Edgar Wallace

Die blaue Hand


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nicht in die Augen – sie sah überhaupt selten jemand an.

      »Die wird hier herumspionieren, sie wird stehlen!« sagte sie mit weinerlicher Stimme.

      »Nun sei aber ruhig von dem Mädchen«, sagte er böse. »Und da wir uns nun einmal allein sprechen, möchte ich dir etwas sagen.«

      Ihre unsteten Blicke schweiften nach rechts und links, aber sie vermied es ängstlich, seinen Augen zu begegnen. Es lag eine Drohung in seinen Worten, die sie nur allzu gut kannte.

      »Sieh einmal hierher!«

      Er hatte einen Gegenstand aus seiner Tasche gezogen, der im Licht der Tischlampe blitzte und glänzte.

      »Was ist es denn?« fragte sie kläglich, ohne aufzuschauen.

      »Ein Diamantenarmband!« rief er vorwurfsvoll. »Es gehört Lady Waltham. Wir waren das Wochenende auf ihrem Gut. Sieh her!«

      Seine Stimme war rau und schrill, und sie senkte den Kopf und begann zu weinen.

      »Ich habe es in deinem Zimmer gefunden, du alte Diebin!« zischte er sie an. »Kannst du dir diese entsetzliche Sache nicht abgewöhnen?«

      »Es sah doch so schön aus«, schluchz je sie, und die Tränen rannen ihr über die hageren Wangen. »Ich kann der Versuchung nicht widerstehen, wenn ich schöne Dinge sehe.«

      »Du weißt doch, daß das Dienstmädchen von Lady Waltham verhaftet wurde, weil sie in dem Verdacht steht, das Armband gestohlen zu haben. Wenn nichts geschieht, wird sie zu sechs Monaten Gefängnis verurteilt.«

      »Ich konnte der Versuchung einfach nicht widerstehen«, wiederholte sie mit tränenerstickter Stimme.

      Er warf das Armband mit einem Fluch auf den Tisch.

      »Jetzt kann ich es der Dame wieder zurückschicken und muß ihr in einem Brief etwas vorlügen, daß es aus Versehen in deinen Koffer gekommen ist! Ich tue es nicht, um dem Dienstmädchen zu helfen, sondern um meines guten Rufes willen.«

      »Jetzt weiß ich, warum du das Mädchen ins Haus nimmst – sie soll mich nur ausspionieren!«

      Seine Lippen kräuselten sich verächtlich.

      »Da hätte sie wohl eine schwere Aufgabe«, erwiderte er ironisch und lachte heiser, als er sich erhob.

      Mit harter Stimme sagte er: »Du mußt mit dieser üblen Angewohnheit, alle Dinge zu stehlen, die dir gefallen, unter allen Umständen brechen. Ich habe die Absicht, bei den nächsten Wahlen ins Parlament zu kommen, und ich will meine gesellschaftliche Stellung nicht durch eine alte, verrückte Diebin erschüttert sehen. Wenn in deinem Kopf etwas nicht ganz in Ordnung ist«, fügte er drohend hinzu, »so weißt du, daß ich ein kleines Laboratorium habe, wo wir den Schaden reparieren können.«

      Sie zuckte erschreckt zusammen. Entsetzen und Furcht zeigten sich in ihren Zügen.

      »Du – das wirst du doch nicht tun – mein eigener Sohn!« stammelte sie. »Ich bin vollkommen gesund – es ist nur –«

      »Vielleicht kommt es doch daher, daß du irgendeinen Druck im Gehirn hast«, sagte er kalt. »Dergleichen muß durch Operation entfernt werden –«

      Sie hatte ihren Stuhl zurückgeschoben und das Zimmer fluchtartig verlassen, bevor er zu Ende gesprochen hatte. Er nahm das Armband, sah verächtlich darauf und steckte es wieder in die Tasche. Ihre krankhafte Neigung kannte er nun schon seit langer Zeit. Er hatte alles versucht, sie davon abzubringen und glaubte auch, daß es ihm gelungen wäre. Um so mehr war er durch dieses letzte Vorkommnis verbittert. Er ging in die Bibliothek, wo kostbare Bücherschränke aus Rosenholz standen. Ein silbernes Gitter war vor dem Kamin befestigt, und die ganze Ausstattung zeigte den größten Luxus. Er setzte sich nieder und schrieb einen Brief an Lady Waltham. Er packte das Armband und den Brief sorgfältig in einen kleinen Kasten und klingelte dann. Ein Mann in mittleren Jahren mit einem dunklen, abstoßenden Gesicht kam herein.

      »Jackson, bringen Sie das sofort zu Lady Waltham. Meine Mutter geht heute Abend in ein Konzert – wenn sie fort ist, durchsuchen Sie ihre Räume genau.«

      »Das habe ich schon getan, Mr. Groat, aber ich konnte nichts finden.« Er war im Begriff zu gehen, als Digby ihn zurückrief.

      »Haben Sie der Haushälterin – gesagt, daß sie sich um das Zimmer für Miss Weldon kümmert?«

      »Jawohl, Sir. Sie wollte ihr zuerst ein Zimmer im obersten Stock geben, wo das Personal schläft, aber das habe ich nicht zugelassen.«

      »Sie soll das beste Zimmer im ganzen Haus bekommen. Sorgen Sie dafür, daß der ganze Raum mit Blumen geschmückt ist. Stellen Sie auch noch den Bücherschrank und den chinesischen Tisch in ihr Zimmer, die jetzt bei mir stehen.«

      Der Mann nickte.

      »Und wie soll das mit dem Schlüssel werden, Sir?« fragte er zögernd.

      »Meinen Sie den Schlüssel zu ihrem Zimmer?« fragte Digby und schaute auf.

      Der Mann nickte. »Wünschen Sie, daß man die Tür von innen abschließen kann?« fragte er bedeutungsvoll.

      Mr. Groats Lippen zogen sich böse zusammen.

      »Sie sind verrückt!« sagte er. »Natürlich will ich, daß man die Tür von innen verschließen kann. Bringen Sie auch einen Riegel an, wenn keiner vorhanden sein sollte.«

      Jackson schaute erstaunt auf.

      Zwischen den beiden schien ein engeres Verhältnis zu bestehen als gewöhnlich zwischen Herr und Diener.

      »Ist Ihnen schon jemals ein Mann namens Steele begegnet?« fragte Digby plötzlich.

      Jackson schüttelte den Kopf. »Wer ist das?« fragte er.

      »Der Sekretär eines Rechtsanwaltes. Tun Sie sich nach ihm um, und beobachten Sie ihn gelegentlich, wenn Sie einmal freie Zeit haben – aber nein, lassen Sie die Sache lieber Bronson machen. Er wohnt ja in Featherdale Mansions.«

      Eunice Weldon hatte ihre wenigen Habseligkeiten gepackt, der Wagen wartete vor der Tür. Es tat ihr nicht leid, daß sie die dumpfe, unordentliche Wohnung aufgeben mußte, in der sie nun die beiden letzten Jahre gewohnt hatte. Der Abschied von der etwas nachlässigen Wirtin fiel ihr nicht schwer, und sie konnte Jim Steeles Ansicht nicht teilen, der mit ihrer neuen Stellung so unzufrieden war.

      Sie war noch zu jung, um einen neuen Posten nicht als den Beginn eines geheimnisvollen Abenteuers anzusehen, der alle möglichen, wunderbaren Ereignisse in sich barg. Sie seufzte, als sie daran dachte, daß diese kleinen Gespräche beim Tee, die eine so angenehme Unterbrechung ihres alltäglichen Lebens waren, nun aufhören mußten. Und doch war sie davon überzeugt, daß Jim alle Anstrengungen machen würde, sie wiederzusehen.

      Sie würde Stunden, ja vielleicht sogar halbe Tage für sich haben. Plötzlich erinnerte sie sich daran, daß sie nicht einmal seine Adresse hatte! Aber er kannte ja ihren Aufenthaltsort. Dieser Gedanke beruhigte sie, denn sie hätte ihn gar zu gern wiedergesehen. Sie sehnte sich mehr nach ihm, als sie es jemals geglaubt hatte. Wenn sie die Augen schloß, erschien ihr sein schönes Gesicht, und seine lachenden, blauen Augen sahen sie treuherzig an. Die Bewegung seiner Schultern, wenn er ging, der Klang seiner Stimme beim Sprechen, alle seine charakteristischen Eigentümlichkeiten standen klar vor ihr.

      Und der Gedanke, daß sie ihn nicht wiedersehen sollte –

      ›Aber ich will ihn sehen, ich muß ihn sehen‹, sagte sie zu sich selbst, als das Auto vor dem imposanten Portal ihrer neuen Wohnung am Grosvenor Square hielt.

      Sie war bestürzt, als sie die große Schar der Diener sah, die herauskam, um ihr behilflich zu sein. Aber es tat ihr doch gut.

      »Mrs. Groat möchte Sie sehen, Miss«, sagte ein finster dreinschauender Mann.

      Sie wurde in einen kleinen Raum auf der Rückseite des Hauses gebracht, der ihr dürftig möbliert erschien, obwohl ihn Mrs. Groat schon für luxuriös ausgestattet hielt.

      Die alte Frau lehnte jede Ausgabe für Dekorationen oder schöne