Catherine St.John

Ein trauriges Schloss


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um einen Besen zu holen.

      Eleanor drehte sich ratlos zu Mrs. Kingsley um, die gerade Gemüse putzte. „Können Sie sich vorstellen, warum Nancy so erschrocken ist? Habe ich etwas Falsches gesagt? Das täte mir leid.“

      „Ach nein, Mrs. Warren, nichts Falsches. Es ist nur – dieses Stöhnen, das hat uns schon so manches Mädchen vertrieben. Diese dummen Dinger sind sich nämlich nicht so recht sicher, ob es hier nicht vielleicht doch spukt.“

      Eleanor lächelte. „Aber ich dachte, es gibt hier gar kein Schlossgespenst?“

      „Natürlich nicht! Unsere Mädchen – nun, sie haben nicht gerade viel Bildung, nicht wahr? Und so sind sie für Aberglauben recht anfällig.“

      „Und Vernunftgründen nur begrenzt zugänglich, vermute ich.“

      „Sie treffen da den Nagel auf den Kopf, Mrs. Warren. So ist es, leider.“

      Sie verstummten, denn Nancy kam mit dem Besen zurück und fegte die Scherben zusammen, dabei ab und zu schniefend und sich furchtsam umsehend.

      „Dummes Ding“, fuhr Mrs. Kingsley sie schließlich an, „hier gibt es gar nichts, wovor man sich fürchten müsste. Du weißt doch, dass Seine Lordschaft krank ist!“

      „Manche haben schon gesagt, er ist besessen“, wisperte Nancy und senkte die Augen scheu auf die letzten Scherben.

      „Besessen – von wem denn? Oder wovon?“ Eleanor war völlig ratlos.

      „Vom – vom Teufel?“

      Mrs. Kingsley riss ihr den Besen aus der Hand. „Du dummes, dummes Ding, was soll das papistische Geschwätz? Geh in deine Kammer und denk darüber nach, welchen Unsinn du gerade geredet hast!“

      Nancy floh, und Mrs. Kingsley sah ihr kopfschüttelnd nach. „Woher mag sie diesen Unsinn nur haben? Vom Teufel besessen, so etwas Dummes! Aber wie ich eben schon sagte – keinerlei Bildung, dafür finsterer Aberglauben. Wie im Mittelalter!“

      Eleanor stellte fest, dass die Köchin offenbar recht belesen war, und stimmte ihr zu. „Ist meine Vorgängerin etwa auch aus einem so – äh – albernen Grund gegangen?“

      Mrs. Kingsley schnaubte. „Gegangen? Geflohen, sollte man wohl eher sagen! Seine Lordschaft hatte offenbar in seinem Fieber einen grässlichen Alptraum und hat geschrien – und am nächsten Morgen hat Mrs. Lorrimer ihre Sachen gepackt. Dabei hat sie den armen gnädigen Herrn nie zu Gesicht bekommen…“

      „Warum? Ich meine – lässt er sich nie blicken? Ich würde mich ihm bei günstiger Gelegenheit schon gerne vorstellen.“

      „Lieber nicht, meine Gute – äh – Mrs. Warren, wollte ich sagen. Er ist kein schöner Anblick, der Arme. Krieg ist schon etwas Schreckliches, das muss man sagen. Auch wenn er natürlich nötig war, um diesen Bonaparte in seine Schranken zu weisen…“ Murmelnd kehrte sie zu ihrem Gemüse zurück. Eleanor beseitigte rasch die letzten Scherben und starrte dann, auf den Besen gestützt, vor sich hin. Fieber und eine offenbar entstellende Kriegsverletzung – kein Wunder, dass er sich in diese Einsamkeit verkrochen hatte und sich auch vor dem Personal nicht sehen ließ – obwohl, beim Essen wurde doch serviert? Hielt man Cyrus und Martin für weniger empfindlich? Und Beatty, der doch täglich mit ihm engsten Umgang hatte?

      Und es kam doch wenigstens ab und zu ein Arzt, um das Fieber zu behandeln. Sie fragte Mrs. Kingsley nach Einzelheiten, aber diese hatte offenbar das Gefühl, schon zu viel erzählt zu haben, jedenfalls gab sie sich plötzlich eher wortkarg.

      Eleanor resignierte und lenkte das Gespräch auf den Speiseplan für die nächste Woche und die Frage, ob der Earl gerne Fisch aß – schließlich war man hier doch praktisch in Hörweite des Meeres, da musste frischer Fisch doch leicht zu beschaffen sein?

      „Beatty soll Seine Lordschaft fragen“, antwortete die Köchin, „ich habe schon lange keinen Fisch mehr gekocht, aber ich könnte wirklich nicht sagen, warum nicht.“

      Schließlich ließ Eleanor Mrs. Kingsley in Ruhe arbeiten und suchte lieber Nancy auf, um sie zu trösten und ihr ins Gewissen zu reden. Ob ihr Argument, jeder könne doch durch einen Unfall verletzt werden und wolle dann bestimmt nicht als vom Teufel besessen gelten, gewirkt hatte, vermochte sie allerdings nicht zu sagen. Immerhin verteidigte Nancy sich dahingehend, dass nicht sie dieses alberne Gerücht aufgebracht habe.

      Etwas unzufrieden strich sie danach durch das Schloss, auf der Suche nach einem Betätigungsfeld – aber in der Küche lief alles wie am Schnürchen, alle Räume waren sauber, warm und anheimelnd hergerichtet, der Wäscheschrank war frisch revidiert – der Inhalt reichte auch, wenn hundert Gäste zugleich ankamen – und sogar die Regale in der Bibliothek waren sorgfältig vom Staub befreit worden. Sie schlenderte durch die Gemäldegalerie im ersten Stock und traf dabei auf Mr. Grant, der stirnrunzelnd ein Porträt betrachtete.

      „Guten Morgen. Ist das der gegenwärtige Earl?“, fragte sie, neben ihn tretend. Grant zuckte zusammen, fasste sich aber rasch wieder.

      „Äh – nein. Der sechste Earl, also sein Onkel.“

      Eleanor nickte in Erinnerung an Jessops etwas verwirrende Ausführungen an ihrem ersten Tag hier.

      „Mit seinem Sohn, nehme ich an?“

      „Richtig.“

      Etwas wortkarg erschien ihr der Sekretär, aber vielleicht war er über eine Haushälterin erhaben? Oder sprach er nicht gerne mit Frauen?

      Sie trat vor das nächste Bild. „Und diese hier? Das sieht nach einer glücklichen Familie aus, nicht wahr?“

      „Das weiß ich nicht. Das sind der gegenwärtige Earl mit seinen Eltern und seiner Schwester.“

      „Aha…“ Eleanor betrachtete sich den etwa zwölfjährigen Jungen, ein helles, zartes Gesicht, in dem die dunklen Augen auffielen, dazu wilde dunkle Locken und eine schmale Figur. Ein verschmitztes Lächeln hatte der Junge. Ein Arm war um das Mädchen neben ihm gelegt, das ebenfalls dunkelhaarig und dunkeläugig war und schüchtern lächelte. Die Eltern zu beiden Seiten blickten mit Stolz auf ihre Sprösslinge.

      „Diese Schwester – besucht sie ihn wenigstens ab und zu?“

      „Den Earl? Nein.“

      „Haben die beiden sich entzweit? Das ist ja sehr traurig…“

      Grant warf ihr einen misstrauischen Blick zu. „Warum wollen Sie das alles wissen, Mrs. Warren?“

      „Möchte nicht jeder etwas mehr über seine Stellung wissen? Es gefällt mir hier gut, auch wenn ich Seine Lordschaft noch nicht persönlich kennen gelernt habe.“

      Grant betrachtete sie weiterhin prüfend, dann seufzte er. „Seine Schwester lebt nicht mehr. Der einzige Verwandte Seiner Lordschaft ist sein Schwager, Mr. George Randal.“

      „Sein Schwager trägt den gleichen Familiennamen? So ein Zufall…“

      Jetzt war der Blick eindeutig herablassend. „Mr. Randal ist zugleich auch der Cousin Seiner Lordschaft.“

      „Aha… also auch der nächste Erbe?“

      „Äh – gewiss.“

      „Und er kommt auch nie zu Besuch? Hat Seine Lordschaft denn überhaupt keine Kontakte?“

      „Mr. Randal kommt ein- bis zweimal im Monat vorbei.“ Grant verbeugte sich eckig und schritt zügig davon.

      Eleanor sah ihm leicht verblüfft nach. Warum diese Geheimnistuerei? Sie hatte doch nichts gefragt, was die Privatsphäre des Earls berührt hätte?

      Mr. Randal kam also recht häufig vorbei… interessant. Das war ja ein netter, verwandtschaftlicher Zug von ihm, fand sie. Seitdem sie hier arbeitete, hatte noch niemand vorgesprochen, wenn man von Lieferanten absah. Hatte der Earl auch keinen Kontakt zu den Nachbarn?