V. A. Swamp

Sonnig mit heiteren Abschnitten


Скачать книгу

HÄNDE muss ich an Mona denken. SCHÖNSTE HÄNDE fragt mich, ob ich einen Termin will. Ich bin mir nicht sicher, aber ich sage Ja. Dann fühle ich, wie eine bleierne Müdigkeit in meinen Körper Einzug hält. Schlafen, wenn ich Strawinsky treffe, muss ich ausgeruht sein …

      Scheiß Ehrgeiz

      Ich warte auf Strawinsky. SCHÖNSTE HÄNDE nimmt keinerlei Notiz von mir. Ich fühle mich unbehaglich. Das ist normal, ich fühle mich immer unbehaglich, wenn ich nicht weiß, was auf mich zukommt. Plötzlich steht Strawinsky neben mir. Ich habe ihn nicht kommen gehört. Er reicht mir die Hand. Der Händedruck ist fest, aber nicht unfreundlich. Ich hasse es, wenn Leute schon beim Händedruck ihre Überlegenheit beweisen wollen, und dir gefühlt zwanzig Finger brechen. Strawinsky trägt ein braunes Harris Tweed Jackett, ein offenes kariertes Flanellhemd, in welchem die Farben braun und dunkelgrün vorherrschen, eine dunkelgrüne Cordhose und braune Budapester, die Lieblingsschuhe von Mona. Wie komme ich jetzt auf Mona? Wahrscheinlich, weil ihr Hauptbeurteilungskriterium für alle Menschen Schuhe sind. Ich taxiere die Mädchen auch von unten nach oben, bei den Beinen entscheide ich mich gewöhnlich, ob ich weiter gucken will. Schuhe finde ich nicht so interessant.

      Ich schätze Strawinsky auf Anfang Mitte fünfzig. Seine Haare sind längst nicht so grau wie meine und er hat ein fast faltenloses, leicht gebräuntes Gesicht mit zwei dunkelblauen Augen. Ich denke, wenigstens die Augenfarbe ähnelt der meinen. Er macht auf mich den Eindruck eines Mannes, den nichts so schnell aus der Ruhe bringen kann. Vielleicht ist das hier doch die richtige Wahl? In dem Zimmer, in welches er mich führt, steht vor dem schweren Eichenschreibtisch ein Stuhl. Den steuere ich an. Vor den Arztschreibtischen steht immer ein Patientenstuhl, meistens so ein unbequemes Ding. Aber Strawinsky leitet mich zu einer kleinen Sitzgruppe mit zwei Ledersesseln. In der Mitte steht ein kleiner Glastisch. Auf dem Glastisch befindet sich eine Porzellanfigur. Vermutlich ROSENTHAL. Die Figur zeigt einen Leichtathleten. Irgendwo habe ich diese Figur schon einmal gesehen. Wo fällt mir nicht ein.

       Darf ich Ihnen etwas zu trinken anbieten? Keine Sorge, das kommt nicht auf die Rechnung.

      Ich überlege einen Moment, ob das ein Scherz sein soll, und versuche mein Unbehagen durch einen Witz zu entkrampfen.

       Ja gerne, wenn Sie einen Glenfiddich haben. Aber nur den 25-jährigen.

      Ich weiß nur, dass der 25-jährige Glenfiddich Whiskey sehr teuer ist. Getrunken habe ich ihn noch nie. Ich mag überhaupt keinen Whiskey. Strawinsky schaut mich irritiert an, geht aber auf meinen Spruch nicht ein.

       Wir können uns einen Kaffee oder einen Tee bringen lassen. Meine Tochter kocht einen sehr guten Kaffee.

      SCHÖNSTE HÄNDE ist also seine Tochter. Kompliment. Meine Tochter ist nicht so schlank. Wenn man Mona nach dem Grund fragen würde, dann würde sie früher oder später auch das mir in die Schuhe schieben. Ich akzeptiere den Kaffee, obwohl ich das Zeug eigentlich nur morgens zum Frühstück mag.

       Was führt Sie zu mir?

      Gute Frage. Für einen Moment bin ich verunsichert. Was will ich hier? Ich habe keine Depressionen oder Neurosen, jedenfalls keine bewussten. Ich habe auch keine Manie, wie Mona mit ihrem Putzfimmel. Aber vielleicht ist das genau mein Problem, dass ich meine Probleme nicht kenne?

       Ich kann mein Leben nicht mehr steuern. Meine Antriebswelle funktioniert nicht und ein Steuer gibt es nicht mehr. Ich treibe wie ein Stück Totholz in einem reißenden Fluss. Ich weiß nicht, wo das Ganze hinführt. Ich habe keinerlei Ziele mehr.

      Ich höre die Worte aus meinem Mund herausfließen, aber das können nicht meine Worte gewesen sein. Nein, ich kann doch nicht glauben, mit diesem Schwachsinn hier ernst genommen zu werden. Aber ich will Strawinsky nicht sagen, was mich wirklich bewegt. Dass ich nicht mehr weiter weiß mit Mona. Dass ich mich nach ihr sehne, dass es wehtut, und dass ich fürchte, dass unsere Erfolgsgeschichte nunmehr endgültig gescheitert ist. Dass es mit unserer Liebe zu Ende ist. Strawinsky schaut mich an.

       Ihre Antriebswelle funktioniert nicht und Sie fühlen sich wie ein Stück Totholz in einem reißenden Fluss?

      Ich weiß, dass er mich jetzt unter einem Vorwand hinaus komplementieren und SCHÖNSTE HÄNDE bitten wird, mich nicht mehr zu ihm zu lassen. SCHÖNSTE HÄNDE kommt rein und serviert den Kaffee. Ich lasse die Tasse unberührt. Ich bin nicht zum Kaffeetrinken hierher gekommen.

       Sie scheinen angespannt zu sein. Vielleicht ist Kaffee doch nicht das Richtige?

      Ich antworte Strawinsky nicht. Was soll ich ihm auch sagen? Er erwartet offensichtlich auch keine Antwort und führt mich zu einer großen dunkelbraunen Lederliege. Die Liege hat ein hoch gestelltes Kopfteil. Das ist gut. Eine flache Liege verursacht mir beim Aufstehen Kreislaufprobleme. Vermutlich immer noch die Spätfolgen des Unfalls.

       Bitte machen Sie es sich bequem.

      Bequem? Ich fühle mich verdammt unbehaglich! Trotzdem lege ich mich auf die Liege.

       Ist das gut so? Wollen Sie noch ein Kissen.

       Ein Kissen wäre gut.

      Strawinsky schiebt mir ein relativ hartes Lederkissen unter den Kopf.

       So besser?

      Eigentlich nicht, aber ich lasse Strawinsky in dem Glauben, mir jetzt eine komfortable Liegeposition verschafft zu haben. Strawinsky setzt sich außerhalb meines Gesichtskreises. Seine Stimme dringt klar und deutlich zu mir.

       Ich bitte Sie, mir etwas von sich zu erzählen. Bitte fangen Sie an.

      Anfangen, mit was? Ich dachte immer, man bekommt bestimmte Aufgaben bei diesen Psychiatern. Einen Rohrschach-Test zum Beispiel. Man legt sein Seelenleben in einen von diesen Tintenklecksen und unmittelbar danach ist alles klar. Man ist tatsächlich verrückt, oder so was. Stattdessen frage ich Strawinsky, womit ich anfangen soll.

       Was sind Sie für ein Jahrgang? An was können Sie sich aus Ihrer Kindheit erinnern?

      Ich überlege. Ist das hier zielführend?

       Ich bin Jahrgang 43, ein Kriegskind.

       In welchem Monat sind Sie geboren?

      Er fängt jetzt hoffentlich nicht mit diesem Astrologie-Quatsch an, denke ich.

       Im Oktober am 31. Am Reformationstag und dazu noch in Eisenach. Hat aber nicht viel gebracht, zu Luther und seiner Kirche habe ich nie Zugang gefunden.

      Ich rechne nach. Gezeugt wurde ich vermutlich Ende Januar 1943. Da hatte mein Vater wahrscheinlich Heimaturlaub. Meine Mutter hat mir nie erzählt, warum sie ausgerechnet in diesen Zeiten, wo alles um sie herum in Trümmern fiel, ein Kind haben musste. Ich glaube nicht, dass ich bewusst geplant war. Wahrscheinlich hatten sie kein Präservativ zur Hand und die Pille gab es auch noch nicht. Vielleicht war aber auch der kalte Januar schuld und das Heizmaterial war knapp. Da musste man zwangsläufig mehr Zeit im Bett verbringen. Möglich ist aber auch, dass mein Vater seinen Heimaturlaub nutzte, um meine Mutter einmal richtig durchzuvögeln. Ich weiß es nicht. Denkbar ist auch, dass die beiden sich damals noch liebten. Nach dem Krieg war es definitiv vorbei mit der Liebe.

       In Eisenach also, in Thüringen. Ist das der Wohnort Ihrer Eltern?

       Nein, meine Eltern kommen aus Wuppertal. Die Stadt mit der Schwebebahn.

       Wie kamen Sie mit Ihrer Mutter nach Thüringen?

       Sie wurde dorthin als Schwangere evakuiert.

      Im Krieg sorgten die Nazis dafür, dass ihre Brut nicht bereits vor ihrem geplanten Einsatz kaputt ging. Ich weiß nicht, ob meine Mutter eine Wahl hatte, als man sie nach Thüringen evakuierte. Evakuieren in kriegsferne Gebiete, das machte man damals so mit Schwangeren und Müttern mit Kleinkindern. Ich glaube auch mit Schulkindern.