Cristina Fabry

Rache für Dina


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Frühstück gemacht und die Zeitung herein geholt.“

      „Haben Sie beim Hereinholen der Zeitung irgend etwas Außergewöhnliches beobachtet?“

      Sie schüttelte den Kopf. „Nein.“, sagte sie. „ich habe allerdings auch nicht auf die Umgebung geachtet. Das mit der Zeitung ist ja auch nur ein Handgriff und ich stehe nicht minutenlang im Morgenrock in der offenen Haustür, wie sie sicher verstehen werden.“

      „Natürlich.“, bestätigte Keller sie.

      „Gegen zwanzig nach sieben kam mein Mann aus dem Bad und wir frühstückten. Dabei haben wir Zeitung gelesen. Er liest zuerst den überregionalen Teil und ich den Lokalteil, dann tauschen wir. Es stand heute nichts Besonderes drin und wir haben uns über Belanglosigkeiten unterhalten, Europas Königshäuser, davon war die Klatschspalte heute voll.“

      „Hat Ihr Mann erwähnt, ob er heute ein wichtiges Gespräch hatte?“

      „Heute Nachmittag sollte er zu einem Gespräch mit der Mitarbeitervertretung erscheinen. Irgendeine Personalangelegenheit. Es war ihm lästig, aber er hat sich nicht näher dazu geäußert.“

      „Noch etwas?“, fragte Keller, der sich bereits eifrig Notizen machte.

      Frau Volkmann überlegte. „Nein, wir sprachen nur über den am Wochenende anstehenden Besuch unserer Tochter.“ Sie schluchzte auf und stieß kaum verständlich unter Tränen hervor: „Wie soll ich ihr nur beibringen, dass ihr Vater tot ist? Ermordet!“

      Keller schwieg betroffen, reichte Frau Volkmann ein weiteres Taschentuch und wartete, bis sie sich einigermaßen beruhigt hatte. Dann fragte er: „Lebt Ihre Tochter nicht mehr bei Ihnen?“

      „Nein, sie studiert seit zwei Jahren Kunstgeschichte in München. Wir sehen uns daher nur selten. Zuletzt war sie über Weihnachten bei uns und wir haben sie an einem Wochenende im Februar besucht.“

      „Worüber haben Sie beim Frühstück noch gesprochen?“, fragte Keller.

      „Nichts weiter“, antwortete Frau Volkmann. „Mein Mann hat sich zuende angezogen, seine Unterlagen zusammen gesucht und gegen 8.15 Uhr das Haus verlassen.“

      „Haben Sie ihn noch zur Tür begleitet?“

      „Nein, ich war im Bad. Danach habe ich die Küche aufgeräumt, eine Maschine Wäsche eingesteckt und dann war ich zum Einkaufen im großen Supermarkt an der Königstraße.“

      „Wann war das ungefähr?“

      „So zwischen 9.30 Uhr und 11.00 Uhr.“

      Haben Sie im Supermarkt jemanden getroffen?“

      „Nein. Wieso? Was hat das denn mit dem Mord an meinem Mann zu tun?“

      „Reine Routinefrage. Was taten Sie, als Sie wieder hier waren?“

      Ich habe den Einkauf ausgepackt und bin dann angefangen, unseren Kleiderschrank gründlich auszumisten. Ich war noch dabei, als Sie klingelten.“

      „Verstehe“, erwiderte Keller. „Frau Volkmann, hatte Ihr Mann irgendwelche Feinde?“

      „Ach, wissen Sie“, antwortete sie, „als Vorgesetzter tritt man immer irgendwem auf den Schlips. Es gab viele Konflikte – schon bevor er Superintendent wurde – aber natürlich viel mehr, seit er im Amt ist. Es gibt Pfarrer, denen sein Führungsstil nicht gefällt, andere kritisieren seine theologische Ausrichtung in aller Schärfe. Wir sind hier in Minden Ravensberg. Hier spürt man noch die Erweckungsbewegung. Mein Mann war ein moderner Theologe, zumindest ein nüchterner. Er hatte auch konservative Züge, aber er war ein sehr sachlicher und wissenschaftlich orientierter Mensch. Naja, und dann hatte er öfter Ärger mit den anderen kirchlichen Mitarbeitern. Vieles muss umstrukturiert werden. Die Mittel werden knapper. Da kann man nicht tatenlos zusehen und warten, bis alles zusammenbricht. Aber wer versucht, grundlegende Veränderungen durchzusetzen, stößt bei den Alteingesessenen natürlich auf Widerstand. Allerdings kann ich mir nicht vorstellen, dass man seinen Vorgesetzten aus so einem Grund tötet.“ Sie hielt kurz inne und fing dann wieder an zu weinen. „Aber ich habe mir auch nicht vorstellen können, dass ihn überhaupt irgend jemand tötet.“

      „Frau Volkmann, ich brauche dringend eine Liste Ihrer Freunde und Verwandten, am besten mit Anschrift und Telefonnummer. Haben Sie irgendwo ein vollständiges Adressbuch?“

      Sie nickte und stand schon auf, um es zu holen.

      „Warten Sie einen Augenblick. Wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich mir gern das Arbeitszimmer Ihres Mannes ansehen. Ich muss mir ein Bild von ihm machen.“

      „Kein Problem.“, sagte sie, und führte Keller in Volkmanns Arbeitszimmer.

      Für einen Mann in einer derart mächtigen Position wirkte das Zimmer sehr nüchtern und wenig beeindruckend. Nichts war hier mit Bedacht ausgewählt, nirgends entdeckte man persönliche Akzente. Gegenüber der Tür befand sich ein großes Fenster, an dem der Schreibtisch stand, so platziert, dass das Tageslicht von der Seite auf den Arbeitsplatz fiel. Der Schreibtisch war schlicht, aus heller Eiche, darauf stand eine praktische Lampe, eine Schreibtischunterlage und die üblichen Utensilien. Ein paar Ablagefächer waren auf einer Seite gestapelt, darin lagen Einladungen zu Ausschuss-Sitzungen, Protokolle und so weiter. Er bat Frau Volkmann, die Papiere mitnehmen zu dürfen, sie bekäme sie umgehend zurück.

      An Volkmanns Arbeitsplatz stand ein solider Schreibtischstuhl, ihm gegenüber zwei weiße Leder-Schwingstühle. An den Wänden rechts und links befanden sich einfache Regale aus weiß beschichteten Spanplattenböden, die mit Metallwinkeln an der Wand befestigt waren. Links vorn im Zimmer stand ein mittelgroßer, runder Tisch, bedeckt mit einer hellen, naturfarbenen Tischdecke, passend zum Teppichboden. Um den Tisch herum standen ebenfalls vier von den weißen Schwingstühlen. Die Fensterbank war mit einem üppig belaubten Ficus Benjamini bestückt, an der Innenseite der Tür war ein großflächiger Terminplaner angebracht und links neben der Tür schmückte die Radierung einer Kirche die Wand. Keller betrachtete sie. Frau Volkmann trat neben ihn: „Das war ein Geschenk, das unsere Tochter ihrem Vater zum 50. Geburtstag gemacht hat. Es stellt die Hartumer Kirche dar. Miriam war damals fünfzehn und schon so begabt.“

      Keller verstand nichts von Kunst, aber das Bild sah in jedem Fall sehr professionell aus. Er nickte anerkennend.

      „Tja, Frau Volkmann, das war's fürs Erste. Ich werde sicher noch häufiger auf Sie zukommen. Sie werden vermutlich im Tagesverlauf noch gebeten, in die Gerichtsmedizin zu kommen, um ihren Mann zu identifizieren. Wenn Ihnen aber vorher etwas einfällt, können Sie mich jederzeit anrufen.“ Er reichte ihr seine Karte. „Kann ich irgend etwas für Sie tun?“

      „Können Sie mir sagen, wie mein Mann gestorben ist?“

      „Das darf ich leider noch nicht.“, bedauerte Keller, „aber es ist in jedem Fall sehr schnell gegangen.“

      Ihre Schultern zitterten schon wieder.

      „Soll ich Ihnen jemanden schicken, damit Sie nicht allein sind?“

      „Nein.“, erwiderte Frau Volkmann. Ich muss das jetzt erst einmal verarbeiten, da bin ich lieber allein. Aber vielen Dank für Ihre Anteilnahme.“

      „Nicht der Rede wert.“, brummelte Keller und sagte dann: „Ich finde allein raus. Auf Wiedersehen.“

      „Kerkenbrock, du Drückebergerin!“, zischte er, als er wieder draußen war. Er bahnte sich durch den matschigen Schnee einen Weg zu seinem Fahrzeug und fuhr zum Mittagessen in einen Schnellimbiss.

      6. Kreiskirchenamt Minden

      Jens Carstensen stand vor der Bürotür der Mitarbeitervertretung und suchte in seinem rasselnden Schlüsselbund nach der passenden Nummer. Das erwies sich immer als äußerst schwierig, weil er allein über sechs Schlüssel für Räumlichkeiten des Kreiskirchenamtes verfügte, die alle identisch aussahen und sich nur durch die Endziffer der Schlüsselnummer unterschieden. Die handelsüblichen Unterscheidungshilfen kamen für ihn nicht infrage, weil sie das voluminöse