den Luftdruck und pumpte Luft nach, sie fuhren los. Sie legten die Räder an der Vogelwarte ins Gras und setzten sich auf die Ufersteine. Die Vogelwarte war verschlossen und der Wärter, der früher Klaas Friedrichsen war, war nicht da. Sie zogen ihre Sandalen und Turnschuhe aus und krempelten ihre Hosenbeine hoch, anschließend liefen sie durch den Priel in Ufernähe ins Watt. Sie sackten bis zur halben Wade im Schlick ein und liefen weit hinaus, sie hätten bis zum Einsetzen der Flut ungefähr zwei Stunden, das wusste Fiete und schaute auf seine Uhr. Sie achteten darauf, nicht auf Muschelschalen zu treten und sich damit zu verletzen.
Als sie hinausgelangt waren, konnten sie ganz Süderland der Länge nach überblicken, auf der einen Seite lagen Westerhalen und etwas davor der Fähranleger, vor ihnen lagen das Dorf und etwas daneben die Salzwiesen und Osterhalen. Nach einer Zeit blickte Fiete auf seine Uhr und forderte zum Rückmarsch auf, da die Flut langsam anstieg, er wollte sich und die anderen nicht unnötig in Gefahr begeben, es waren schon viele bei plötzlich ansteigender Flut ertrunken. Im Priel am Ufer wuschen sich alle den Schlick von den Beinen und gingen an Land, sie setzten sich noch einmal auf die Ufersteine, die Vogelwarte war immer noch unbesetzt. Über dem Watt kreisten Möwen und Seeschwalben und hielten Ausschau nach Krebsen oder sogar Wattwürmern, auch Austernfischer waren über dem Watt, allerdings nicht sehr zahlreich. Sie fuhren wieder zu Kleens zurück, die Alten waren inzwischen aufgestanden und saßen bei einer Tasse Kaffee im Hof. Die jungen Leute gesellten sich dazu und Isolde und Jasper liefen schnell zu Lorenzen und holten Kuchen. Sie tranken lange Kaffee und machten sich am frühen Abend fertig für den „Deichgrafen“. Als sie zum Restaurant liefen, stützten Clarissa und Fiete Oma Stevens, man hatte ihnen die Tische reserviert, an denen sie schon einmal gesessen hatten, alle hatten sie rechtschaffenen Hunger und freuten sich auf das Essen.
Sie bestellten Bier und Wein, und zum Essen nahm Oma Stevens wieder die Fischplatte, während die anderen Fleischgerichte kommen ließen, wie beim letzten Mal auch. Das Lokal war wieder gut besucht, alle Tische draußen waren besetzt, das war immer ein gutes Zeichen für den unschlüssigen Restaurantbesucher, sie ließen sich ihr Essen schmecken und saßen bis in den Abend hinein im „Deichgrafen“, zum Abschluss bestellte Herr Kleen eine Runde Schnaps, außer Clarissa und Isolde nahm jeder einen. Sie verbrachten ihren letzten Abend auf Süderland bei Kleens im Hof, alle hatten noch etwas zu trinken und Frau Kleen bestand darauf, dass noch einmal gesungen wurde, und so stimmten alle ein und sangen „Im Frühtau zu Berge...“, wobei mit Ausnahme von Frau Kleen und Oma Stevens niemand die zweite Strophe kannte. Um 23.00 h lagen alle in den Betten, sie schliefen bei geöffneten Fenstern sehr gut und entspannt.
Ein letztes Mal holten Clarissa und Fiete am Morgen Brötchen bei Lorenzen und verabschiedeten sich bis zum Herbst. Bubenhäusers und die jungen Leute nahmen die Mittagsfähre, sie sagten Oma Stevens Tschüss und drückten sie, Kleens begleiteten sie zum Inselbahnhof. Als das Bähnchen losfuhr, winkten sie, bis es den Bogen zum Anleger erreichte und nicht mehr gesehen werden konnte. Kleens liefen zurück nach Hause.
Bubenhäusers und die jungen Leute stiegen in Nordhafen in ihren Kleinbus und fuhren mit ihm die lange Strecke nach Hannover, wo sie sich von Isolde und Jasper verabschiedeten. Anschließend fuhren sie weiter nach Braunschweig, Clarissa und Fiete wollten noch drei Tage dort bleiben. Frau Bubenhäuser machte für alle Schnitzel mit Kartoffeln und Salat, das Lieblingsessen von Fiete, Clarissa hatte sich inzwischen daran gewöhnt und aß es auch ganz gern. Als sie nach drei Tagen wieder in ihrer Wohnung in Hannover waren, kauften sie erst einmal ein, es fehlte an allem und sie mussten die grundlegenden Dinge besorgen wie Kartoffeln, Zwiebeln, Milch usw. Clarissa und Fiete hatten noch das Wochenende, danach müsste Fiete wieder bei E.ON und Clarissa in der Uni erscheinen, Fiete hatte noch zwei Wochen in seiner Arbeitsgruppe zu tun, im Anschluss würde entschieden, ob er bei E.ON bleiben und an einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt werden würde. Clarissa hatte mit ihrer Dissertation gerade begonnen, sie hatte jede Menge Sekundärliteratur in der Uni liegen, sie würde noch mindestens drei Semester brauchen, bis sie fertig wäre. Fiete machte sich am Montagmorgen nicht sehr missgestimmt, aber auch nicht sehr glücklich zu E.ON auf, er begrüßte alle Mitglieder des Teams und fragte, was sie gerade machten. Sie wären gerade dabei, eine Annonce zu entwerfen, die für eine neue Windkraftanlage im Harz werben sollte, und Fiete dachte gleich, dass solche Annoncen nur ablenken sollten, ablenken vom Hauptzweig, mit dem E.ON Geld verdiente, der Kernenergie.
Am Nachmittag wurde Fiete informiert, dass der Personalchef ihn sprechen wollte, er sollte um 17.00 h bei ihm erscheinen, nach Feierabend also, aber Fiete hätte sich gegen den Termin nicht wehren können. So ging er also um kurz vor 17.00 h rüber zum Büro des Personalchefs und meldete sich bei seiner Sekretärin. Sie sagte ihm, dass ihr Chef schon auf ihn wartete und begleitete Fiete zu dessen Zimmer. Der Personalchef war sehr freundlich zu Fiete und eröffnete ihm:
„Man hat in der Konzernspitze über Sie beraten und ist zu dem Ergebnis gekommen, dass man Ihnen eine Festanstellung geben will, Ihr hervorragender Abschluss an der Universität hat alle überzeugt.“ Fiete strahlte über sein ganzes Gesicht, als er das hörte, wurde aber etwas besonnener, als er vernahm, was man mit ihm vorhatte: er sollte für E.ON die Errichtung einer Windkraftanlage auf den Lofoten in Norwegen betreuen, man gäbe ihm drei Tage, darüber nachzudenken. Fiete bedankte sich für das ihm entgegengebrachte Vertrauen und verabschiedete sich wieder vom Personalchef, er fuhr nach Hause zu Clarissa. Als er ihr davon berichtete, was E.ON mit ihm vorhatte, wurde sie nachdenklich:
„Dein Einsatz auf den Lofoten wird eine lange Trennung zwischen uns bedeuten!“ Fiete entgegnete, dass er sich ausbedingen würde, regelmäßig nach Hause fliegen zu können, er wollte an jedem Wochenende kommen. Clarissa meinte:
„Die Lofoten sind sicher ein Sprungbrett in deiner Karriere bei E.ON und ich finde, du solltest zusagen, auch wenn wir uns für lange Zeit nur an den Wochenenden sehen!“ Fiete war hin- und hergerissen, er könnte ja auch versuchen, woanders einen Job zu bekommen, mit seinem Abschluss stünden ihm im Grunde alle Türen offen.
„Aber ich denke schon daran, auf das Lofotenangebot einzugehen“, sagte er. Er sähe das genau wie Clarissa als Chance, innerhalb des E.ON-Konzerns weiter aufzusteigen. Er ließ sich am nächsten Tag einen Termin beim Personalchef geben und nahm sein Angebot an, er hinterfragte weitere Einzelheiten, wann es losginge und wie oft er nach Hause könnte, und der Personalchef antwortete Fiete:
„Sie sollen schon zu Beginn des nächsten Monats, wenn Ihr Job bei der Arbeitsgruppe erledigt ist, auf die Lofoten, sie können selbstverständlich an jedem Wochenende nach Hause fliegen, dafür wird schon gesorgt werden.“ Er dankte Fiete, dass er den Auftrag übernähme und bot ihm jederzeit seine Hilfe an, wenn irgendwelche Probleme aufträten. Vor seiner Abreise auf die Lofoten bekäme er von E.ON noch eine Woche Urlaub, um sich auf seinen Job über dem Polarkreis auch richtig einstimmen zu können. Fiete fuhr wieder nach Hause und beredete mit Clarissa alles Weitere, sie wollten täglich miteinander skypen und sähen sich an den Wochenenden.
„Ich muss mir zunächst einmal eine Orientierung verschaffen, wo genau die Loforten liegen und wie man dahin kommt, ich weiß nur, dass die Lofoten über dem Polarkreis liegen und es deshalb dort drei Monate lang im Winter dunkel ist.“ Fiete setzte sich an seinen Computer und gab Google Map ein, er sah sich die Lofoten auf seinem Monitor an und bemerkte gleich, dass dort nicht viel los sein konnte. Man käme in Bodoe an, entweder mit dem Zug oder mit dem Flugzeug und nähme von dort aus entweder eine Fähre oder den Helikopter. Er gab auf Google „db“ ein und suchte einen Zug von Hamburg nach Bodoe, im günstigsten Falle brauchte der Zug achtunddreißig Stunden, der Zug schied somit aus. Daraufhin suchte er einen Flug von Oslo nach Bodoe und fand mehrere Möglichkeiten, er wäre eineinhalb Stunden unterwegs, nach Oslo müsste er von Hamburg fliegen, auch da gäbe es viele Möglichkeiten, die Flüge würden natürlich alle von E.ON bezahlt. Fiete dachte daran, was er in den drei Monaten Dunkelheit und in der Eiseskälte auf den Lofoten unternehmen sollte, auf jeden Fall würde er viel lesen, so viel war ihm schon klar. Er setzte sich mit Clarissa zusammen und sagte ihr:
„Das wird vermutlich für mich eine harte Zeit werden, die ich mit deiner Hilfe aber durchstehen will.“ Clarissa hielt seine Hand und entgegnete:
„Das ist nicht unsere erste Bewährungsprobe, als wir beide Schüler gewesen sind, sind wir auch lange voneinander getrennt gewesen, ich will alles