Cristina Fabry

Rache für Dina


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und lehnte sich in ihrem Stuhl zurück. Kai-Uwe eröffnete die Sitzung mit der Aufzählung der Tagesordnungspunkte.

      „Zu Beginn sollten wir uns aber schon Zeit für eine kurze Reflexion unseres letzten Jugendgottesdienstes nehmen!“, wandte Hilke ein.

      „Meinetwegen“, antwortete Kai-Uwe versöhnlich und nahm den Punkt in die Tagesordnung auf.

      Reimler räusperte sich und sagte: „Ich würde meinerseits darum bitten, den Tagesordnungspunkt Finanzen an den Anfang zu legen, weil ich zur Zeit, wie Sie alle begreifen werden, terminlich äußerst eingespannt bin. Ihre Alltagsgeschäfte werden Sie ganz sicher auch ohne mich meistern, Sie sind ja schließlich alle Profis.“

      „Die kurze Reflexion des Jugendgottesdienstes würde ich aber schon an den Anfang stellen.“, widersprach Paul-Gerhard Solms. „Sonst geht alles zu sehr durcheinander. Das dauert ja auch nicht lange. Wäre dieser Kompromiss für alle tragbar?“

      Als niemand widersprach, erhob Hilke das Wort: „Dann berichte ich unserem neuen Superintendenten mal vom letzten Sonntag; alle anderen waren ja auch dabei. Wir hatten uns für den aktuellen Kreuzweg der Jugend entschieden – die Bilder waren von einer Hamburger Künstlerin, die Musik von verschiedenen Liedermachern aus der Kirchentagsszene. Statt die Bilder wie üblich mit dem Beamer auf die Leinwand zu projizieren, haben wir die Kreuzwegsstationen aufgebaut, wo die Bilder als Plakate hingen und darüber hinaus die Möglichkeit bestand, aktiv zu werden: Salbung, Fußwaschung, Abendmahl et cetera. Es waren circa sechzig Jugendliche da und die Atmosphäre war sehr intensiv.“

      „Also meine Jugendlichen waren von der Atmosphäre weniger begeistert.“, widersprach Jens Carstensen. „Mit guten Hiphoppern hätten wir mehr Leute hinterm Ofen vor locken können und dann würden die, die da waren, auch beim nächsten Mal wieder kommen.“

      „Na ja“, gab Katharina zu bedenken. „Die Zeiten, wo jeder gerappte Songs cool fand, sind aber auch schon wieder vorbei. Wenn du mit evangelischen Hiphoppern aufschlägst, haben die Jugendlichen schnell das Gefühl, dass man sich anbiedern will. Außerdem ist der christliche Musikmarkt eh' schnell abgegrast. Das meiste ist nur schwer zu ertragen. Man hat den Eindruck, die Musiker denken, ist zwar nicht so super gut, aber macht ja nichts, ist ja immerhin für Jesus. Vielleicht sollte man sich mehr bei den aktuellen Charts bedienen, wenn man die Jugendlichen wirklich erreichen will.“

      „Nun, sie sollten in einem Gottesdienst aber schon geistliche Lieder singen.“, widersprach Reimler spitz. „Oder wollen Sie statt der Predigt aus dem kommunistischen Manifest lesen, die Psalmen durch Brecht-Gedichte ersetzen und an Stelle des Abendmahls den Pizza-Service bestellen?“

      „Sachte, sachte.“, beschwichtigte Solms ihn. „Man könnte ja auch mal ein kirchenmusikalisches Projekt mit Jugendlichen in Angriff nehmen. Konzerte besuchen oder einen evangelischen Song-Contest mit Musikvideos veranstalten. Wenn wir es schaffen, dass die Jugendlichen ihre eigene Musik auswählen, dann bekommen wir die Jugend-Gottesdienste auch sicher wieder voller.“

      „Vorausgesetzt, der Pool christlicher Musik gibt das her.“, gab Katharina zu bedenken. „Die Frage ist doch, wen und was man mit diesen zentralen Groß-Gottesdiensten mit Event-Charakter eigentlich erreicht. Wollen wir Jugendliche mit der Droge geistliche Erbauung anfixen und uns wie die Dealer immer neue Kicks ausdenken oder wollen wir Jugendlichen helfen, einen Zugang zum christlichen Glauben zu finden, der sie im Alltag trägt? Das funktioniert meines Erachtens aber viel besser über kleinräumliche Angebote. Verlässliche Gruppen in überschaubarer Anzahl an leicht erreichbaren Orten, da, wo untereinander Vertrauen entstehen kann. Und wenn diese Gruppen dann gelegentlich ein Event brauchen, um frischen Wind, auch auf geistlicher Ebene, in ihren Kreis zu lassen, dann muss das nicht jeden Monat auf mittelmäßigem Niveau stattfinden, dann reicht es vielleicht zwei bis drei Mal im Jahr, aber dann im ganz großen Stil: Kirchentag, Jugendfreizeit oder Jugendevent auf landeskirchlicher Ebene. Wir sind wie die Hamster im Laufrad: Wir machen immer mehr und erreichen immer weniger.“

      „Beim letzten Punkt stimme ich Ihnen zu.“, erwiderte Reimler giftig. „Sie erreichen in der Tat immer weniger Jugendliche. Ob Sie immer mehr machen, weiß ich nicht, aber offensichtlich ist es nicht das Richtige. Fakt ist jedenfalls, dass Sie sich auf dem Markt behaupten müssen und dazu gehören sicher auch attraktive, zeitgemäße Angebote, die natürlich etwas mehr Arbeit machen als ein gemütlicher Jugendkreis, wo fünf Leute Tee trinken und Kekse essen. Die Mittel werden knapper und die Kirchenleitung wird zunehmend gezwungen, Schwerpunkte zu setzen. Arbeitsbereiche, die nicht von nennenswertem Nutzen sind, wird man aufgeben. Sie müssen also schon deutlich machen, dass Ihre Arbeit unverzichtbar ist und welcher Hinsicht.“

      „Ich glaube, wir schweifen gerade vom Thema ab.“, mischte Kai-Uwe sich ein. „Vielleicht sollten wir die Reflexion des Jugend-Gottesdienstes abschließen, bevor wir auf die Finanzsituation zu sprechen kommen. Ich muss sagen, dass ich die Veranstaltung trotz der bescheidenen Teilnahme sehr ermutigend fand. Von den Jugendlichen aus dem Bereich Innenstadt war die Rückmeldung durchweg positiv und sie meinten auch, dass ihnen die überschaubare Teilnehmerzahl gerade richtig erschienen sei. Wäre es in den Hunderter-Bereich gegangen, wäre es viel zu unruhig geworden. Vielleicht müssen wir uns damit abfinden, dass wir mit einem Angebot nicht die Massen erreichen und statt dessen auf Vielfalt setzen.“

      „Mit dem kleinen Personalstab wird das aber schwierig.“, widersprach Jens Carstensen. „Wir stemmen zu viert die Jugendarbeit für den gesamten Kirchenkreis, weite Teile sind schon völlig unterversorgt. Wenn wir gemeinsam eine zeit- und finanzaufwändige Großveranstaltung auf die Beine stellen, dann muss sich das lohnen, sonst gebe ich Katharina recht, dass es besser ist, in Beziehungsarbeit zu investieren als in mittelmäßige Events, wo keiner hin geht. Die Jugendlichen, die ich am Sonntag mobilisieren konnte, meinten, dafür hätten sie nicht extra in die Stadt fahren müssen, das hätten wir auch in Neesen machen können. Und statt die peinliche Band zu bezahlen, hätten wir hinterher zusammen essen können. Wenn das so weiter geht, kommen die gar nicht mehr zu unseren Jugendangeboten, sondern treffen sich statt dessen zum Kiffen in irgendeiner Scheune, lesen Hesse und beschäftigen sich mit Esotherik.“

      „Also, die Jugendlichen aus den Stadtrandgebieten haben durchweg positive Rückmeldungen gegeben.“, sagte Hilke. „Es gibt eben unterschiedliche Jugendkulturen, auch in geistlicher Hinsicht und was die einen anspricht, ist für die anderen kaum zu ertragen.Worüber wir uns klar werden müssen, ist, ob wir eine bestimmte Szene verlässlich bedienen und damit stabilisieren wollen oder ob wir versuchen, die kulturelle Ausrichtung breiter zu streuen, um möglichst viele zu erreichen, wobei wir dann aber in Kauf nehmen müssen, dass vieles an der Oberfläche verharrt.“

      „Das können wir heute Morgen aber sicher nicht abschließend klären, dafür sollten wir einen extra Termin ansetzen.“, gab Paul-Gerhard Solms zu bedenken.

      „Wir gehen demnächst ohnehin drei Tage in Klausur.“, erklärte Kai-Uwe Kehrer. „Dann nehmen wir uns dafür Zeit. Damit würde ich diesen Punkt gern abschließen und Herrn Reimler bitten, über die aktuelle Finanzlage zu berichten.“

      Sebastian Reimler räusperte sich und veränderte seine Sitzposition von leger zurück gelehnt zu wach, nach vorn gewandt, die Ellbogen auf dem Tisch und Papiere vor sich ausbreitend. Er hielt einen todlangweiligen Vortrag über die Entwicklung des Kirchensteueraufkommens, den sich Katharina gefühlt alle zwei Wochen anhören musste. Weil ihr das alles längst zu den Ohren heraus kam, hörte sie nicht wirklich zu, sondern beobachtete statt dessen aufmerksam die Körpersprache des Assessors und voraussichtlich neuen Superintendenten. Man konnte förmlich riechen, wie er sich in seiner neuen Rolle gefiel; und es war nur eine Rolle, die er spielte, denn er besaß nicht das Format, um dieses Amt auszufüllen. Er gab an, mit seinem angelesenen Halbwissen und plapperte nach, was er von seinem Vorgänger aufgeschnappt hatte. Er spielte den hochmotivierten, Initiative ergreifenden Vorgesetzten, der entschlossen war, die Karre aus dem Dreck zu ziehen. Dass er daran beteiligt gewesen war, sie in denselben zu befördern, ließ er dabei außer Acht. Seine Rede wurde begleitet mal von zackigen, mal ausladenden Gesten, die Professionalität und Stärke suggerieren sollten, jedoch merkwürdig einstudiert wirkten, wie vor dem Spiegel geübt und nach Lehrbuch gezielt platziert. Er war ein elender Wurm, dieser Reimler, der vor vier lächerlichen, kleinen