Cristina Fabry

Rache für Dina


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zwei anständige Kinder groß, die genauso mittelmäßig sind wie wir. Da wir im gleichen beruflichen Umfeld unterwegs sind, wird uns auch nie der Gesprächsstoff ausgehen und mit dem Segen unseres Herrn Jesus Christus hat unsere Ehe eine sichere Basis. Ist das nicht praktisch? Wir werden uns zwar zu Tode langweilen, aber sterben müssen wir am Ende ja doch irgendwie.“

      Wortlos schüttelte Kai-Uwe den Kopf.

      „So“, fuhr Kathi fort, „und jetzt kümmerst du dich um deine eigenen Probleme, schließlich haben wir eine Arbeitsbeziehung; oder sollen wir die Promiskuität deiner Gattin und die Drogenprobleme deiner Kinder betrachten?“

      „Schon gut.“, antwortete Kai-Uwe grinsend. „Du bist erwachsen.“

      Hilke Sander und Jens Carstensen traten ein und begrüßten die Anwesenden.

      „Kommt Paul-Gerhard noch?“, fragte Hilke.

      „Wieso das denn?“, fragte Katharina erstaunt. „Der fährt doch nicht mit und außerdem hat der, glaube ich, genug um die Ohren. In Ober- und Unterlübbe ist fast täglich irgendein Gemeindeevent, die Kinder fangen an, zu pubertieren und seine Frau ist ziemlich anstrengend.“

      „Anstrengend für dich oder für ihn?“, fragte Jens

      „Ich denke, sowohl als auch.“;antwortete Katharina. „Sie ist so eine moralinsaure Edelöko-Schnecke, bei der immer alle unbedingt alles richtig machen müssen. Sie hat Paul-Gerhard mal total zusammengefaltet, weil er seiner Tochter bei einem Ausflug nach Bielefeld gestattet hat, bei H&M einzukaufen. Signora Solms bestellt nur bei Hess Natur und kann auch überhaupt nicht verstehen, warum das nicht alle machen. Mit der gleichen lustfeindlichen Leidenschaft streitet sie auch für politische Gottesdienste, Waldkindergärten und gesunde Ernährung. Und Paul-Gerhard hat Magengeschwüre.“

      „Willst du ihn übernehmen?“, fragte Kai-Uwe grinsend.

      „Was übernehmen?“, fragte Katharina

      „Na, Paul-Gerhard.“, antwortete Kai-Uwe. „Falls ihn seine Frau verlässt, oder er sie.“

      Katharina beugte sich vor und sah Kai-Uwe fest in die Augen, als sie antwortete: „Kehrer, irgendwann tu ich dir noch mal was in den Kaffee.“

      Als das allgemeine Gelächter sich gelegt hatte, schlug Hilke vor: „Wenn Paul-Gerhard nicht mehr kommt, sollten wir jetzt mal anfangen. Ich habe heute noch viel vor.“

      „Ich auch.“, stöhnte Katharina und die Männer bekundeten mit eifrigem Nicken, dass sie ebenfalls von hoher Arbeitsbelastung betroffen waren.

      Es ging um eine bevorstehende Mitarbeiter-Schulung des Kirchenkreises für Ehrenamtliche. In einem aktionsgeladenen Planspiel sollten die Mitarbeitenden erfahren, wie notwendig Zeitmanagement und Selbstorganisation sind und wie so etwas funktioniert. Diese Lerninhalte wurden in der Ausschreibung allerdings verschwiegen. „Good Game Empire – ein virtuelles Spiel zum Anfassen“; das Programm stand bereits, Anmeldungen lagen ausreichend vor, nun ging es nur noch um die letzten inhaltlichen Absprachen und organisatorischen Detailfragen. Nach 1 ½ Stunden war alles besprochen. Auf Kai-Uwes Schreibtisch lag das Lokalblatt. „Mordfall Volkmann – Polizei tappt immer noch im Dunkeln.“

      Katharina erblickte die Schlagzeile und fragte Kai-Uwe. „Na, du bist doch häufig hier im Haus, vielleicht hast du ja das eine oder andere mitgekriegt.“

      „Spielst du jetzt Miss Marple?“

      „Klar. Bei meinen schlechten Aussichten auf eine erfüllte Partnerschaft muss ich mich schon mal auf die Ereignislosigkeit des Alters einrichten. Aber wenn ich als Seniorin Morde aufklären will, muss ich jetzt schon üben. Im Alter lernt man sowas nicht mehr.“, erklärte Katharina.

      „Und wer wird Mister Stringer?“, fragte Kai-Uwe schelmisch.

      „Du natürlich.“, antwortete Katharina. „Du mischt dich doch jetzt schon so beharrlich in mein Leben ein.“

      Kai-Uwe blickte Katharina ernst und betroffen in die Augen, so als habe sie ihm gerade offenbart, dass sie schon seit langem unsterblich in ihn verliebt sei. Und jetzt musste er einen Weg finden, klar, ehrlich und gleichzeitig einfühlsam damit umzugehen. Katharina begriff, was in Kai-Uwes Kopf vorging und stöhnte auf. „Kehrer“, stieß sie hervor, „Mach dir bloß keinen Kopf! Ich steh' nicht auf zwanghafte Charakterneurotiker. Du bist mir zu akkurat und viel zu anstrengend. Ich werde dich ganz bestimmt niemals mit Liebesschwüren belästigen, zumindest nicht in diesem Leben.“

      Kai-Uwe lächelte. „Meinst du nicht vielleicht, dass James Bond auch ein Zwangsneurotiker ist?“

      „Welche Charakterneurose schreibst du ihm denn zu?“

      „Er muss immer gewinnen.“

      „Aber wollen wir das nicht alle?“

      „Aber wie weit sind wir bereit, dafür zu gehen?“, fragte Kai-Uwe.

      Katharina senkte den Kopf, blickte aus dieser Position mit irrem Ausdruck nach oben und sprach mit Reibeisenstimme: „ Zur Not rammen wir unserem Feind ein Messer in den Rücken und verstümmeln seine Genitalien.“ Sie räusperte sich und sagte: „Ich muss los. Mach's gut, Kehrer, armer Irrer.“

      „Tschüss Kathi.“, antwortete der und sie verschwand Richtung Parkplatz.

      Der Montag war kein schöner Tag. Heute traf sich der Vorbereitungskreis der sogenannten „Adonight“ in Hille. Der Begriff setzte sich zusammen aus den englischen Begriffen „to adore“, was „anbeten“ bedeutet und „night“; also Anbetungsnacht. Das es außerdem phonetisch an den hebräischen Gottesnamen „Adonai“ erinnert, der so viel bedeutet wie „unser Höchster“, ist möglicherweise nicht dem Zufall geschuldet. Die „Adonight“ war ein monatlich stattfindender Spätgottesdienst mit haufenweise Lobpreisgesang, liturgischen Elementen und der obligatorischen Predigt. Die Kirche wurde in warmes Licht getaucht und das Team dachte dich jedes Mal andere Wohlfühlelemente aus, die den jugendlichen Besuchern Gottesnähe und Geborgenheit suggerieren sollten. Wegen der stimmungsaufhellenden Wirkung fand die Veranstaltung regen Zuspruch bei der Jugend und manchmal dachte Katharina darüber nach, ob sie sich nicht bei der Dorgenberatungsstelle bewerben sollte mit der Spezialisierung auf spirituelle Süchte. Sie musste diese Veranstaltungen mittragen, obwohl sie zutiefst ihrer Überzeugung widersprachen. „Was für eine Generation züchten wir damit heran?“, fragte sie sich. „Lauter Irre auf der Suche nach Dauererbauung. Und irgendwann laufen sie dann Amok. Vielleicht war ja auch so ein Lobpreis-verseuchter Jugendlicher Volkmanns Killer. Volkmann hatte mit seiner nüchternen Theologie die erweckungsbewegten Umtriebe in seinem Kirchenkreis eher ignoriert als gefördert. Wenn in den USA durchgeknallte Evangelikale Gynäkologen erschossen, weil diese Schwangerschaftsabbrüche vornahmen, warum sollte dann nicht auch ein pickliger, ostwestfälischer Teenager mit Religionspsychose einen biblisch begründeten Rachemord am vermeintlichen Feind der geliebten Kinder Gottes begehen?

      Sie wurde jäh aus ihren Gedanken gerissen, als sie auf einer entfernt liegenden Ecke des Parkplatzes Paul-Gerhard Solms aus dem Wagen steigen sah. Entweder hatte er sie noch nicht erblickt oder er ignorierte sie. Er wirkte fahrig und zerstreut, die angegrauten Haare standen wild vom Kopf ab, der Blick war unstet und gedankenverloren. Er schloss den Wagen ab, machte einen Schritt, hielt abrupt inne, drehte sich um, öffnete den Wagen wieder, kramte auf dem Beifahrersitz herum, steckte etwas in seine Tasche, schloss wieder ab und ging im Stechschritt auf das Kreiskirchenamt zu, ohne Katharina auch nur eines Blickes zu würdigen.

      „Du stehst ja mal wieder mächtig unter Druck.“, murmelte sie und schloss den Wagen auf.

      Sie genoss die Heimfahrt, sobald sie die verkehrsreichen Stadtgebiete hinter sich gelassen hatte. Die lange Straße durch Holzhausen wand sich in sanften Kurven abwechselnd durch offene Wiesen und frei stehende Häuser, darunter viele Höfe mit prachtvollen, alten Baumbeständen, Pferdekoppeln oder frei laufenden Hühnern, aber auch schäbige kleine Industrieruinen und einfallslose Zweckneubauten. Man konnte ruhig bei Tempo 60 dahingleiten und nur selten bewegte sich etwas.

      Als sie das wunderschöne Holzhauser Pfarrhaus aus roten Ziegeln inmitten eines großflächigen