«

      Sie übersah seine Hand und schwieg, als er ihr Gute Nacht wünschte.

      Wütend eilte Mr. Quigley zur Fleet Street und schrieb einen heftigen Artikel über Weißgesicht. Aber all die Angriffe, die darin standen, galten eigentlich dem romantischen Fremden aus Südafrika.

      2

      Janice Harman war eine moderne junge Dame, die die Hemmungen früherer Generationen nicht kannte. Gleich bei der ersten Zusammenkunft hatte sie sich in Donald Bateman verliebt. Seine männliche Erscheinung und sein gutes Aussehen hatten es ihr angetan. Es war ein romantisches Abenteuer für sie, und ihre Phantasie begabte den Geliebten mit allen Tugenden und Vorzügen, die ein Mann nur haben konnte. Seine Bescheidenheit, seine Kraft, sein feiner Humor, seine kindlichen Ansichten über