Catherine St.John

Ein trauriges Schloss


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auf der ebenfalls gefalteten Wäsche verstaute. Eleanor seufzte nostalgisch, während sie ihre langen dunklen Locken ausbürstete und sie dann mit wenigen Handgriffen wieder zu einem strengen Chignon aufsteckte. „Aber ich bin nun mal eine Witwe, so weit ist mein Auftreten nicht gelogen. Und eine Witwe trägt schwarz. Mindestens zwei Jahre lang.“

      „Jammerschade. Und Ihr schöner Schmuck…“

      „Na, soweit war es damit auch nicht her“, antwortete Eleanor gleichmütig und schüttelte vorsichtig ihre schwarzen Handschuhe aus, „das meiste gehörte sowieso zum Warrenschen Vermögen. Jetzt trägt es die neue Countess. Und wenn schon.“

      „Sie hätten ihn verkaufen und davon leben können, bis ein bess- Verzeihung, Mylady. Madam, wollt´ ich sagen.“

      „Schon recht, Annie. Ich weiß, dass meine Ehe kein wirklicher Traum war, aber der Schmuck gehörte mir nun einmal nicht. Du hättest doch nicht gewollt, dass ich etwas Unrechtes tue?“

      „N-nein, Madam.“ Sehr glaubhaft klang das nicht, und Eleanor wandte sich mit einem Lächeln ab. Annie war jetzt drei Jahre lang auf Lanford Hall ihre Zofe gewesen und wirklich eine treue Seele. Ihre Empörung über den Wandel von Eleanors Lebensumständen war echt.

      Kapitel 2

      Nach dem tränenreichen Abschied von Annie war Eleanor in die Postkutsche nach Kent gestiegen, hatte ihr Portemanteau unter den Ecksitz geschoben und sich auf der Bank darüber zurecht gekuschelt, ihre Handtasche fest im Griff.

      Offenbar wollten zurzeit kaum Leute nach Kent reisen, jedenfalls saßen tatsächlich nur vier Passagiere in der Kutsche – und ein unglücklicher junger Mann auf dem Dach, wo es schrecklich zugig sein musste.

      Sie hatte nun genug Zeit, über ihre Situation nachzusinnen und aller Welt die Schuld daran zu geben, dass sie nicht mehr die verwitwete Gräfin von Lanford war, sondern die ehrsame (wenn auch ungeübte) Haushälterin Mrs. Warren. Zum einen aber fand sie nicht, dass es die Mühe lohnte, so fruchtlosen Gedanken nachzuhängen, und zum anderen war sie ungemein müde, kein Wunder nach einem aufregenden Tag mit der Suche nach einer Stellung und dem Abschied von Annie und von ihrem bisherigen Leben. Immerhin hatte die Fahrt mit der Post nicht annähernd die ganzen zwei Guinees verschlungen, und sie selbst besaß auch noch etwa fünf Pfund in verschiedenen kleinen Münzen – alles, was sie in ihren Räumen auf Lanford Hall noch gefunden hatte, die Reste ihres letzten Nadelgeldes. Kost und Logis bekam sie auf Kesham Court, korrekte Kleidung hatte sie in ihrer Tasche, und mehr brauchte sie ja wohl nicht.

      Sie klemmte die Handtasche zwischen ihren Rücken und die dünn gepolsterte Rückwand, musterte die Mitreisenden kurz und misstrauisch und schloss die Augen.

      Als sie wieder hochschreckte, schienen ihr nur wenige Minuten vergangen zu sein, aber vor dem kleinen und nicht gerade sauberen Fenster zu ihrer Rechten war es dunkel. Finstere Nacht und keinerlei Lichter, also waren sie doch schon so lange unterwegs, dass sie die Ausläufer Londons hinter sich gelassen hatten. Was hatte sie geweckt - ob sie womöglich überfallen wurden?

      Nein, das beängstigende Geräusch kam von dem Geistlichen schräg gegenüber, der selig schlief und dabei schnarchte, als müsse er einen ganzen Wald roden.

      Die gemütliche ältere Dame neben ihm hatte sich einen Schal so um den Kopf gebunden, dass er die Ohren bedeckte und so die Geräusche dämpfte, aber viel Erfolg hatte diese Maßnahme wohl nicht, denn sie sah immer noch recht gequält drein und lächelte Eleanor mit verdrehten Augen zu.

      Auf Eleanors Seite saß noch ein schwarz gekleideter Mann in mittleren Jahren, der wie der Angestellte eines Kaufmanns oder Anwalts wirkte. Eleanor überlegte kurz, warum er diesen Eindruck erweckte, und bemerkte dann, dass er tatsächlich noch einen Ärmelschoner trug.

      Auch er betrachtete den geräuschvollen Schläfer misslaunig und stieß ihn schließlich mit der Fußspitze an. Der Pfarrer gab einen letzten Röchler von sich, schlug die Augen auf und blickte sich orientierungslos um.

      „Verzeihung, Hochwürden, ich wollte Sie nicht wecken“, entschuldigte der Angestellte sich dann nicht ganz aufrichtig. Eleanor unterdrückte ein Kichern, die Dame ihr gegenüber schnaubte. Der verschlafene Pfarrer lächelte freundlich. „Keine Ursache, mein Sohn… ich habe wohl wieder geschnarcht? Eine rechte Unsitte, mein Frau tadelt mich auch deshalb – aber was soll man machen?“

      Allenthalben etwas gequältes Lächeln; der Pfarrer überspielte die Situation, indem er seine Uhr hervorholte. „Fast Mitternacht… wir müssten bald in Dartford sein, dort werden die Pferde gewechselt. Ich fahre öfter nach Canterbury, deshalb kenne ich mich dort aus.“

      Die ältere Dame bekannte sich dazu, ihre Schwester in der Nähe von Canterbury besuchen zu wollten. „Sie lebt dort mit ihrer Tochter und deren Gatten, der als Amtsschreiber ein gutes Auskommen hat. Ein recht gebildeter Mann, jaja… und jetzt ist auch der erste Sohn angekommen. Meine kleine Schwester ist Großmutter, ich kann es noch gar nicht fassen!“

      „Haben Sie selbst denn auch Enkel?“, erkundigte sich Eleanor höflich.

      Ihr Gegenüber setzte eine abweisende Miene auf. „Nein.“

      Stille breitete sich im Wagen aus und Eleanor, die nicht wusste, was an ihrer Frage so verkehrt gewesen war, hörte erleichtert, dass sich das Räderrasseln in der Tonlage veränderte – sie fuhren tatsächlich auf den Hof einer Poststation.

      Mit Handtasche und Reisetasche stieg Eleanor aus, um sich die Füße zu vertreten. „Sie reisen nicht weiter?“, fragte der dünne Schwarzgekleidete sie.

      „Doch. Aber die Kutsche wird während des Pferdewechsels nicht bewacht, und ich besitze nur das, was in der Reisetasche ist, und könnte es nicht ersetzen.“

      „Wertsachen?“ Glitzerten seine Augen im schwachen Licht der Gasthofslaternen gierig?

      „Meine Kleidung zum Wechseln. Gebraucht, nicht neu.“ Unwillkürlich fasste sie den Griff der Reisetasche fester.

      „Sie sind etwas misstrauisch, Miss -?“

      „Mag sein. Es ist aber nicht persönlich gemeint.“ Die Frage nach ihrem Namen hatte sie damit elegant überspielt, fand sie; seine säuerliche Miene war freilich nicht zu übersehen. Sie wandte sich ab und lief ein paar Mal hin und her, streckte sich und versuchte, tief zu atmen, um frische Luft zu schnappen. Frisch… nun gut. Kühl, feucht – so besonders weit waren sie von der Themsemündung hier nicht entfernt. Aber aus der offenen Gasthaustür drang der Geruch von Tabakrauch und Bier, begleitet von trunkenem Gegröle. So viel Betrieb noch nach Mitternacht? Nun, sie war erst zum zweiten Mal mit der Post unterwegs, also sollte sie sich lieber nicht wundern. Sie wanderte weiter auf und ab und erinnerte sich an den Abschied von Annie. Einer ihrer letzten Sätze war: „Kesham Court? Tatsächlich? Oh, Myl – Madam, sind Sie sicher?“

      Genaueres war aus ihr nicht herauszubekommen. Was war mit Kesham Court? Spukte es dort? Wie albern, an so etwas glaubte sie nicht, sie war schließlich eine aufgeklärte Frau und hatte ihren Verstand durch intensive Lektüre geschult, vor allem in den letzten Jahren, als sie wenig anderes zu tun hatte.

      Gab es dort ungesunde Ausdünstungen, etwa aus Mooren? Milton Regis lag nicht direkt am Meer, aber vielleicht ja Kesham Court? Und auf jeden Fall war es von dort nicht mehr weit bis zum Meer… Moore, Fens oder andere Feuchtgebiete waren durchaus vorstellbar.

      Die dritte Möglichkeit bedeutete: Dort waren die Menschen unangenehm. Nun, sie würde so lange aushalten, bis sie eine ordentliche Referenz verlangen konnte, und dann würde sie sich eben etwas anderes suchen. Und versuchen, in jeder Stellung etwas zu sparen, um für ein friedliches Alter vorzusorgen.

      Ob ihre Eltern sie wohl enterbt hatten?

      Das war wohl anzunehmen, denn wenn sie nichts mehr bekam, konnte ihre jüngere Schwester Rosamund mit einer höheren Mitgift und später mit einem erfreulichen Erbe rechnen.

      Nicht, dass Rosamund es darauf angelegt hätte, das stand fest. Aber ihre Eltern hofften wohl, wenigstens