Dieter Eppler

Blindflug Abu Dhabi


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      Dieter Eppler

      Blindflug Abu Dhabi

      Mein Leben nach dem Swissair Grounding

      Impressum

      Blindflug Abu Dhabi

      Dieter Eppler

      Published by: epubli GmbH, Berlin

      www.epubli.de

      E-Book-Produktion: melle newMedia, Potsdam

      www.dipub.de

      Copyright © 2013 Dieter Eppler

      ISBN 978-3-8442-5228-6

      Erinnerung ist nur eine Reifenspur im Sand,

      der Wind weht sie zu und oft viel zu früh,

      hat man’s nicht mehr in der Hand

      Rainhard Fendrich, aus «Tränen trocknen schnell»

      Wie alles begann, 2001

      Das Telefon klingelt. Viel zu früh, denke ich, ohne genau zu wissen, wie spät es ist. Noch immer steckt die Müdigkeit der vor einem Tag abgeschlossenen Nordatlantik-Rotation in meinen Gliedern. Durch die Vorhänge unseres Schlafzimmers dringen frühmorgendliche Sonnenstrahlen und werfen ein mattes Licht in den Raum. Die Nacht schleicht sich langsam davon. Noch immer klingelt das Telefon. Ich grabe meinen Kopf ins Kissen und versuche, den Lärm zu ignorieren.

      «Warum geht denn keiner ran?», denke ich entnervt.

      Meine Frau Franziska ist bereits aufgestanden, die Kinder müssen in die Schule. Oder sind sie vielleicht alle schon aus dem Haus? Wie spät ist es eigentlich?

      Ein erneutes Abtauchen ins Traumland wird unmöglich. Der oder die Anruferin kennt keine Gnade.

      «Halloo …?», melde ich mich verschlafen.

      «Dieter, hast du gehört, was passiert ist?» Die aufgeregte Stimme unserer Nachbarin reisst mich vollends aus der Dämmerung. Als ehemalige Flight Attendant der Swissair ist Bettina mit der Fliegerei noch immer eng verbunden.

      «Der 111er ist abgestürzt!»

      Sofort bin ich hellwach. «Was? Wo – und wann?»

      «In der Nähe von Halifax, heute Nacht! Die Ursache ist unbekannt.»

      «Und was ist mit der Crew und den Passagieren?», erkundige ich mich.

      «Auch das ist ungewiss, auf jeden Fall wurden noch keine Überlebenden gefunden», entgegnet Bettina mit gepresster Stimme.

      Ich springe aus dem Bett, haste die Treppe hinunter ins Wohnzimmer, wo ich sofort den Fernseher einschalte. CNN berichtet live. Bilder der Nacht, unruhige, aufgewühlte Wasser vor der Küste Neuschottlands. Der Leuchtturm von Peggy’s Cove, Rettungsboote mit Suchscheinwerfern, Fischkutter, Kleidungsstücke, ein leerer Crewbag. Zeugen und Reporter in nass-glänzenden Regenjacken, die ihre Statements in ein Gewühl von Mikrofonen abgeben.

      Ein Swissair-Wrack im Fokus der Medien. Bilder der Verwüstung. Ich muss sofort wissen, wer im Cockpit sass, denn ich habe gute Freunde, die den MD11 fliegen. Wo mögen sie jetzt gerade stecken? Ich logge ins Intranet ein, doch der Zugang zur Besatzungsliste des abgestürzten Fluges ist gesperrt. Wieder klingelt das Telefon. Es ist eine Freundin, die sich nach mir erkundigt. Sie hat vom Absturz gehört und beginnt, als sie meine Stimme hört, vor Erleichterung zu schluchzen. Das Telefon wird an diesem Tag noch viele Male läuten.

      Franziska kommt ins Wohnzimmer und setzt sich, wie in Trance, zu mir. Fassungslos starren wir auf den Bildschirm und folgen einer Berichterstattung, die wenig Hoffnung lässt. Spekulationen und Fragen wechseln mit Momenten des Schweigens. Leider holen unsere Mutmassungen über die Ereignisse dieser Nacht die Toten nicht mehr ins Leben zurück.

      Das war vor zwölf Jahren. Mittlerweile ist viel passiert. Nie hätte ich an jenem Morgen gedacht, dass dieser Absturz der Beginn einer Ereigniskette sein könnte, die uns dereinst vom Zürcher Unterland in die Arabische Wüste vertreibt. Geschweige denn, dass die Swissair, unser aller Stolz, in wenigen Jahren einen Kollaps erleiden und in ihrem vollen Flottenumfang am Boden stehen würde.

      Wie hinter dumpfem Milchglas verschwimmen die Erinnerungen an den langsamen Untergang der Swissair. Dazu zählt der MD11-Absturz von Halifax ebenso wie die Al-Kaida-Anschläge auf die USA vom September 2001. In Manhattan implodieren die beiden Türme des New Yorker World Trade Centers, und mit ihnen auch das Selbstverständnis der US-Politik und der Weltwirtschaft. Zumindest für kurze Zeit.

      Auch an diesem frühen Nachmittag des 11. September ist es unsere Nachbarin Bettina, die mich mit aufgeregter Stimme auffordert, den Fernseher einzuschalten. In New York sei ein Sportflugzeug in einen der beiden Zwillingstürme gerast. Die gezeigten Bilder verwirren und erschrecken zugleich. «Diese monumentale schwarze Rauchsäule, das kann kein Sportflugzeug sein», denke ich. Dann donnert die zweite Maschine ins Wahrzeichen des New Yorker Finanzdistrikts. Ich glaube nicht, was ich sehe! Am helllichten Tag und vor den Augen der ganzen Welt – ein Passagierflugzeug, das, scheinbar kontrolliert, in den Südturm des World Trade Centers rast.

      Der Fernseher läuft den ganzen Tag, die Berichterstattung hält mich in ihrem Bann. Am Abend treffe ich mich mit Mario, einem Pilotenfreund, zum Eishockeyspiel der Kloten Flyers.

      Doch das Geschehen auf dem Eis ist Nebensache. Gemeinsam versuchen wir, die Ereignisse dieses Tages einzuordnen, zu begreifen und auf unsere Weise zu verarbeiten. Welche Folgen der jüngste Terroranschlag für die Swissair und die Fliegerei insgesamt haben wird, darüber können wir nur mutmassen. Die zivile Luftfahrt wird sich verändern. Das Ausmass ist uns an diesem Abend allerdings noch keineswegs bewusst.

      Bevor das Eishockeyspiel beginnt, verliest der Stadionsprecher eine Erklärung, in der die Verantwortlichen des Clubs diesen terroristischen Akt hart verurteilen. Dann wird der Puck eingeworfen.

      Die Flyers erweisen sich als Überflieger und besiegen die Gäs­te aus Langnau mit 6:2. Im Gegensatz dazu stehen die Vorzeichen für ihren Hauptsponsor nicht mehr so günstig: Die Luft unter den Flügeln der Swissair ist mit einem Mal erschreckend dünn geworden. Der Sprit sollte nicht einmal mehr für eine kontrollierte Notlandung reichen.

      Der 2. Oktober 2001 ist ein herrlicher Spätsommertag. Ich bin in besonderer Mission auf dem Zürichsee unterwegs. Unser Sohn Tim weilt in Uerikon im Klassenlager; sein Lehrer hat mich gebeten, die Fünftklässler auf dem Wasserweg nach Rapperswil zu überführen. Da unser Boot über eher bescheidene Dimensionen verfügt und nicht einmal als Rettungsgondel auf der Titanic durchgegangen wäre, muss ich die Schüler in mehreren Fahrten übersetzen. Der See ist an diesem Dienstagmorgen wenig frequentiert, die Oberfläche spiegelglatt. Wesentlich aufgewühlter dagegen fühlt sich mein Innenleben an. Die Gedanken kreisen unentwegt um die Pressekonferenz des Vorabends, an der die Bankenchefs von UBS und CS, zusammen mit Mario Corti, André Dose und Moritz Suter, über die Zukunft der Swissair informierten. Es fällt mir schwer, die Konsequenzen der teilweise kontroversen Äusserungen abzuschätzen. Nicht zuletzt deswegen, weil mein Vertrauen in gewisse Herren, denen die Hidden Agenda aus der zu klein gewordenen, schlecht sitzenden Jackentasche quillt, massiv angeschlagen ist.

      Selbst mit der geschliffensten Rhetorik gelingt es ihnen kaum noch, ihr tückisches Spiel zu verbergen.

      Während ich im Hafen von Rapperswil, beim Warten auf den Startschuss zum Klassentransport, den Bug meines Privatkreuzers poliere, reisst mich das Klingeln des Handys aus meinen Grübeleien. Das Display zeigt die Nummer meines Bruders Urs, der sich beruflich im engen Umfeld des Schweizer Fern­sehens bewegt.

      «Soeben wurde in London eine Swissair-Maschine am Wegflug gehindert», lässt er mich wissen. «Das gleiche Schicksal dürfte auch anderen Flugzeugen widerfahren, offenbar kann die Swissair den Sprit nicht mehr bezahlen.»

      Ich bin erstaunt. Von blockierten Flugzeugen war gestern an der Pressekonferenz nie die Rede. Die Schilderung meines Bruders sowie seine düstere Prognose versetzen – trotz niederen Wellengangs – mein berufliches Selbstverständnis ins Wanken.

      «Meine Airline, am Rande des Abgrunds!»

      Was