Catherine St.John

Ein trauriges Schloss


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      „Wie Sie wünschen. Mrs. Warren. Damit legen wir bestimmt Ehre ein, wenn wir schon einmal Besuch haben.“

      Eleanor lachte. „Wir sehen ja, wieviel vom Dinner in die Küche zurückfindet!“

      „Vom Tee ist jedenfalls nicht viel übrig geblieben – aber so eine Reise macht schließlich auch hungrig, nicht wahr?“

      „Woher kommt Mr. Randal denn, aus London?“

      „Nein, er hat ein kleines Landhaus in der Nähe von Higham, das liegt auf halbem Weg zwischen hier und London, hat mir Mr. Randal einmal erklärt.“

      Eleanor nickte. „Das kann auch schon Appetit machen, da haben Sie Recht.“

      Erst als sie die Köchin, die bereits zwei Mädchen herumscheuchte, alleine gelassen hatte, fiel ihr ein, dass sie jetzt nicht erfahren hatte, welchem Unfall Miss Miranda zum Opfer gefallen war. Ach nein, Mrs. Randal hatte sie ja geheißen. Ob sie sich wirklich in ihren eigenen Cousin verliebt hatte? In jemanden, den man schon Kindesbeinen an kannte? Eleanor ließ, während sie Salons, Bibliothek und das Arbeitszimmer seiner Lordschaft kontrollierte, ihre Gedanken schweifen und dachte an ihre eigene Kindheit. Die Söhne der Nachbarn hatte sie als kleine Lümmel gekannt, die mit Steinschleudern nach Katzen schossen und auf ihren Ponys ungeniert durch fremden Besitz galoppierten. Einer hatte auch wegen einer Mutprobe den Stier eines Bauern gereizt und sich hinterher bitterlich beklagt, dass er auf der Flucht seine Hosen verloren hatte. Sein Vater allerdings hatte dem entrüsteten Bauern Recht gegeben und seinen Sprössling übers Knie gelegt…

      Als sie heranwuchs, waren diese Plagegeister in ihren Schulen gut aufgehoben und fielen der Nachbarschaft nur in den Ferien lästig, danach gingen einige zur Armee und ausgerechnet der verhinderte Stierkämpfer strebte das Amt eines Pfarrers an, was Eleanor leicht verblüfft hatte. Nur die jeweils Erstgeborenen blieben zu Hause und machten sich mit der Verwaltung des Besitzes vertraut, wie es eben üblich war. Und dann hatte Eleanor zwei Saisons in London verbracht, ohne allzu großen Erfolg freilich. Wahrscheinlich fehlte es ihr von Natur aus an der nötigen mädchenhaften Lieblichkeit. Das hatte Mama ihr jedenfalls vorgeworfen – Eleanor selbst hatte den Verdacht, es könne auch an ihrer bescheidenen Mitgift liegen. Immerhin war noch eine Tochter unterzubringen, und so vornehm war ihr Vater nicht, dass er eindrucksvolle Beziehungen in die Waagschale werfen konnte.

      Ein Jahr lang war sie zu Hause geblieben, während ihre Schwester Rosamund auf ihr Debüt vorbereitet wurde. In dieser Zeit hatte sie einige der Nachbarssöhne wiedergesehen – aber einen von ihnen heiraten? Nie im Leben! Natürlich waren sie zum Teil auch viel zu jung für sie, aber auch die älteren – nein.

      Vielleicht hatte Mr. Randal ja seine Cousine in der Kindheit nicht gequält, vielleicht war er nicht so albern gewesen wie andere Jungen? Vielleicht hatten ihre Eltern einfach auf der Heirat bestanden? So etwas gab es natürlich immer noch, aber warum ein hübsches Mädchen aus guter Familie nicht in London präsentieren und nach einer besseren Partie Ausschau halten?

      Nun, um das zu beurteilen, fehlte es ihr wohl an Fakten.

      Und vielleicht entwickelten sich manche der Jungen aus der Nachbarschaft durchaus noch zu vernünftigen Männern, zu richtigen Gentlemen – sie würde es nur nicht mehr miterleben.

      Kapitel 5

      Das Dinner nahmen, wie Cyrus beim Abräumen in der Küche berichtete, beide Herren gemeinsam ein. „Und Mr. Randal ist in sehr aufgeräumter Stimmung, er hat das Essen mehrfach gelobt und betont, wie gut Seine Lordschaft hier versorgt wird.“

      „Und was hat Seine Lordschaft gesagt?“, fragte Mrs. Kingsley gespannt.

      „Ja, eigentlich nichts, Ma´am. Aber er hat aufgeschaut und freundlich genickt. Das ist doch auch schon was, oder?“

      „Ganz bestimmt. Sonst sieht er doch niemanden an, oder? Das hat Mr. Jessop doch erzählt!“

      „Stimmt. Na, vielleicht erholt er sich langsam doch. Wäre ja auch zu schade, so ein junger Mann.“

      „Das geht dich nichts an, Cyrus, also hüte deine Zunge. Ich habe noch eine zweite Pastete für das Personal und die gibt es jetzt. Ich freue mich ja so, dass die beiden Herren nichts übriggelassen haben. Da, trag den letzten Gang hinein und hilf Martin anständig beim Servieren, sonst wird dir Mr. Jessop etwas erzählen.“

      Cyrus entfernte sich mit dem Desserttablett und Mrs. Kingsley murmelte zu Eleanor gewendet: „Beatty sagt, der Herr ist nur Haut und Knochen. Wenn er jetzt ein bisschen Fleisch auf die Knochen kriegt, kann das nur gut sein.“

      Eleanor lächelte. Wie sehr das Personal an der Genesung des Earls Anteil nahm! Wirklich rührend.

      Cyrus kehrte zurück. „Seine Lordschaft möchte Mrs. Warren sprechen.“

      Eleanor, die ein Auge auf die Spülküche gehabt hatte, fuhr herum: „Jetzt? Die Herren essen doch noch?“

      „Doch, jetzt. Mr. Randal hat das gesagt. Und der Herr hat genickt.“

      „Nun gut, dann gehe ich natürlich hinüber.“

      Sie strich die Schürze über dem üblichen schwarzen, hochgeschlossenen Kleid glatt, fuhr sich einmal über die Haare und begab sich ins Speisezimmer.

      Martin war noch mit dem Servieren des Desserts beschäftigt, als sie eintrat und höflich knickste. „Euer Lordschaft wollten mich sprechen?“

      Gegenüber von Mr. Randal saß ein Mann, der im Stehen sehr groß sein musste, aber mager und kränklich wirkte, vor allem, als er ihr das Gesicht zuwandte – bleich, die dunklen Augen tief in den Höhlen liegend, der Blick gehetzt. Ein Mann, den Geister plagten, dachte sie unwillkürlich. Die lange dünne Narbe, die vom äußeren Ende der linken Augenbraue senkrecht zum Kiefer hinab lief, fiel da vergleichsweise wenig ins Gewicht.

      Er betrachtete sie intensiv und sie bemühte sich, den Blick ruhig und freundlich zu erwidern.

      „Ich hoffe, alles war nach Ihrem Geschmack, meine Herren?“ Immer noch sah sie nur den Earl an, nicht Mr. Randal.

      „Ja“, antwortete der Earl einfach, und schon diese eine Silbe faszinierte sie – welch tiefe, klingende Stimme! Dämonisch beinahe. Sie schüttelte unwillkürlich den Kopf: Was für ein Unsinn!

      „Sie glauben mir nicht?“

      Erschrocken konzentrierte sie sich wieder auf das Gespräch. „Oh doch, Mylord. Ich – ich habe mich nur an meine ursprünglichen Befürchtungen erinnert; es hätte doch sein können, dass Ihnen die stärker gewürzten Gerichte nicht zusagten.“

      Er nickte. „Doch, das hat meinen Appetit durchaus gefördert. Und Mr. Randal hier ist ebenfalls voll des Lobes. Womit haben Sie das Rübenmus gewürzt?“

      „Mrs. Kingsley hat – auf meine Anregung, zugegeben – etwas Muskatnuss verwendet.“

      „So etwas war im Haus?“

      „Gewiss, Euer Lordschaft.“ Sie knickste erneut.

      „Und es gefällt Ihnen auf Kesham?“

      „Sehr gut sogar, Mylord.“

      „Das freut mich zu hören. Machen Sie nur weiter so, dann haben Sie hier eine sichere Stellung.“

      Eleanor knickste erneut und war in Gnaden entlassen.

      Sobald sie die Tür des Speisezimmers hinter sich geschlossen hatte, atmete sie zittrig ein. Diese Augen! Und diese Stimme… was für ein Mann! Warum verbarg er sich hier, wenn er doch jeden Ballsaal in Verzückung treiben konnte?

      Freilich müsste er sich dafür die Haare schneiden lassen und ein wenig vollere Wangen bekommen. Die Narbe war nicht weiter tragisch – Kriegshelden standen doch immer noch hoch im Kurs, immerhin hatten sie ja Boney erfolgreich von den britischen Inseln ferngehalten.

      Sie gab sich einen Ruck und wandte sich