Edgar Wallace

Die blaue Hand


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bedeutet das?« fragte Groat scharf. »Was, zum Teufel, haben Sie –« Er hielt inne, nahm sich zusammen und lachte. Aber Jim hörte wohl, wie gekünstelt und gequält es klang. »Sie sind ein prächtiger Kerl, Steele«, sagte er in seinem alten, nachlässigen Ton. »Sie sind töricht, sich über diese Dinge den Kopf zu zerbrechen.«

      Er stellte das Schreibheft an den Platz zurück, von dem er es genommen hatte, nahm einen anderen Pachtbrief und gab sich den Anschein, eifrig darin zu lesen. »Es ist alles in Ordnung«, sagte er schließlich, legte das Aktenstück beiseite und griff zu seinem Hut. »Vielleicht besuchen Sie mich einmal und essen mit mir zu Abend, Steele. Ich habe ein ganz interessantes Laboratorium, das ich mir an der Rückseite meines Hauses am Grosvenor Square erbaut habe. Der alte Salter nannte mich eben Doktor!« Er lachte, als ob das ein guter Scherz sei. »Nun gut, wenn Sie zu mir kommen, kann ich Ihnen verschiedenes zeigen, was zum mindesten meinen Titel rechtfertigt.«

      Seine großen, dunkelbraunen Augen waren auf ihn gerichtet, als er in der Tür stand.

      »Nebenbei bemerkt, Mr. Steele – Ihre Privatstudien führen Sie auf ein gefährliches Gebiet, für das Sie selbst ein zweites Viktoriakreuz kaum genügend entschädigen könnte.«

      Er schloß die Tür behutsam hinter sich. Jim sah ihm stirnrunzelnd nach.

      ›Was meint er nur damit?‹ überlegte er. Dann erinnerte er sich daran, daß Mr. Groat sein Notizbuch in der Hand gehabt hatte. Wahrscheinlich hatte ihm das zu denken gegeben. Er nahm das Heft von dem Brett herunter, schlug die erste Seite auf und las: ›Einige Bemerkungen über die Bande der Dreizehn.‹

      3

      An demselben Nachmittag trat Jim in Mr. Salters Büro.

      »Ich gehe jetzt zum Tee«, sagte er.

      Mr. Salter schaute auf die altmodische Uhr an der gegenüberliegenden Wand.

      »Es ist gut. Sie gehen in letzter Zeit immer sehr pünktlich zum Tee, Steele – warum werden Sie denn rot? Handelt es sich um ein Mädchen?«

      »Nein«, erwiderte Jim unnötig laut. »Ich treffe zwar ab und zu eine Dame beim Tee, aber –«

      »Machen Sie, daß Sie fortkommen«, sagte der alte Mann ärgerlich. »Grüßen Sie sie von mir.«

      Jim mußte lachen, während er die Treppe hinunterstieg und auf die Marlborough Street hinaustrat. Er beeilte sich, weil es schon etwas spät war. Erleichtert atmete er auf, als er in das stille, ruhige Lokal trat und den Tisch, an dem er gewöhnlich saß, noch unbesetzt fand.

      Als er am Tisch Platz genommen hatte, kam die Kellnerin strahlend auf ihn zu, um nach seinen Wünschen zu fragen.

      »Ihre junge Dame ist noch nicht gekommen, Sir«, sagte sie.

      Es war das erste Mal, daß sie Eunice Weldon erwähnte, und Jim war es höchst peinlich.

      »Die junge Dame, die manchmal mit mir Tee trinkt, ist nicht meine junge Dame«, erwiderte er etwas kühl.

      »Ich bitte um Verzeihung«, sagte die Kellnerin und kritzelte auf ihrem Notizblock, um ihre Verlegenheit zu verbergen.

      »Sie bestellen wohl wie gewöhnlich?«

      »Ja. Bringen Sie alles wie sonst.«

      In diesem Augenblick trat eine Dame zur Tür herein, und er erhob sich schnell, um sie zu begrüßen.

      Sie war von schlankem Wuchs und ging sehr, aufrecht. Etwas Liebenswürdiges und Elegantes lag in ihren Bewegungen, so daß die Herren, die auf den Straßen umherschlenderten, stehenblieben, wenn sie vorbeiging. Eunice hatte ein reines, fast madonnenhaftes Gesicht, aber ihre fröhlich lachenden, blauen Augen und ihre schön geschwungenen Lippen waren sehr lebhaft und schienen nicht gewillt, das Leben in klösterlicher Abgeschlossenheit zu vertrauern. In ihren Augen lag ein eigentümlicher Glanz, in dem sich eine Bitte und auch zugleich eine Warnung ausdrückte. Es lag Reinheit in ihrem ganzen Wesen, in all ihren Zügen, in dem ausdrucksvollen Mund, in dem runden, jugendlichen Kinn. Es lag wie ein Hauch von Taufrische über ihrer weißen, klaren, fast durchsichtigen Haut. Alle Schönheit der Jugend schien in ihr vereinigt zu sein.

      Sie ging Jim mit ausgestreckter Hand entgegen.

      »Ich bin etwas spät dran«, sagte sie vergnügt. »Wir hatten eine langweilige Herzogin im Atelier, die ich in siebzehn verschiedenen Stellungen aufnehmen mußte – sie sah nicht besonders schön aus, aber gerade mit den unansehnlichsten Menschen hat man meistens die größte Mühe.«

      Sie setzte sich, zog ihre Handschuhe aus und erwiderte freundlich den Gruß der Kellnerin.

      »Die einzige Möglichkeit, schön zu sein, besteht für Leute mit Durchschnittsgesichtern in einer effektvollen Fotografie«, sagte Jim.

      Eunice Weldon war in einem bekannten fotografischen Atelier in der Regent Street angestellt. Jim hatte sie vor einiger Zeit erst in dem Lokal, in dem sie augenblicklich saßen, beim Tee kennengelernt, und zwar bei einer besonderen Gelegenheit. Die Gardinen am Fenster, in dessen Nähe sie saß, hatten Feuer gefangen. Jim löschte die Flammen und verbrannte sich dabei die Hand. Und Miss Weldon hatte ihn verbunden.

      Wenn ein Herr einer Dame einen Dienst erweist, so führt das meistens nicht zu einer näheren Bekanntschaft. Wenn aber umgekehrt eine junge Dame einem Mann hilft, so ist das unweigerlich der Beginn einer Freundschaft.

      Seit dieser Zeit hatten sie sich täglich hier beim Tee getroffen. Einmal versuchte Jim auch, sie zum Theater einzuladen, aber sie schlug seine Bitte ab.

      »Haben Sie weitere Erfolge gehabt bei Ihrer Suche nach der verlorenen jungen Dame?« fragte sie, während sie sich Marmelade auf ein Brötchen strich.

      Jims Stirn legte sich in Falten.

      »Mr. Salter hat mir heute klargemacht, daß es wenig an den Verhältnissen ändern würde, wenn ich sie fände.«

      »Es wäre aber doch wundervoll, wenn das Kind gerettet worden wäre. Haben Sie jemals an diese Möglichkeit gedacht?«

      Er nickte. »Leider dürfen wir uns keine Hoffnung in dieser Richtung machen, so schön es auch wäre. Und am meisten würde ich mich freuen«, meinte er lachend, »wenn Sie die vermißte Erbin wären!«

      »Das ist hoffnungslos«, sagte sie kopfschüttelnd. »Ich bin die Tochter armer, aber ehrlicher Eltern, wie es immer so schön heißt.«

      »Ihr Vater lebte immer in Südafrika?«

      »Ja, er war Musiker. Auf meine Mutter kann ich mich kaum besinnen, sie muß sehr lieb gewesen sein.«

      »Wo wurden Sie denn geboren?«

      »In Kapstadt-Rondebosch, um genau zu sein. Aber warum geben Sie sich denn solche Mühe, die verlorene Dame aufzufinden?«

      »Weil ich nicht will, daß dieser schreckliche, ungebildete Mensch, das große Erbe der Danton-Millionen antreten soll.«

      Sie richtete sich erstaunt auf.

      »Wer ist denn dieser ungebildete Mensch? Sie haben mir bis jetzt seinen Namen noch gar nicht genannt.«

      Das stimmte, Jim Steele hatte ihr erst vor ein paar Tagen von dieser Sache erzählt, die ihn so sehr beschäftigte.

      »Der junge Mensch heißt Digby Groat.«

      Sie schaute ihn verwirrt an.

      »Was haben Sie denn?« fragte er erstaunt.

      »Als Sie vorhin den Namen Danton erwähnten, erinnerte ich mich daran, daß unser erster Fotograf neulich sagte, Mrs. Groat sei die Schwester Jonathan Dantons«, sagte sie langsam.

      »Kennen Sie die Familie Groat?«

      »Ich kenne sie nicht«, sagte sie langsam, »wenigstens nicht sehr gut –« Sie zögerte. »Aber ich werde eine Stellung bei Mrs. Groat als Sekretärin annehmen.«

      Er sah sie groß an. »Und davon haben Sie mir noch nichts gesagt?«