Ana Dee

Zwillingsschmerz


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der Zeit schwächer und die Flucht höchstwahrscheinlich nicht durchhalten. Egal wie ich es auch drehe und wende, wir sind die Verlierer ... und unsere Kinder.“

      Enttäuscht sah Lene ihre beste Freundin an. „Bitte, lass es uns trotzdem versuchen“, bat sie flüsternd.

      Die Zimmertür wurde schwungvoll aufgestoßen. „Auf der Krankenstation sind Kaffeekränzchen verboten.“ Schwester Mareike schob ihren fülligen Körper in das Zimmer. „Was glotzt ihr so? Irgendwann seht ihr genauso aus, wenn ihr die endlosen Hormonbehandlungen hinter euch gebracht habt.“

      Lisa erhob sich. „Du bist eine von uns?“, fragte sie erstaunt.

      „Was dachtest du denn? Notendurchschnitt ausgezeichnet“, antwortete Mareike voller Stolz.

      „Wie viele Kinder hast du denn zur Welt gebracht?“

      Lene verfolgte das Gespräch mit Argusaugen, denn Lisa schien mit Bedacht die Fragen zu stellen.

      „Vier Zwillingspärchen, danach wollte mein Körper einfach nicht mehr.“ Beschämt senkte sie ihren Blick.

      Lisa legte tröstend ihre Hand auf Mareikes Schulter. „Das tut mir ausgesprochen leid. Was passiert eigentlich mit uns, wenn der Kindersegen ausbleibt?“

      „Du wirst nach deinen Fähigkeiten ausgebildet und unterstützt unsere kleine Kolonie. Wenn du engagierst genug bist, kannst du dir die Stationen sogar aussuchen.“

      „Aber warum bist du dann hier und nicht bei deinen Kindern?“

      Zu spät bemerkte Lisa ihren Fehler. Mit dieser Frage war sie eindeutig über das Ziel hinausgeschossen. Mareikes Miene wurde undurchdringlich und sie ging sofort auf Abstand.

      „Hiermit ist die Fragestunde beendet. Sieh zu Lisa, dass du in deinen Wohnbereich kommst, sonst melde ich dich.“ Dann richtete sie ihr Wort an Lene und säuselte verschnupft. „Und für deine Gesundheit wäre es sehr förderlich, wenn du noch ein wenig schlafen würdest.“ Verärgert stapfte sie aus dem Zimmer.

      Kapitel 6

      Erschöpft betrat Ivette ihr kleines Reich und kickte die Schuhe in eine Ecke. Nachdem sie die Rollläden heruntergelassen hatte, setzte sie sich leise seufzend in den Sessel und rieb sich müde über die Augen. Dass ihre neue Arbeitsstelle als Krankenschwester so anstrengend werden würde, hatte sie nicht erwartet. Sie war einiges gewohnt, aber das war ihr eine Nummer zu groß.

      Warum in Herrgotts Namen hatte sie nur diesen vermaledeiten Vertrag unterschrieben?

      „Weil du sonst das Haus verloren hättest und auf der Straße gelandet wärst?“ meldete sich eine zynische Stimme in ihrem Hinterkopf.

      Am liebsten wäre sie aufgesprungen und hätte die Vase vom Wohnzimmertisch schwungvoll an die Wand gepfeffert, doch dazu fehlte ihr die nötige Kraft.

      Die Kleine von der Krankenstation hatte ihr so unendlich leidgetan. Gleich an ihrem ersten Arbeitstag hatte sie mit ansehen müssen, wie das Mädchen gegen seinen Willen in den Operationssaal geschoben wurde. Sie hatte einen Vertrag mit dem Teufel unterzeichnet, daran gab es nichts zu rütteln.

      Nachdenklich lehnte sie sich zurück. Warum hatte sie nicht eher die Reißleine gezogen und das Haus verkauft? Sie schämte sich und Jörg würde sich wahrscheinlich im Grabe herumdrehen, wenn er davon wüsste. Mit Wehmut dachte sie an ihre Ehe zurück.

      Ivette hatte Jörg in einem Rostocker Nachtclub kennen und lieben gelernt. Wenig Romantik, aber dafür viel Leidenschaft hatte sie anfangs verbunden. Nach nur einem Jahr kam Jörg mit Bauplänen in der Hand auf sie zu. Er hätte in seinem Heimatort Binz ein Grundstück gekauft und es wäre allmählich an der Zeit, Nägel mit Köpfen zu machen.

      Ivette wollte daraufhin ihren aufreibenden Job an den Nagel hängen, um mit Jörg eine Familie zu gründen, doch dann überschlugen sich die Ereignisse. Durch einen verhängnisvollen Unfall wurde alles, das sie sich gemeinsam aufgebaut hatten, zunichte gemacht.

      Ein Zehntonner war ohne zu blinken auf der Autobahn ausgeschert und dieses äußerst riskante Überholmanöver hatte Jörg das Leben gekostet. Er wurde in seinem Firmenwagen regelrecht zermalmt und war auf der Stelle tot.

      Ivette hatte gerade ihre neue Stelle im Binzer Krankenhaus angetreten, als die Katastrophe über sie hereinbrach. Jörgs Tod konnte sie nur schwer verkraften, es war einfach nicht mehr dasselbe. Sie hatte lange Zeit Trost gesucht, aber keinen gefunden.

      „Ivette, du bist doch noch so jung, du musst wieder nach vorn schauen.“

      „Lass dich nicht so hängen, du verliebst dich sicher wieder neu.“

      Sogar ihre Mutter hatte in diesen Chor mit eingestimmt. Aber Ivette hatte nichts davon hören wollen und war immer tiefer abgerutscht. Die Summe, durch ihren Kaufrausch verursacht, ließ sie leise aufstöhnen. Dreißigtausend Euro.

      Sie fragte sich noch heut, wieso ihr die Banken überhaupt Kredite gewährt hatten, wo doch so offensichtlich war, dass mit ihr etwas nicht stimmte. Wahrscheinlich hatten diese Finanzhaie auf das wertvolle Grundstück und ihr vorhersehbares Versagen spekuliert. Irgendwann gingen bei ihrem Arbeitgeber die Pfändungen ein und Ivette erhielt die fristlose Kündigung. Die Banken hatten gewonnen.

      Doch dann erhielt sie einen merkwürdigen Anruf, der ihr Leben von Grund auf verändern sollte. Sie unterschrieb den Vertrag mit einer Verschwiegenheitsklausel, die es in sich hatte. Dafür wurden all ihre Schulden auf einen Schlag getilgt und sie durfte im Gegenzug ihren neuen Job antreten.

      Sie erhob sich und wankte in die Küche, wo sie sich ein Glas Wein einschenkte und es in einem Zug hinunterstürzte. Wenn das so weiterging, fing sie wahrscheinlich auch noch mit dem Trinken an. Eine Sucht löste quasi die nächste ab.

      Im Badezimmer ließ sie sich ein Wannenbad ein und versank im Schaum. Das Lavendelöl duftete angenehm und die Wärme lullte sie ein.

      Bevor sie Jörg kennengelernt hatte, war sie im Rostocker Kinderwunschzentrum angestellt. Sie hatte bei der künstlichen Befruchtung assistiert und die Paare betreut. Im Prinzip der gleiche Ablauf, nur dass es jetzt keine Paare gab, sondern junge Mädchen. Das Monatsgehalt war für diese Region ausgesprochen großzügig und sie könnte sich sogar die eine oder andere Shoppingtour leisten, wenn sie es denn weiterhin gewollt hätte.

      All ihre Sorgen hatten sich in Luft aufgelöst und trotzdem ahnte sie, dass sie auf einem Pulverfass saß. Seit sie diesen Arbeitsvertrag unterschrieben hatte, fühlte sie sich bei jedem ihrer Schritte beobachtet.

      Wie gern hätte sie mit Jörg darüber gesprochen, sich ihm anvertraut. Aber das Schicksal hatte ja seine eigenen Pläne. Sie lachte verbittert auf. Sie hatte früher Paaren zu ihrem Kinderwunsch verholfen, doch ihr selbst war dieses Glück verwehrt geblieben.

      Sie hing an diesem Häuschen, Jörg hatte so viel Zeit und Energie in den Bau gesteckt. Egal was das Leben noch mit ihr vorhatte, sie musste sich jetzt zusammenreißen und das Beste daraus machen, Witwe hin oder her.

      Kapitel 7

      Marlene steuerte fahrig ihren Wagen durch die Innenstadt. Den Kredit hatte sie an Land ziehen können und jetzt hoffte sie inständig, dass ihre Finanzen ausreichten, um den Privatdetektiv angemessen zu entlohnen.

      Noch nie in ihrem Leben war sie so durcheinander gewesen, wie in diesem Augenblick. Was würde er ihr am Ende des Gespräches mitteilen? Dass es Sinn machte, nach Marie zu suchen, oder würde er all ihre Hoffnungen zerstören?

      Mia hatte fest versprochen, Frank nichts davon zu erzählen. Auf weitere Meinungsverschiedenheiten mit ihm konnte sie getrost verzichten.

      Sie quetschte den Wagen in eine Parklücke und stieg aus. Es war ein wunderbarer Sommertag und die Sonne strahlte vom Himmel. Das musste einfach ein gutes Omen sein. Sie setzte die Sonnenbrille auf, hängte die Tasche über ihre Schulter und lief los. Der Detektiv hatte ein Treffen auf neutralem Boden vorgeschlagen und der Park war ihre erste Wahl gewesen.