Norbert Johannes Prenner

Der Besucher


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Sie – Norman Moll.“ „Ich weiß, ich habe vorhin zugehört. Na dann, bis später!“ lachte sie. Rabitsch grinste bis zu den Ohren und verbeugte sich. „Gnädige Frau!“, rief er hinterher, dann rieb er sich die Hände und wandte sich Moll zu. „Sie sind gestern angekommen?“

      In diesem Augenblick betrat Fräulein Trixi den Salon, zierlich, brünett, kurzes schwarzes Röckchen, weiße Bluse, rote Wangen, freundlich lächelnd und fragte artig: „Guten Abend, die Herrschaften. Haben Sie irgend-einen Wunsch?“ Das also war besagte Trixi, dachte Moll, der sich den Tee allein auf seinem Zimmer gemacht hatte, mittels Tauchsieder, und in den Salon mitgebracht hatte. Rabitsch blühte förmlich auf, seine Nase begann zu glänzen, die Augen traten aus ihren Höhlen, als hätten sie die Absicht, das junge Ding mit Haut und Haar zu verzehren. „Das ist lieb von Ihnen, mein Kind, vielleicht ein Achterl, ja? Bitte!“ Moll war wunschlos. „Nein, doch, vielleicht – einen kleinen Kognak. Vielen Dank!“ Fräulein Trixi schwirrte ab. „Herr Moll, Sie kommen aus Wien? Hör‘ ich sofort an der Aussprache. Sie waren schon öfter hier, ist ja auch eine schöne Gegend. Ich sag‘ ja immer, man muss die Zeit ausnützen, die schöne Jahreszeit meine ich, wer weiß, wie lange wir das alles noch genießen können? Stimmt‘s? Ach Sie rauchen ja, na, also kann es Ihnen nicht so schlecht .... ach, stimmt, Sie sind ja nur zur Erholung hier, hab‘ ich beinahe vergessen. Also ich hab‘ das schon lange aufgegeben! Führt ja doch zu nichts!“ Er lachte kurz auf. „Was haben Sie denn da für einen Tabak? Ah ja, kenn‘ ich! War ja nie Pfeifenraucher, im Büro - Sie verstehen, nur Zigaretten. Aber dafür von den Feinsten!

      Haben Sie was mit der Hüfte? Gestern, als ich Sie kurz nach ihrer Ankunft flüchtig gesehen habe, hatte ich den Eindruck, Sie hinken? Sie gehen so schlecht, ist mir gleich aufgefallen. Wie ich immer zu meiner Frau sage, am besten gleich zum Arzt gehen, kann man sich viel Ärger ersparen. Bei wem sind Sie in Behandlung, wenn ich fragen darf? Professor Marian? Nein, der ist ja schon in Pension. Sein Nachfolger, wie heißt denn der?“ Moll winkte ab. „Na, ich kann mich auch getäuscht haben. Schade, dass das kleine Lebensmittel-geschäft nicht mehr existiert, da vorne. Sie machen alles kaputt, diese Bürgermeister. Alles verkaufen sie. Stellen zwei Supermärkte hin, einen am Ortsanfang und einen am Ende. Und dazwischen - nichts! Wenn man kein Auto hätte - warten sie nur, das kommt auch irgend-wann, wenn man eines Tages nicht mehr alleine gehen kann, Sie verstehen? Aufgeschmissen – völlig aufgeschmissen sind wir dann, Sie werden sehen! Und überhaupt, da wird ein Hotel nach dem anderen hingebaut, egal, ob es geht. Die EU gibt das Geld, solange eines da ist, und dann? Dann sitzen wir davor, vor den Ruinen! Ist doch so, oder? Was sagen Sie überhaupt zur neuen Gesundheitsministerin? Unglaublich das! Was sich Politiker heute alles leisten, na, das hätte es bei uns geben sollen! Gottlob sind meine Kinder schon erwachsen und müssen sich dieses Theater nicht mehr antun!“

      Rabitsch zupfte seine gelb getupfte Schalkrawatte zurecht und sah Moll, Zustimmung erwartend, an. Dieser war bis jetzt nicht dazu gekommen, zu antworten, da waren aus dem Vorraum Stimmen zu vernehmen. Gleich darauf öffnete sich die Tür zum Salon. Fräulein Trixi brachte die Getränke. Hinter ihr betrat ein älterer Mann den Salon. Schwarzer Trachtenjanker, helle Hose. Die Haare, schon beinahe weiß, in langen Strähnen nach hinten gekämmt, kleiner, silbergrauer Oberlippenbart. Sofort sprang Rabitsch auf, buckelte und rief mit lauter Stimme, die Moll beinahe aus seiner Betäubung holte, in der er sich befand, seitdem er dem aufdringlichen Geschwätz Rabitschs bis jetzt rettungslos ausgeliefert war: „Verehrung Graf! Behandlung für heute beendet? Wie fühlen Sie sich?“, und zu Moll gewandt, „darf ich vorstellen? Graf Otto von Traunstein, Herr Moll aus Wien!“ „Angenehm, sehr angenehm!“, sagte der Graf, „gestatten Sie, dass ich mich zu ihnen setze, meine Herren? Mein Rücken ....“, und ließ sich mit einem lauten, gedehnten „Aaaahhhh“ in einen der umstehenden Fauteuils fallen. Auch Bodo Rabitsch setzte sich wieder. „Und, welches Leiden lassen Sie sich hier auskurieren?“, wollte Traunstein wissen. Moll, gerade im Begriff zu antworten, wurde sofort von Rabitsch unterbrochen: „Nein, nein! Herr Moll ist sozusagen nur Urlauber! Ha ha ha!“ „Ah, geh‘,“ tat der Graf erstaunt, „na ja, da kann man halt nichts machen, nicht wahr?“

      Moll war irritiert. Er stand auf, verschränkte seine Hände hinten am Gesäß und schritt, scheinbar gelassen, auf die Terrassentür zu. Innerlich jedoch kochte er. Er hätte diesem Rabitsch am liebsten eine heruntergehauen, aber – man war ja wohlerzogen, und so schluckte er es hinunter, um stumm hinaus in die fortschreitende Dämmerung zu starren. „Also, der ein- zige Gesunde in unserem trauten Kreis, was?“, meinte der Graf. „Niemand ist so gesund, dass er nicht ab und zu einen Arzt braucht, hab‘ ich Recht?“, lachte Rabitsch frech, „letztendlich ist so eine Untersuchung nach zwei drei Stunden schon nichts mehr wert!“ Sie lachten. Molls Hände krampften sich zu Fäusten in seinen Hosentaschen, aber er lächelte nur, Blick in den Garten gerichtet, ohne dass es der Graf oder Rabitsch sehen konnten. Schließlich aber drehte er sich doch zu den beiden um, ja, ging sogar zu ihrem Tisch zurück und setzte sich zu ihnen. Rabitsch grinste. Der Graf machte die Handbewegung eines Platzanweisers, da saß Moll bereits. „Sind Sie Deutscher?“, fragte Moll. „Wer? Was? Ich? Nein! Wie kommen Sie denn da drauf?“ „Ach, ich dachte nur. Bei uns ist das ‚von‘ ja nicht üblich“, sagte Moll. „Uralte österreichische Familie, mein Herr!“, antwortete der Graf, „sollten davon schon gehört haben. Aber – ich weiß, worauf Sie hinauswollen, Herr – äh, wie war doch gleich der werte Name?“ „Moll!“ „Ah ja, Herr – Moll.“

      Rabitsch begann zu schwitzen und wischte sich die Stirn mit einem Taschentuch, auf dem in goldenen Lettern B.R. eingestickt waren, für jeden gut sichtbar. Er sah Moll streng an und erklärte: „Genau, das ist, worüber wir gestern Abend auch schon gesprochen haben, nicht wahr, Graf?“ „Eben! Schaun Sie“, begann Traunstein in väterlichem Ton, völlig entspannt, sonore Bassstimme, „im Grunde könnte mir das völlig gleichgültig sein, welcher Titel vor meinem Namen steht. Er steht ja ohnehin für sich! Und darüber gibt es überhaupt keine Debatte. Aber ein bisserl bin ich schon darüber derangiert, und es ärgert mich! Ja, es ärgert mich, dass die Leut‘ gleich so zurückschrecken davor, nicht wahr? Da wird so getan, als ob man sich dafür auch noch schämen müsst‘, so is‘ es!“ Traunstein beobachtete Molls Reaktion sehr genau, und Moll tat amüsiert über das, was er da hörte, jedoch überließ er dem Grafen das Wort. „Ich möchte sogar behaupten, dass es schließlich eine Verpflichtung ist, nicht wahr?“, fuhr der Graf fort, „seinem Namen eine gewisse Ehre angedeihen zu lassen, sag‘ ich immer.“ Und schließlich hat so ein Bürgerlicher keine Ehre im Leib, durchfuhr es Moll. Arthur Schnitzler fiel ihm ein. Nein, es musste Zivilist geheißen haben – auch egal. „Ehre? Was denn für eine Ehre?“, fragte Moll provozierend, obwohl er genau wusste, was Traunstein damit meinte. „Nun, unsere Vorfahren haben ja eine bestimmte gesellschaftliche Stellung innegehabt, und diese verpflichtet uns traditionsgemäß selbstverständlich auch heute noch, verstehen Sie?“

      Moll nickte scheinbar verständnisvoll. „Mag schon sein“, erwiderte er, dem Grafen, „das war allerdings nichts Besonderes, denn innerhalb ihrer sozialen Gruppe haben sie sich ja gegenseitig immer wieder selbst ausgezeichnet und mit diversen Ämtern belehnt, wie wir alle wissen.“ Traunstein räusperte sich, er wurde etwas rot im Gesicht, während Rabitsch unruhig auf seinem Sitz hin und her rutschte und vom Rotwein trank, den Fräulein Trixi serviert hatte. „Herr, äh? – verzeihen Sie...“. „Moll!“ „Richtig! Herr Moll, ich erlaube mir trotzdem festzustellen, dass uns dieser Titel, auch wenn wir ihn im Sinne des sogenannten Adelsverbotsgesetzes nicht offiziell tragen dürfen, doch so etwas wie ein Privileg darstellt, nicht wahr?“ In diesem Augenblick wurde die Salontür heftig aufgestoßen, und Anna, der gute Geist des Hauses, Mittelding zwischen Krankenschwester und Zimmerfrau, gleichsam Mädchen für alles, stürmte herein: „Herr Rabitsch, verzeihen Sie, schnell, Ihre Frau – ein Asthmaanfall. Sie ist oben in ihrem Zimmer!“, stieß sie atemlos hervor, und war auch gleich wieder zur Türe hinaus. „Dass man nie seine Ruhe hat, mein Gott!“, klagte Rabitsch und verdrehte die Augen. Er erhob sich gemächlich. „Sie hat ja ohnehin ihren Inhalator mit, kann sie denn nicht...“, und zu Traunstein und Moll gewandt, bemerkte er: „Ich weiß nicht, gestern auch schon – geht halt manchmal ein bisserl zu rasch, so etwas. Da kann man halt nichts machen. Keine Ruh‘ hat man, wenn man einmal gemütlich beisammen sitzen könnte, was?“, lachte er und verließ den Salon.

      Moll